»Endlich«, wird sich der eine oder andere Bürger im Obertal gedacht haben, »endlich wird hier was zurechtgerückt.« Das Hinweisschild »Rathaus« am Eingang des Jauschbachtales zeichnet die schleichende Verschiebung der Attraktivität des Ortes talaufwärts nur andeutungsweise nach.
Schon im 19. Jahrhundert lebten hier im Obertal mehr Menschen als in der wie auch immer definierten Ortsmitte. Rund um Rathaus und Kirche formierte sich das »Dorf«, während die Region mit dem Bevölkerungsschwerpunkt liebevoll (oder abschätzig?) nur das »Dörfle« genannt wurde.
Dennoch punkteten die »Dörfler«. Sie hatten längst vor den Dorfern eine Feuerwehrabteilung, bis die Nazis die Zwangsvereinigung mit den Dorfern anordneten. Mit dem Verlust der eigenen Musikkapelle aber setzte sich der vermeintliche Abstieg fort. Gaststätten schlossen und schließlich nahm man ihnen auch noch die Schule weg. Die Lichter schienen hier allmählich auszugehen.
Doch jüngst bahnte sich eine deutliche Trendwende an. Im Dörfle steht die einzig verbliebene Tankstelle im Ort. Bahnhof, Schwimmbad und Kindergarten, näher beim Dörfle als beim Dorf, sind schon länger gewichtige Standortfaktoren. Hier hat sich auch der größte Arbeitgeber des Ortes angesiedelt. Die Gastronomie lebte wieder auf und mit dem Adventure-Minigolfpark gewann das Dörfle deutlich an Anziehungkraft.
Damit nicht genug. Das Feuerwehrhaus zieht aus dem Dorf weg, eine längst überfällige Umsiedlung, nicht nur, weil im Dörfle die Feuerwehr ihre Geburtsstätte hat, sondern weil sich die Dorfer aus dem Kommando verabschiedet haben. Der jüngste Zugewinn: die gesamte Ortsverwaltung hat sich im Dörfle niedergelassen.
Wenn jetzt die Dörfler sich ein bisschen die Verwaltungsleute »warm halten«, etwa mit einem robusten Frühstück oder einem stärkenden Mittagstisch, wird sich der eine oder die andere in der Verwaltung einen neuerlichen Umzug ins Dorf überlegen. Oder vielleicht lässt sich hier künftig gar eine Außenstelle des Rathauses dauerhaft einrichten. Bürgermeister im Ruhestand gibt’s zur Auswahl, da ist durchaus eine stundenweise Besetzung der Amtsräume denkbar – ehrenhalber natürlich, aus Kostengründen.
Wie es aussieht, ist der Profilierungskampf zwischen Dorf und Dörfle derzeit voll im Gange…