»Ich habe viele neue Eindrücke gewonnen und kann jetzt sogar ein paar Worte Japanisch«, sagt Moritz Möbius in seiner leisen, doch bestimmten Art – und da ist es wieder: das kurze, warme Lachen mit diesem still-verschmitzten Humor.
Seit dem späten Montagabend der letzten Woche ist der mit einer besonderen Kleinwuchsform namens diastrophische Dysplasie lebende Sportschütze wieder in der Heimat – nach rund zwei Wochen Aufenthalt bei den Paralympics in Tokio, Zwölf-Stunden-Flug und stundenlanger Autofahrt vom Frankfurter Flughafen zurück ins heimische Unterharmersbach.
Hier empfing den 22-Jährigen ein großes Laken, das an der Hauswand hing: »Wir sind so stolz!« hatten die Eltern in großen Lettern darauf geschrieben. Und auch sonst kamen die Glückwünsche von allen Seiten, wie der junge Mann berichtet.
»Außerdem haben mich meine Familie und der Schützenverein mit vielen Freunden und Bekannten am Samstag mit einem Überraschungsempfang überrascht. Dort haben mir alle ihre Glückwünsche persönlich übermitteln können, auch Bürgermeister Günter Pfundstein, das hat mich sehr gefreut.«
Zur Schar der Gratulanten gehören zudem viele von Moritz Möbius‘ Arbeitskollegen. Denn lediglich einen Tag Erholung – inklusive Kofferauspacken – hatte sich der vollberufstätige Industriekaufmann gegönnt. Am vergangenen Mittwoch dann stand er bereits wieder bei Arbeitgeber Hans Grohe seinen Mann. »Das war anstrengend, aber man muss ja wieder in seinen Alltagsrhythmus kommen«, so der Disziplinierte, in der ihn nach Kräften unterstützenden Firma »haben sich viele mit mir gefreut.«
Kein Wunder: Beim Wettkampf »Kleinkaliber liegend« hatte Moritz Möbius mit 620,5 Ringen seine persönliche Bestleistung erbracht, war mit nur 2,2 fehlenden Ringen am Finale der besten Acht knapp vorbeigeschrammt. An zweien der insgesamt 60 Schüsse, die innerhalb von einer Minute auf die 50 Meter entfernte Zielscheibe zu feuern sind, hat das gelegen. »An diese beiden Schüsse kann ich mich noch genau erinnern«, erzählt der Sportschütze, »sie waren unnötig weit von der Mitte entfernt, das hat mich viele Punkte gekostet.«
Vergrämt ist der Sportler jedoch nicht, »so etwas passiert auch anderen, ich hatte dann nur leider keine ganz starken Schüsse, um den Ringeverlust wenigstens wieder etwas auszugleichen.« Wie viel Potenzial in Moritz Möbius schlummert zeigt auch der Umstand, dass er im Training am Tag zuvor ein gar noch besseres Ergebnis erzielt hatte.
Das nächste Ziel: Paris
»Ich bin zufrieden mit mir«, resümiert der Paraschütze denn auch. Wozu er einen weiteren Grund hat. Dieser betrifft seinen Umgang mit den Erfahrungen in seinem ersten paralympischen Wettkampf, in der Disziplin »Luftgewehr liegend«.
Zwar erreichte er auch hier eine hohe Ringezahl. Doch der in einem sehr starken Feld an sich gute 27. Platz enttäuschte ihn persönlich. »Aber das spornt dann ja wieder an«, so der auch mental trainierte Sportler. Die Analyse ergab: Zu viel Hektik vor dem Wettkampf, »da habe ich das Zeitmanagement nicht gut gemacht – wann ich wo hingehe, wann ich was hole und mache und so weiter, das war alles ein bisschen durcheinander.« Mit dem Ergebnis, dass es beim Schießen dauerte, bis er seinen Rhythmus fand, das für ihn richtige Tempo.
»In der anschließenden Teambesprechung haben wir deshalb gleich gesagt, dass wir das vor dem zweiten Wettkampf anders machen, dort lief‘s dann auch viel besser.« Sprich: Diesmal klappte das Zeitmanagement und gab Moritz Möbius genügend Raum, um vor dem Start das zu tun, was für ihn einen ganz wesentlichen Faktor in der Vorbereitungsroutine für einen Wettkampf darstellt: »meine Musik hören«.
