Im Vorfeld würdigt der Verein Jubiläum „230 Jahre Zeller Keramik“.
Vor 25 Jahren wurde der Förderverein Rundofen gegründet. Das wird am 19. Juli mit einem großen Sommerfest samt Live-Musik gefeiert. Im Vorfeld präsentiert sich der Verein mit einer dreiteiligen Textserie. Zum Auftakt geben wir Einblick in einen Gedankenaustausch zwischen Michael Dahlke als Vorsitzendem des Rundofen-Fördervereins, Dieter Petri als Stadtchronist und Erika Börsig, die über 50 Jahre lang bei der Zeller Keramik als Kerammalerin beschäftigt war. Anlass ist das in diesem Jahr ebenfalls anstehende 230-jährige Jubiläum der Zeller Keramik.
230 Jahre Zeller Keramik trotz Insolvenz
„Das Hauptevent ist zwar das 25-jährige Jubiläum des Rundofen-Fördervereins“, macht Michael Dahlke deutlich, „das Jubiläum ‚230 Jahre Zeller Keramik‘ tragen wir aufgrund einer entsprechenden Bitte von Bürgermeister Pfundstein aber mit, um die Bedeutung der Zeller Keramik fürs Städtle – über die Jahrhunderte hinweg – herauszustellen.
Wenn nach der Insolvenz im vergangenen Jahr mit der Zeller Keramik tatsächlich Schluss gewesen wäre, wären wir allerdings nur auf 229 Jahre gekommen. Doch dadurch, dass die Stadt sich die Markenrechte gesichert hat, bleibt der Name „Zeller Keramik“ grundsätzlich erhalten. Zell am Harmersbach ist auch weiterhin die Stadt der Zeller Keramik, das darf man sagen, wie auch immer das dann im Weiteren gelebt wird. Wenn man also den Bogen von den Anfängen im Jahr 1794 bis ins Jahr 2024 schlägt, kann man sagen: Ja, es geht weiter.“
Dieter Petri: „Es gab ja 1987 die erste Insolvenz, von da an war es eigentlich eine dauernde Krebserkrankung.“
Erika Börsig: „1989 sind alle, die in der Zeller Keramik arbeiteten – um die 200 dürften es damals noch gewesen sein – auf die Straße gegangen, um für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze zu demonstrieren. Da ist man von der unteren Fabrik ins Städtle reingelaufen, auch der Rundfunk war dabei. Dann ging’s in die Insolvenz, und dann kam der Herr Hillebrand und hat die Zeller Keramik übernommen. Als ich 1975 meine Lehre als Kerammalerin abschloss, hatte die Fabrik 425 Mitarbeiter.“
Dieter Petri: „Die höchste Mitarbeiterzahl war in den 1920er Jahren, nach dem Ersten Weltkrieg, wo die Arbeitslosigkeit allgemein hoch und man Gott froh war, dass es hier eine Fabrik gab, in der viele Leute Arbeit fanden. Vielleicht hat man nicht immer viel verdient, aber das war besser als nix. Über 500 Menschen werden damals wohl in der Zeller Keramik gearbeitet haben.“
Kerammaler waren privilegiert
Michael Dahlke: „Man kann, glaube ich, sagen, dass im Schnitt 15 bis 20 Prozent der hiesigen Bevölkerung in der Keramikfabrik geschafft hatten, das ist ein irre hoher Anteil.“
Erika Börsig: „Ja, früher hieß es einfach nur ‚man schafft in der Fabrik‘, da wusste jeder, dass die Keramik gemeint war.“
Dieter Petri: „Und die Bauern haben gesagt: ‚Das sind die Fabrikler‘.“
