Der Gemeinderat hat sich am Montagabend mit großer Mehrheit dafür ausgesprochen, die Kirchstraße von der Einmündung Hauptstraße bis zur Fabrikstraße für den Durchgangsverkehr für die Dauer von sechs Monaten probeweise zu sperren. Der Anliegerverkehr soll möglich sein. Dadurch entsteht zum einen mitten in der Stadt eine kleine Fußgängerzone. Zum anderen müssen sich die rund 2000 Fahrzeuge, die täglich durch die Kirchstraße rollen, andere Wege suchen.
Bereits im Vorfeld der Entscheidung am Montagabend hatte es seitens der Stadt eine Aussprache mit den direkt betroffenen Anliegern gegeben, bei der die Pro- und Contra-Argumente ausgetauscht wurden. Bürgermeister Pfundstein informierte, dass sich nach längerer, anfangs sehr kontroverser Diskussion 19 Teilnehmer einer probeweisen Sperrung zugestimmt hätten und nur zwei dagegen waren.
Verkehr nicht zwangsläufig in der Hauptstraße
»Wir müssen jetzt die Weichen richtig stellen, um das Verkehrsproblem in Zell langfristig in den Griff zu bekommen«, stellte Bürgermeister Pfundstein fest. Schon bei der Bürgerversammlung 2016 sei dies das herausragende Thema gewesen. Auch beim Bürgerforum am Nikolausmarkt-Samstag haben sich rund 120 Interessierte mit den Ideen auseinandergesetzt, die im Rahmen des Projekts »Zell 2030« entwickelt wurden. Bypässe und Anlieger-Sammelstraßen sollen künftig für Entlastung sorgen, damit der Verkehr nicht zwangsläufig durch die Hauptstraße fließen muss.
Genau dieser Effekt soll mit der Sperrung des Teilstücks der Kirchstraße erreicht werden. Die rund 15 Schulbusse müssen das Bildungszentrum über die Nordracher Straße anfahren. Neue Wege müssen sich auch die rund 2000 Autofahrer suchen (1200 Richtung Wohngebiet, 800 stadteinwärts), die bei der Verkehrszählung im Jahr 2014 ermittelt wurden. Die Fabrikstraße und der Pfarrhofgraben sollen auch während der probeweisen Sperrung in beiden Richtungen befahrbar bleiben. Bevor die Regelung in Kraft treten kann, muss Anfang Mai erst noch eine Verkehrsschau mit den Vertretern der Behörden und der Polizei durchgeführt werden.
Zell a. H. soll zukunftsfähiger werden
Die grundsätzliche Haltung, dass in der Stadt in Sachen Straßenverkehr etwas geschehen muss, zog sich durch die Diskussion im Ratsgremium. »Wir wollen die Stadt mit solchen Maßnahmen zukunftsfähiger machen«, signalisierte Gemeinderat Ludwig Schütze Zustimmung. Er empfand die Maßnahme dennoch als »starken Eingriff in das Verkehrsgeschehen« und forderte eine fachliche Stellungnahme und auch ein konkretes Schulbuskonzept. Als kritischen Punkt machte der die Kreuzung Nordracher Straße/Allmendweg beim Zeller Schwimmbad aus. Als Alternative zur Sperrung der Kirchstraße sollte eine verkehrsberuhigte Zone mit Tempo 7 geprüft werden.
»Es wird eine positive Entwicklung stattfinden«, zeigte sich Gemeinderat Christian Bruder zuversichtlich. Er befasst sich schon seit Jahren mit der Stadtentwicklung und ist auch Teilnehmer der Verkehrsgruppe. Die Aufenthaltsqualität in der Innenstadt werde sich verbessern und auch für die Geschäfte sieht er in der Sperrung einen Zugewinn. Als weitere Maßnahmen müssten ein Park-, Fuß- und Radwegekonzept umgesetzt werden. Die Testphase in der Kirchstraße sei mit absolut geringen Mitteln möglich. Bei aller Skepsis sprach sich auch Gemeinderat Hannes Grafmüller dafür aus, der Sperrung eine Chance zu geben.
Gemeinderat Martin Teufel sieht die Gefahr, dass durch die weiteren Sperrungen in Unterharmersbach das Ergebnis der Sperrung in der Kernstadt verfälscht werde. Auch er forderte die Stellungnahme der Verkehrsspezialisten vom Landratsamt. Bürgermeister Pfundstein bestätigte, dass auf jeden Fall eine Verkehrsschau stattfinden werde. Letztlich stimmte der Gemeinderat bei einer Gegenstimme und zwei Enthaltungen für den Testlauf.
Eine Fußgänger-freie Zone?