War für den Schützen vor den Paralympics unklar, ob er seinen Sport in der bisherigen Form weiter ausüben wird, so ist er sich nun sicher: Das nächste Ziel ist das Finale bei den Paralympics 2024 in Paris. Erst einmal aber bedankt sich der junge Mann bei allen Helfern, »das sind ja unzählige Leute, die mich unterstützt haben, auch schon vor den Paralympics«, betont er.
Zwei Monate Pause, dann Planung
Wie genau die kommenden drei Jahre aussehen werden, weiß er noch nicht. Denn zunächst einmal legt er auf Trainergeheiß eine zweimonatige Pause ein. Und erinnert sich immer wieder gerne an die Zeit in Tokio. Im »Olympischen Dorf« – »einer Art Wohnkomplex, der aus schätzungsweise über 20 Hochhäusern mit in der Regel wohl um die 15 Stockwerken bestand« – war Moritz Möbius gemeinsam mit drei deutschen Teamkollegen in einem »sehr zweckmäßigen« Appartement untergebracht, bestehend aus zwei Schlafzimmern, einem Bad und einem kleinen Aufenthaltsraum. »Ich bin dort gut zurechtgekommen«, so der auf einen Rollstuhl Angewiesene.
Überhaupt sei alles sehr gut organisiert gewesen, sehr strukturiert, vom Hinflug angefangen, insbesondere angesichts des vielen Gepäcks samt Sperrgepäck. »Alles war sehr sauber auf die Beine gestellt und hat wirklich super geklappt – trotz oder wegen Corona, wie auch immer«, schmunzelt der Sportschütze.
Nicht zuletzt das große Heer der Volunteers, der freiwilligen japanischen Helfer, habe dafür gesorgt: »Die haben Essen ausgegeben, einem den Weg gezeigt oder auch den Rollstuhlfahrern geholfen, dass sie überall hinkommen.« Zudem seien sie bei ihrer Arbeit sehr begeistert gewesen. Mit einigen von ihnen ist Moritz Möbius noch in Kontakt, will dies in Zukunft auch beibehalten. Zumal sie »sehr interessiert daran sind, wie es mit mir weitergeht.«
Zum Glück lange Busfahrten
Als gleichfalls bestens organisiert beschreibt der Paralympics-Teilnehmer den Bustransport vom Olympischen Dorf zu den vielen in der riesigen Stadt verteilten Wettkampfstätten. »Unsere Schießanlage war mit rund einer Stunde Busfahrt am weitesten entfernt«, freut er sich noch immer. »Dadurch hat man wenigstens ein bisschen was von der Stadt gesehen«, schließlich durften die »Dorf«-Bewohner das Gelände wegen der strengen Pandemie-Bestimmungen nicht eigenständig verlassen.
Neben den beiden in Tokio vorherrschenden Witterungsverhältnissen zwischen extrem heißem, schwülem und plötzlich nasskaltem Wetter staunte der Parasportler über die praktisch nicht vorhandenen Staus in der Metropole. Und das, obwohl »wir zu allen möglichen Tagen und Tageszeiten unterwegs waren, aber so was wie Feierabendverkehr gab es einfach nicht.«
Und noch etwas war dem Unterharmersbacher bei den Busfahrten besonders ins Auge gefallen: »Weil der Platz in Tokio so begrenzt ist, sind die Schnellstraßen einfach übereinander gebaut, an manchen Kreuzungen hat man drei bis vier Brücken übereinander«, erinnert sich Moritz Möbius noch immer ungläubig, »mitten in der Stadt, zwischen den ganzen Hochhäusern.«
Ein letztes Highlight bedeutete die Abschlussfeier am Ende der Paralympics, »das war nochmal ein Riesending«, strahlt er. Umso mehr, als ihm die Teilnahme an der Eröffnungsfeier nicht vergönnt war: Wegen des Einreise-Procederes am Flughafen in Tokio kamen er und seine Teamkollegen im Olympischen Dorf erst dann an, »als die Busse mit den anderen schon alle abgefahren waren.«