Erika Börsig: „Mit 14 Jahren, das heißt nach der achten Klasse, begann man früher seine Lehre, ich hatte auch noch die neunte Schulklasse absolviert. In meiner Anfangszeit in den 70ern waren wir um die 50 Kerammalerinnen und zehn bis 15 Kollegen. Die waren höher gestellt als wir Frauen, die durften die besonderen, schwierigen Sachen wie die Motive Favorit und Alt Straßburg malen, die waren schon ein bisschen privilegiert. Manche haben auch gespritzt. Zum Beispiel beim roten Apfel des Motivs ‚Eden‘ wurde das Rote mithilfe einer Blechschablone aufgespritzt. Zwei Leute waren damit beschäftigt, diese zu biegen und zu löten, um sie an der Form des Geschirrs auszurichten. Denn wenn ein Dekor auf eine runde Form gespritzt werden soll, kann man nicht mit einer geraden Schablone arbeiten. Am Arbeitsplatz bei denen, die gespritzt haben, gab es zwar eine Absauganlage. Aber an so etwas wie Mundschutz hat man damals nicht gedacht.“
Michael Dahlke: „Nach der ers ten Krise der Fabrik in den Jahren 1810 bis 1820, als die von Napoleon verhängte Kontinentalsperre dem Export an den Kragen ging, ging es nach dem deutsch-französischen Krieg 1874 wieder aufwärts. Da gab es neben 85 Kerammalern – die später teils in Frack und Zylinder zur Arbeit erschienen – rund 340 weitere Mitarbeiter, und zwar in den unterschiedlichsten Berufen.
„… nicht ungefährlich“
Sogar Maurer waren hier beschäftigt. Die mussten für den Brennvorgang die Ofentüren zumauern und diese Wand nach 48 Stunden wieder aufbrechen und die Steine danebenstapeln – und das alles bei der Wahnsinnshitze. Das war nicht ganz ungefährlich, denn aufgrund der Temperaturen und der Brenngase konnte auch richtig mal was verpuffen. Dabei reden wir noch nicht einmal vom Wieder-Ausräumen des Ofens.“
Erika Börsig: „Je heißer es beim Entladen im Inneren des Ofens noch war, desto mehr Geld bekamen die Arbeiter. Man erhielt einen Bonus als Anreiz dafür, den Ofen in möglichst heißem Zustand möglichst schnell zu entladen, denn das sparte Kosten.“
Michael Dahlke: „Die Sachen mussten so schnell wie möglich raus, weil man die Restwärme nutzen wollte, um direkt die nächste Bestückung zu machen und damit Energie zu sparen. Das heißt, die Arbeiter gingen bei Temperaturen von über 80 Grad, wenn nicht gar bis zu 100 Grad, in den Ofen hinein. Beziehungsweise sie rannten wegen der Hitze hinein und wieder hinaus. Sie trugen Handschuhe, die nach einem Entladungsvorgang ‚durch‘ waren. Die Hitze samt Staub und Brandblasen – das war eine körperlich sehr, sehr schwere Arbeit.
Harte Bedingungen
Die Männer, die das machten, hatten zuvor auch schon den Ofen beladen, und auch das war wahnsinnig anstrengend. Allein eine kleine Schamott-Brennkapsel von etwa 40 Zentimetern Höhe, in die eine Kaffeekanne hineinpasst, wiegt leer bereits sieben Kilo. Da kam dann noch die stark feuchtigkeitshaltige und entsprechend schwere Brennware hinein. Diese Kapseln wurden im Ofen aufeinander gestapelt, sie mussten von den Bestückern immer wieder auch über den Kopf gehoben werden. Und sie mussten mit den schweren Teilen Leitern hinaufklettern, um den Ofen bis in eine Höhe von etwa dreieinhalb Metern zu bestücken. Oder man nutzte Holzgestelle, die zum Bestücken schnell aufgebaut und anschließend schnell wieder aus dem Ofen raus muss ten, damit sie nicht verbrannten. Und das alles erfolgte rein von Hand.