Zu Beginn der öffentlichen Gemeinderatssitzung äußerten sich im Rahmen der Bürgerfrageviertelstunde zwei Anwohner zu der geplanten Maßnahme. »Wird hier eine Fußgänger-freie Zone geschaffen«, fragte Max Neumayer kritisch. Bei der Aussprache der Anlieger habe er keine Begeisterung verspürt. Die Kirchstraße sei eine stark befahrene Verkehrsachse. Die Anlieger müssten bei der Sperrung umständlich durch Wohngebiete fahren.
Anwohner Klaus Bergmann kritisierte, dass die Anlieger seitens der Stadt zu kurzfristig über die Details informiert worden seien. Er forderte einen »nur kurzen« Probelauf. Als Erschwernis sieht der den bevorstehenden Umbau des Geschäftshauses Schmider. Die Arztpraxis müsse nach wie vor von Sanitätsfahrzeugen angefahren werden können. Bergmann befürchtet, dass durch eine Außenbestuhlung mit Sonnenschirmen in Höhe der Bäckerei Dreher die Sicht auf die rückwärtigen Geschäfte versperrt werde. Außerdem sieht er die Gefahr, dass der bereits gefundene Nachpächter für das Eiscafé »Venezia« durch die Planungen wieder abgeschreckt werden könnte.
Fußgängerzone der Kirchstraße
Der Gemeinderat hat am 3. April 2017 beschlossen, in der Kirchstraße – probeweise – eine Fußgängerzone zu installieren. Probe bedeutet ein Verfahren zum Nachweis der Richtigkeit einer Rechnung. Die schwächere Form der Probe ist die Statistik.
Was soll probiert werden?
– sind tatsächlich (neue) Erkenntnisse gewollt oder eher »Augen zu und durch« (Alibi-Veranstaltung)
– Missbrauch der Probe vermeiden
– an welchen Stellen und zu welchen Uhrzeiten;
– anhand welcher Kriterien wird »geprobt« und nicht vergessen: pro und kontra
– wer gibt die »Richtlinien« vor
– keine vorgefassten Meinungen bestätigen
– die Geduld bzw. Leidensfähigkeit der betroffenen Bewohner der Wohngebiete
– und nicht zuletzt wohl am wichtigsten: welcher Umsatz kann von Ortsfremden zusätzlich generiert werden?
Erst nach einem solchen objektiv nachvollziehbaren Probebetrieb kann doch wohl ordnungsgemäß endgültig entschieden werden. (Originalton Bürgermeister vom 7. April 2017: »Auf der gesicherten Erkenntnis«).
Über diese Selbstverständlichkeit habe ich in der Sitzung nichts vernommen und hat auch niemand gefragt.
Aufgrund welchem Wissens- bzw. Informationsstand erfolgte die Entscheidung des Gemeinderats?
Ich habe in der vorausgegangenen Frageviertelstunde unter anderem nach dem Pro und Kontra für die Fußgängerzone gefragt. Herr Schütze hat diese gravierende Entscheidungsgrundlage ebenfalls vermisst. Ohne Antwort auf die offenen Fragen hat der Gemeinderat trotzdem grünes Licht für das – aus meiner Sicht – fragwürdige Verkehrsberuhigungsprojekt gegeben; natürlich nur probeweise. Seit der Bürgerversammlung am 10. Juni 2016 war offenbar nicht ausreichend Zeit, diese Selbstverständlichkeiten vorzubereiten. Auch meine Frage nach den Kosten wurde nicht beantwortet und hat niemand interessiert.
Wer »begutachtet« das Ergebnis des Probelaufs? Das Ergebnis kenne ich bereits. Ein 100-prozentiger Erfolg. Tatsächlich fahren keine Autos mehr von der Kirchstraße in die Hauptstraße. Aber wann kommen – probeweise – Zebrastreifen in die belebten Wohngebiete?
Aufgrund der bevorstehenden Zeller Kunstwege wurde auf Zeitdruck gemacht. Nicht nur den Probebetrieb beginnen. Deshalb war auch der Kunstankauf wohl unaufschiebbar. Schließlich müssen seltene Gelegenheiten schnellstmöglich wahrgenommen werden, bevor der Zug abgefahren ist.
Unter »Amtliche Bekanntmachungen« schrieb Bürgermeistert Pfundstein am
7. April 2017: »…die Anwohner und die direkt betroffenen Geschäftsleute unterstützen mit großer Mehrheit diesen Testversuch…«. Die Anhörung am 30. März 2017 mit 21 Abstimmungsteilnehmern bei 10 direkt betroffenen »Geschäften« mit Eingang in der Kirchstraße ca. 40 Anwohnern, 50 insgesamt. Das Einwohnermeldeamt kann bestimmt genaue Angaben machen. Nach meiner Rechnung sind das 38 Prozent. Das amtliche Ergebnis berichtet von einer großen Mehrheit! Hoffentlich kommt das Ergebnis des Probebetriebs nicht ebenfalls auf solchen gesicherten Erkenntnissen zustande.
Max Neumayer, Zell a. H.