Keine Meinungsumfrage unter den Bürgern der Stadt Zell am Harmersbach wird es geben, um ein Meinungsbild über die Notwendigkeit der Ortschaftsräte einzuholen. Der Gemeinderat sprach sich mit acht zu zehn Stimmen dagegen aus und lehnte damit den Antrag der Freien Wähler ab.
Die Argumente der Umfrage-Gegner überzeugten nicht alle Mitglieder der anderen Fraktionen. Paul Gutmann (CDU) und Armin Reber (Grüne Liste) standen dem Vorhaben der Freien Wähler (6 Sitze) durchaus offen gegenüber. Überraschend dagegen war, dass Bürgermeister Günter Pfundstein letztendlich doch gegen den Vorschlag stimmte. Er hatte im Vorfeld durchblicken lassen, sich als Verwaltungschef neutral verhalten zu wollen und sich seiner Stimme zu enthalten. Letztendlich haben ihn wohl terminliche Gründe dazu bewogen, doch gegen den Antrag zu stimmen.
Über den Antrag wurde bereits zum zweiten Mal im Gemeinderat beraten. Beim ersten Versuch am 10. Dezember 2018 wurde der Tagesordnungspunkt an die Ortschaftsräte verwiesen. Das Argument damals, das auch am Montag wieder auf den Tisch kam: Der Gemeinderat kann über die Auflösung der Gremien nicht entscheiden. Dies ist allein eine Angelegenheit des Ortschaftsrats. Das Thema müsse zuerst im Ortschaftsrat beraten werden. Die letztgenannte Forderung stellte sich wohl zwischenzeitlich als nicht ganz zutreffend heraus. Am Montag berichtete Bürgermeister Pfundstein von einer Auskunft der Kommunalaufsicht, die besage, dass der Ortschaftsrat vorher nicht unbedingt beraten müsse, bevor der Gemeinderat über die Durchführung der Meinungsumfrage entscheide.
Nur der Ortschaftsrat Unterharmersbach hatte das Thema bisher auf der Tagesordnung. In seiner Sitzung vom 19. Dezember 2018 hat er über seinen Fortbestand abgestimmt, sich mehrheitlich für sein Weiterbestehen ausgesprochen und die Durchführung der Umfrage abgelehnt. Damit hatte sich in den Augen vieler Kommunalpolitiker auch die Forderung nach der Einholung eines Meinungsbilds in den anderen Ortsteilen erledigt.
Argumente für die Umfrage
Am Montag sprach Andrea Kuhn für die Fraktion der Freien Wähler und warb für die Idee, auch langjährige Strukturen, wie die Ortschaftsräte unter die Lupe zu nehmen, nach Veränderungs- und Verbesserungspotenzialen zu suchen und auch die Ideen der Bürger mit ins Boot zu holen. Sie betonte, dass der Antrag nicht die Absicht verfolge, die Verdienste von amtierenden oder früheren Ortschaftsräten zu schmälern. Und sie verwies auf den eigentlichen Zweck, zu dem die Gremien einst gegründet wurden: Sie sollten das Zusammenwachsen von Gemeindeteilen nach den Eingemeindungen fördern. Nach 40 Jahren sei es an der Zeit zu hinterfragen, ob dieser Zweck erfüllt sei. Eine schriftliche Meinungsumfrage unter allen Bürgern gebe ein breites Meinungsbild wieder, in dem nicht nur die extremen Befürworter oder Gegner gehört würden.
Gleichzeitig berichtete sie von der Situation der Ortschaftsräte: Wenige Besucher in den Sitzungen, Probleme bei der Kandidatensuche und abnehmende Wahlbeteiligung zeigten, dass das Interesse an Kommunalpolitik schwinde.
Kuhn forderte eine bessere Bürgerbeteiligung auf Ebenen, für die nicht die Mitgliedschaft in einem Gremium wie dem Ortschaftsrat entscheidend sein sollte. Den Weg, der mit den »Kleinstadtpionieren« beschritten wurde, gelte es weiterzugehen: projektbezogenes, zeitlich begrenztes Engagement in Projektgruppen. »Das Zusammengehörigkeitsgefühl im Dorf steht und fällt nicht mit den Ortschaftsräten«, ist sie sich sicher und führte noch ein anderes Detail ins Felde: Auch in der Stadt Zell hätten nicht alle Ortsteile Ortschaftsräte. Die Kernstadt besitze kein eigens gewähltes Gremium, das ihre Interessen gegenüber der Gesamtgemeinde vertritt.