Erstaunlich finde ich, dass es hier nicht zu größeren
Katastrophen gekommen ist. Man sieht die Armierungen, das heißt die Eisenringe rund um den Ofen, damit der aufgrund der hohen Temperaturen nicht auseinanderplatzen konnte – der gesamte Ofen hat sich ja durch die Materialausdehnung während des Brennvorgangs um einige Zentimeter gehoben und dann wieder gesenkt. Es gab immer die Gefahr, dass etwas schlagartig auseinander birst.
Wenn man die Temperatur aus irgendeinem Grunde nicht ganz unter Kontrolle hatte und sie zu hoch wurde, fing das Ganze an zu ächzen. Dann wurde sofort – egal ob Tag oder Nacht – der Fabrikbesitzer geholt, der ja schnell zu erreichen war in seiner Villa. Der entschied, ob der Brand abgebrochen werden soll – was immer einen wirtschaftlichen Verlust bedeutete, bis hin zum Totalverlust der im Ofen befindlichen Ware –, oder ob auf Risiko weitergemacht werden soll. Es ist wohl mal vorgekommen, dass solche Armierungsringe abgesprungen sind, da sollte man dann tunlichst nicht in der Nähe gestanden haben.“
40 Tassen freihändig balanciert
Erika Börsig: „Früher hatte die Fabrik eine eigene Betriebsfeuerwehr, ich kann mich noch gut erinnern, wie sie – auch in der Unteren Fabrik – Feuerwehrprobe hatten. Aber nochmal zurück zur körperlichen Belastung: Auch wir Kerammalerinnen hatten wegen der Gewichte schwere körperliche Arbeit zu leisten – wenn man zum Beispiel 40 Tassen nebeneinander auf einem 1,50 bis 1,80 Meter langen Brett hatte oder 120 Eierbecher und man das mit erhobenem Arm und nach oben geklappter Handfläche vom Gestellwagen an den Arbeitsplatz und wieder zurück zum Transportwagen tragen musste. Oder man musste stapelweise Teller tragen. Und wenn man auf einem Brett 15 Vasen hatte und eine fing an zu kugeln, dann gab es eine Kettenreaktion, das war furchtbar peinlich.“
Dieter Petri: „In der Fabrik hat es generell während der verschiedenen Arbeitsprozesse viel Bruch gegeben, und der war unter anderem mit Farbresten kontaminiert. Man entsorgte ihn einfach in dazu ausgehobenen Gruben, die man zum Schluss mit Erde abdeckte – wilde Deponien also. Eine Sondermüllentsorgung gab es damals nicht. So idyllisch das Städtle heutzutage anmutet, so wenig idyllisch ging es zu jenen Zeiten zu, als die Schornsteine der riesigen Brennöfen rauchten.“
Gift, Staublunge, Dunstglocke
Erika Börsig: „Ich selbst hab‘ anfänglich noch mit hochgiftigen Farben gearbeitet. Ein schönes Rot hat man zum Beispiel mithilfe von Bleiverschmelzungen hinbekommen. Und in den 70er/ 80er-Jahren war ja sehr bunte Keramik gefragt, mit Orange- und Gelbtönen und entsprechend giftigen Farben und Glasuren. Berichte von Vergiftungen gab es nicht. Wenn junge Leute Krebs bekamen, dann war das halt so, das hat man nicht mit den Farben in Verbindung gebracht.“
Michael Dahlke: „Ich denke, das war eine Grauzone zwischen Nichtwissen und Nicht-wissen-Wollen. Und wenn man an die Zeit davor denkt: Die ursprünglich fünf mit Kohlefeuer betriebenen Rundöfen auf dem Areal der Oberen Fabrik verschmutzten die Zeller Luft gewaltig mit ihren Abgasen. Hinzu kam die Verschmutzung durch die Untere Fabrik, wo ursprünglich Baukeramik hergestellt und ebenfalls gebrannt wurde.“
