In Nordrach gab es in den letzten 150 Jahren zahlreiche Traditionsgaststätten, im Dorf die Gasthäuser Linde, Stube, Kreuz, Post, im Hintertal das Gasthaus Adler, das Café Mooseck und in der Kolonie das Gasthaus Anker.
Dazu kamen eine beachtliche Anzahl an Neueröffnungen von kleineren Gaststätten, Kneipen und Cafés. Von Zell her sind dies das Grafenberg-Stüble, die Repple-Mühle, die Trinkstube Ebi, das Partyhaus Spitzmüller, das Café-Restaurant Echtle, das Café Geiges, s’blaue Hus, das Kegelstübchen, das Restaurant Stubenkeller, die Blaue Grotte, das Gasthaus Waldblick, die Pizza Nordrach, das Café Erdrich, das ASV Clubheim, die Kälble-Bar und das Gasthaus Krummholzstube, auf dem Kohlberg das Café Bauer, im Moosbachtal der Gasthof Moosbach, auf den Höhen zum Harmersbachtal, die Flackeneinkehr, die Gaststätte Sodlach und der Bächlehof, über allem thront das Gasthaus zum Mühlstein. Für die auswärtigen Gäste waren die Gaststätten willkommene Einrichtungen zur Stärkung, für die Nordracher auch Stätten für Feiern und Geselligkeit.
»Alles fließt, nichts bleibt« hat der griechische Philosoph Heraklit schon vor rund 2.500 Jahren gesagt. Dies trifft auch auf die gastronomischen Betriebe in Nordrach zu. Verschiedene Gründe führten im Laufe der Jahrzehnte dazu, dass eine Großzahl dieser Betriebe wieder geschlossen wurde, derzeit gibt es nur noch zehn.
Nun hat dieses Los auch das »Gasthaus Stube« getroffen, neben der früheren »Linde« das älteste Wirtshaus im Dorf. Das Gasthaus bestand bereits im 16. Jahrhundert und wurde im Spanischen Erbfolgekrieg (1701 – 1714) neben weiteren 18 Häusern niedergebrannt. Das Gebäude wurde im Jahr 1717 von der Stabgemeinde Nordrach wieder aufgebaut und trug bis 1804 den Namen »Laube«. Am 06. August 1717 »verlehnten der Vogt und das Gericht zu Nordrach die Gemeindestube und das Wirtshaus« an Michael Braun aus Oppenau. Ihm folgten 1765 Josef Braun, der spätere Löwenwirt in Zell, 1789 Hans Georg Oehler, 1802 Johann Oehler, der die Gaststätte 1813 erwerben konnte. Die weiteren Eigentümer: 1817 Stephan Oehler, 1828 Josef Anton Heitzmann aus Biberach, 1840 Andreas Schmieder aus Biberach und 1843 Friedrich Monsch, der einer der entschiedensten und kämpferischen Demokraten im Amtsbezirk Gengenbach war. Friedrich Monsch hat an allen drei Revolutionsversuchen 1948/49 teilgenommen und musste ins Elsass fliehen.
Joseph Faißt erwarb die Gaststätte im Jahre 1848. Er ist ein Enkel des Hermeshofbauern Ulrich Faißt in Lindach, der am 17. Januar 1785 in dritter Ehe gegen ihren Willen Magdalena Muser vom Mühlstein geheiratet hatte. Heinrich Hansjakob erzählt die tragische Liebesgeschichte von Magdalena und ihrem Hans in der Erzählung »Der Vogt auf Mühlstein« in packender Dramatik. Am Nordracher Kirchweihfest 1784 sang die neunzehnjährige Tochter des Vogts zusammen mit ihrem geliebten Hans im Tanzsaal der »Stube« und weckte so das Interesse des gerade verwitweten, 53-jährigen Hermesburs Ulrich Faißt. Der Vater von Magdalena willigte in das Werben des Hermesburs ein und zwang seine Tochter Magdalena zur Heirat. Nur wenige Wochen nach der Eheschließung verstarb Magdalena am 18. März 1785 an gebrochenem Herzen.
Die »Stube« blieb im Familienbesitz, 1892 heiratete der Bierbrauer Karl Haas aus Wolfach die Faißt-Tochter Luisa. Sie übergaben die Gaststätte 1924 an ihren Sohn Karl Haas, der Maria Riedinger heiratete. Die älteren Nordracher kennen sie noch als die »alte Stubenwirtin«, die in den 60er Jahren noch strickend am Kachelofen im Lokal saß. Im Jahre 1959 übernahmen Alfred und Helene Haas geb. Mutter den Betrieb, den Helene Haas nach dem Tod ihres Ehemannes 1963 bis 2002 leitete.