Dr. Brigitte Stunder hielt den Zeitpunkt vor der Kommunalwahl für goldrichtig, Thomas Hoog war irritiert von den Reaktionen, die auf die Ausführungen von Andrea Kuhn folgten und Thomas Dreher zeigt sich überzeugt, dass auch ein Ortschaftsrat seine Berechtigung nachweisen muss. Eine generelle Verweigerungshaltung sei dauerhaft schwierig. Auch er stellte die Frage, ob das Ziel der Ortschaftsräte nach mehr als 40 Jahren erreicht ist. Die Umfrage solle allein ein Meinungsbild einholen.
Argumente gegen die Umfrage
Lorenz Breig (CDU), Ortsvorsteher aus Oberentersbach, argumentierte für den Erhalt der Gremien mit dem Argument, dass bei Abschaffung des Ortschaftsrat kein Vertreter aus Oberentersbach mehr sicher im Gemeinderat ist. Deshalb könne er es nicht verantworten, dem Antrag zuzustimmen.
Stefan Huber (SPD) zeigte sich überrascht. Er höre nicht, dass die Bürger die Ortschaftsräte abschaffen wollten. Man solle eher daran arbeiten, den Austausch zu verbessern.
Sybille Nock (Grüne Liste) hielt den Vorschlag für »komplett wahlschädigend«. Der Zeitpunkt vor der Kommunalwahl sei nicht der Richtige. Am Anfang der Amtsperiode sei ein Termin für eine Meinungsumfrage besser aufgehoben, damit man sich Gedanken machen könne, wie es dann weitergeht.
Hannes Grafmüller (CDU) gab zu Bedenken, dass eine Umfrage leicht manipulierbar sei. Eine Umfrage noch vor der Wahl sei zudem zu kurzfristig. Man solle der Sache Zeit geben, um zu reifen. Es gelte zu sehen, was die »Väter« aufgebaut hätten. Der Vorschlag der Freien Wähler sei nicht zu Ende gedacht.
Ludwig Schütze (SPD) sagte: »Wir haben keine Meinungsumfragedemokratie.« Die Freien Wähler würden sich auf ein gefährliches Feld begeben, bei dem vielleicht nicht jedem Bürger der Unterschied zwischen Umfrage und Bürgerbegehren klar sei. Und er stellte die Frage: »Wie muss die Meinungsumfrage denn ausgehen, damit es Konsequenzen hat?« Schütze glaubt, dass die Zeit kommen wird, wo eine Diskussion wie diese sinnvoll wird. Hinsichtlich der bevorstehenden Kommunalwahl sei der Zeitpunkt ungeschickt gewählt.
Neutrale Stimmen
Hans-Peter Wagner (CDU) fand, dass das Thema ausführlich diskutiert worden sei – auch in der Bevölkerung. »Es ist gut, dass die Diskussion entstanden ist«, so der Ortsvorsteher aus Unterharmersbach.
Armin Reber sah das Thema differenziert. Er wolle das Ergebnis hören und sah es eher positiv, dass man der Bürgermeinung eine solche Plattform bietet.
Organisatorische Herausforderungen
Bürgermeister Günter Pfundstein brachte einige verwaltungstechnische Details in die Diskussion ein, die ihn nach eigener Aussage auf Nachfrage zu seinem »Nein« bewogen haben. »Für die Verwaltung ist der Termin schwierig zu realisieren«, bremste er das Vorhaben gleich zu Beginn seines Redebeitrags aus. Er setzte Umfrage und Ergebnis in einen Zusammenhang mit der Kommunalwahl. Und die hat etliche Regularien. 69 Tage vor der Wahl müsse die Wahlbekanntmachung erfolgen. Also sei der 15. März der späteste Termin, wobei die Verwaltung noch Vorlauf- und Vorbereitungszeit brauche. Zu kurzfristig, um eine Umfrage vorzubereiten, auszuwerten und eventuell noch die Auflösung von Ortschaftsräten abzuwickeln?
Für die Auflösung eines Ortschaftsrats sind zwei Sitzungen nötig. Zum einen muss der Ortschaftsrat in einer Sitzung selbst über die Auflösung entscheiden, der Gemeinderat anschließend in einer weiteren Sitzung den Empfehlungsbeschluss akzeptieren. Danach muss noch die Hauptsatzung geändert und die Änderung bekannt gemacht werden. Und Pfundstein erinnerte, dass das Ergebnis der Umfrage für den Beschluss des Ortschaftsrats nicht maßgeblich sei – egal auf welch breiten Beinen es stehe.
Andrea Kuhn setzte dem einen Zeitplan entgegen, der diese Faktoren berücksichtigt. Zwischen 23. und 25. Januar solle demnach die Umfrage stattfinden, der Rücklauf bis 4. Februar erfolgen. An diesem Tag solle auch die öffentliche Auswertung stattfinden. Es bliebe – zwar knapp, aber doch genug – Zeit, um die dann eventuell notwendigen Sitzungen einzuberufen. Zeitliche Probleme, die es wohl nicht gegeben hätte, wäre der Antrag nicht im Dezember vom Gemeinderat an die Ortschaftsräte verwiesen worden.