Dieter Petri: „In der Fabrik gab es einen Betriebsarzt. Weil der von der Fabrik angestellt war, beurteilte er körperliche Beschwerden natürlich eher im Sinne des Arbeitgebers. Aber es war ein Schritt in die richtige Richtung. Und es gab eine Betriebskrankenkasse, interessanterweise zuerst für die Porzellanmaler. In den 1850er Jahren dann wurde für alle in der Oberen Fabrik Beschäftigten eine Betriebskrankenkasse eingeführt.“
Erika Börsig: „Bei uns damals gab es für die Mitarbeiter in der Rohfertigung ein Kurprogramm. Wer in der Rohfertigung arbeitete, hatte oftmals durch den Feinstaub verursachte Lungenprobleme. Der Tonstaub war überall. Wenn man aus der Fabrik nach Hause kam, hatte man staubweiße Schuhe. Nur zum Teil gab es zu meiner Zeit Absaugvorrichtungen über den Arbeitsplätzen, zum Beispiel in der Abstauberei. Dort wurde das Rohgeschirr nach dem ersten Brand entstaubt, damit später die Glasur haften blieb.“
Was wäre Zell ohne die Keramikfabrik gewesen
Michael Dahlke: „Mal zu einem ganz anderen Thema, nämlich der Logistik: Ab 1904 bestand die Möglichkeit der Anbindung an das Schienennetz. Stattdessen aber hat die Fabrik weiterhin alles auf der Straße abgewickelt, was man sich zur damaligen Zeit mit Fuhrwerken vorstellen muss. Bei dem, was alleine hier in der Oberen Fabrik die fünf Brennöfen an Kohle und Rohmaterialien brauchten … das muss ein ständiges Kommen und Gehen gewesen sein. Auch der Versand der fertigen Ware erfolgte in erheblichem Umfang auf diesem Wege. Das ganze Städtle war involviert. Und wenn wir von den Arbeitsbedingungen und den vielen Menschen sprechen, die in der Zeller Keramikfabrik gearbeitet haben, dann müssen wir auch bedenken: Was war denn noch drum herum, wer alles hat auch indirekt von der Keramikfabrik gelebt – inklusive der Gastwirte und Hoteliers, aber auch Handwerker. Das zeigt, wie die ganze Stadt mit und von der Fabrik gelebt hat – wenn auch in der Regel unter einer von den Schornsteinen der Brennöfen ausgestoßenen Dunstglocke.“
Hahn und Henne sollen leben
Dieter Petri: „Die Produktion in der Oberen Fabrik hatte man in den 1960er Jahren abgebaut. Die Verwaltung inklusive der Buchhaltung, der Engelbau für die Geschäftsleute und auch die Werkstätten beließ man noch dort. Aber die Produktion betrieb man dann praktisch nur noch in der Unteren Fabrik. Dort schaffte man noch einen Schnellbrand-Tunnelofen an, das war die letzte große Investition.“
Erika Börsig: „Daran kann ich mich noch erinnern. Zuerst hatten wir zwei Öfen – einen für die Rohfertigung und einen Tunnelofen für den Glattbrand, also für die bemalte, glasierte Ware. Dieser Ofen wurde ständig beladen, da haben die Leute rund um die Uhr Schicht gearbeitet, um die Wärme und damit die teure Energie möglichst effizient zu nutzen. Danach kam der mit Gas beheizte Schnellbrandofen, hier war die Ware innerhalb von gerade einmal sechs Stunden fertig gebrannt.“
Michael Dahlke: „Ganz nebenbei: Im vergangenen Jahr wäre das Jubiläum 125 Jahre „Hahn und Henne“ fällig gewesen, was aber wohl auch im Zuge der Insolvenz untergegangen war. Speziell das Dekor „Hahn und Henne“ soll ja dank des Eingreifens der Stadt mit dem Erwerb der entsprechenden Rechte weiterleben. Wie die Leute sich darüber freuen, bekommen wir vom Förderverein immer wieder bei Rundofenführungen mit.“