Im Jahre 1803 erlangte Nordrach seine Selbständigkeit. Im Wirtshaus wurde nun auch die Gerichtsstube (Rathaussaal) untergebracht, weil im alten Schulhaus nur Platz für ein Unterrichtszimmer mit einer Lehrerwohnung war. Um dies auch nach außen zu kennzeichnen, erhielt das Wirtshaus den neuen Namen »Ratsstube«.
Im Jahre 1836 konnte die Gemeindeverwaltung in die Räume des neben dem Wirtshaus neu erbauten Schulhauses, das heutige Rathaus, umziehen und der Stubenwirt benannte sein Haus in »Stube« um.
Im Jahre 1958 richteten die Eheleute Haas in ihrem Gasthaus Stube eine »Hansjakobstube« ein, die die Besucher daran erinnerte, dass dieses Wirtshaus einer der Schauplätze in der Erzählung von Heinrich Hansjakob war.
Am 13. Mai 1963 ist der damalige Besitzer Alfred Haas gestorben. Seine Witwe Helene Haas betrieb nun die Gaststätte allein weiter. Sie ließ im Jahre 1969/70 einen Ersatzbau erstellen, etwas von der Straße abgerückt. Nun verfügte das Haus über zwanzig Betten und Zimmer mit fließendem Wasser. Das alte Gebäude aus dem Jahre 1717 hatte weichen müssen. Zusammen mit ihrem Sohn Bernd und seiner Familie und in den letzten Jahren mit ihrem Enkel Florian führte sie Hotel und Gaststätte weiter, bis ins Alter von 73 Jahren.
Im Jahre 2002 erwarb die Erwin Junker Maschinenfabrik GmbH das Gasthaus Stube und baute noch einen weiteren Gastraum aus, den »Stubenkeller«, früher als Bierkeller genutzt. Im Obergeschoss des Gasthauses wurden neben den Gästezimmern ein Schulungsraum eingerichtet. Die Küche der Gaststätte lieferte nun auch das Essen für die Kantine der Maschinenfabrik Junker.
Die anhaltende Corona-Pandemie hat für einem deutlichen Rückgang der Gäste gesorgt, so dass kein rentabler Betrieb mehr möglich war. Die Meetings mit Geschäftspartnern fanden überwiegend online statt, wodurch auch der Bedarf zur Unterbringung von Geschäftspartnern in der »Stube« erheblich zurückging. Das Hotel und Gasthaus wurden zum 28. Februar 2022 geschlossen. Das Grundstück bleibt weiterhin im Eigentum der Firma Junker. Der Schulungsraum wird von der Firma auch künftig genutzt.
Gespräch mit Helene Haas
Helene Haas geb. Mutter war die letzte Eigentümerin in der fast 200-jährigen Familientradition der Familien Faißt-Haas
Sie kam am 26. Februar 1929 in Säckingen zur Welt. Am 17. Januar 1949 erhielt sie von den Franzosen einen Arbeitsvertrag und betreute in der damaligen »Pouponniere« in Nordrach, der früheren Lungenheilstätte Rothschild, die »Soldatenkinder«. Diese Kinder hatten deutsche Mütter und französische Väter. Teilweise gegen den Willen der Mütter wurden die Kinder hier gesammelt und, wenn sie gesund waren, nach Frankreich zur Adoption gebracht.
Im Gasthaus Stube hatte die französische Militärverwaltung ein Zimmer für Helene Mutter beschlagnahmt. So lernte sie ihren späteren Ehemann Alfred Haas kennen und bereits ein Jahr später heiratete das Paar. Seither kümmerte sie sich um die Gaststätte und zog auch noch vier Kinder auf: Bernd, Marie-Luise, Isabella und Gudrun. Da niemand aus der Familie den Betrieb weiterführen wollte, musste sie ihn im Jahre 2002 schweren Herzens verkaufen. Helene Haas wurde kürzlich 93 Jahre alt und wohnt im Nachbargebäude.
Frau Haas, wie haben Sie die Schließung Ihrer »Stube« aufgenommen?
Die Schließung der Gaststätte hat mich mit großem Wehmut erfüllt, wenn ich auch die Gründe akzeptieren kann. Ich habe fast mein ganzes Leben lang in diesem Haus gelebt und gearbeitet und dem Betrieb meine ganze Kraft gewidmet.
Wenn Sie zurückdenken, was fällt Ihnen ein?
Ich denke gerne an die Zeiten zurück, als bei uns noch große Hochzeiten gefeiert wurden, dazu kamen Beerdigungen und Taufen. Die Vereine nutzten vor allem den großen Saal, um dort ihre Weih nachtsfeiern mit Gabenver losung abzuhalten. Noch gut ist mir die Hochzeit von Kurt und Gabi Spitzmüller im Jahre 1958 in Erinnerung, der damals schon Mitglied des Bundestags war. Neben Politikern waren auch all die Leichtathletik-Sportgrößen jener Zeit gekommen, darunter der Europameister Heinz Fütterer als Trauzeuge.