Das Thema scheint noch nicht abschließend vom Tisch. Schließlich stehen die Kommunalwahlen kurz bevor, ob mit Umfrage oder ohne. Der Wähler hat die Möglichkeit, am 26. Mai mit seiner Stimme seine Meinung zu sagen – auch zu diesem Thema. Eine hohe Wahlbeteiligung ist immer wünschenswert.
Hintergrund zur Bürgerumfrage
Warum Ortschaftsrat
In Gemeinden mit räumlich getrennten Ortsteilen können interne Gebietsaufgliederungen in Form von Ortschaften vorgenommen werden. In diesen Ortschaften können Ortschaftsräte gebildet und eine örtliche Verwaltung eingerichtet werden, um mehr Bürgernähe zu erzielen.
Die Ortschaftsräte werden in direkten Wahlen von den Bürgern gewählt. Wahlgebiet ist die jeweilige Ortschaft. Die Ortschaftsratswahlen werden gemeinsam mit den Gemeinderats- und Kreistagswahlen durchgeführt.
Der Gemeinderat bestimmt durch die Hauptsatzung die Anzahl der von der Bürgerschaft zu wählenden Ortschaftsräte. Den Vorsitz über den Ortschaftsrat hat die Ortsvorsteherin oder der Ortsvorsteher.
Aufgabe des Ortschaftsrates ist es, die örtliche Verwaltung zu beraten. Betreffen wichtige Angelegenheiten die Ortschaft, muss er dazu angehört werden. Zudem hat er ein Vorschlagsrecht in allen Angelegenheiten, die die Ortschaft betreffen. Der Gemeinderat kann dem Ortschaftsrat durch die Hauptsatzung auch Angelegenheiten zur Entscheidung übertragen, wenn diese die Ortschaft betreffen.
Die Ortschaftsräte sind ehrenamtlich tätig. Sie erhalten eine Entschädigung für ihren Verdienstausfall und Auslagenersatz. Durch Satzung kann auch eine pauschale Abgeltung durch eine Aufwandsentschädigung vorgesehen werden. (Quelle: Serviceportal Baden-Württemberg)
Die Rolle des Ortsvorstehers
Der Ortsvorsteher vertritt den Bürgermeister, in Gemeinden mit Beigeordneten auch den Beigeordneten ständig bei dem Vollzug der Beschlüsse des Ortschaftsrats und bei der Leitung der örtlichen Verwaltung.
Der Bürgermeister und die Beigeordneten können dem Ortsvorsteher allgemein oder im Einzelfall Weisungen erteilen, soweit er sie vertritt. (…)
Ortsvorsteher können an den Verhandlungen des Gemeinderats und seiner Ausschüsse mit beratender Stimme teilnehmen. (Quelle: Gemeindeordnung Baden-Württemberg)
Der Antrag der Freien Wähler
Der Wortlaut der Begründung des Antrags in der Sitzungsvorlage vom 10. Dezember 2018 lautet: »Nach mehr als vierzig Jahren des Bestehens der Ortschaftsräte ist es an der Zeit, die weitere Notwendigkeit dieser Gremien zu hinterfragen. Die Beschlüsse der Ortschaftsräte haben lediglich einen Empfehlungscharakter. Hinzu kommt, dass zahlreiche Ortschaftsräte ebenfalls Stadträte sind und daher viele Sachverhalte mehrfach beraten werden. Es lassen sich gleichwertige Strukturen finden, durch die eine direkte Bürgerbeteiligung in den Ortsteilen gewährleistet oder gar verbessert werden kann. Darüber hinaus gestaltet sich das Gewinnen von möglichen Kandidaten für die Ortschaftsräte immer schwieriger.«
Im Sachverhalt des Antrags wurde dargelegt: »Die Fraktion der Freien Wähler stellt den Antrag auf Durchführung einer Meinungsumfrage unter den Bürgern der Stadt Zell a. H. hinsichtlich der Notwendigkeit des Fortbestehens der Ortschaftsverfassung in Oberentersbach, Unterentersbach und Unterharmersbach. Dabei werden in der Kernstadt und in den Ortsteilen Oberentersbach, Unterentersbach sowie Unterharmersbach jeweils verschiedenfarbige Fragebögen verschickt, um sowohl ein Gesamtergebnis, als auch ein ortsteilbezogenes Ergebnis zu erhalten. Das Ergebnis ist für die Ortschaftsräte rechtlich nicht bindend. Die Entscheidung über eine Auflösung ist nur mit Zustimmung der Mehrheit aller im Amt befindlichen Ortschaftsräte möglich und erfordert danach eine Änderung der Hauptsatzung durch den Gemeinderat.«