»Das Strohschuhmachen ist gar nicht so einfach wie man denkt«, betont Inge Schnaider, »das kostet Kraft und Konzentration.« Was früher die anstrengende Winterarbeit der Bäuerinnen auf den Höfen darstellte, hat die Biberacherin vor 13 Jahren zu ihrem Hobby erkoren.




Schon alleine der je nach Schuhgröße zwölf bis 15 Meter lange Zopf, aus dem der Schuh später genäht wird, »muss haargenau geflochten sein, der darf nicht mal dick und mal dünn, sondern muss ganz gleichmäßig sein.«
Mais – oder auch Roggenstroh wurde früher zum Flechten verwendet – auf den Höfen in rauen Mengen vorhandener Abfall also, dessen Besorgung für die 65-Jährige jedoch schwierig ist: »Bis man mal reifes Maislaub kriegt, ist der Mähdrescher schneller auf dem Acker als man gucken kann.« Hinzu kommt, dass die Maisblätter nach der Ernte ausgebreitet und trocken lagern müssen, damit sie richtig austrocknen können.
»Frau Keller hatte dazu ei-ne Scheune«, erzählt Inge Schnaider, »aber diese Möglichkeit habe ich nicht, ich wohne in einem normalen Haus.« Frau Keller – das ist die 88-jährige Mathilde Keller aus Entersbach, die bis vor einem Jahr noch selbst Maislaubschuhe herstellte: Von ihr hat sich Inge Schnaider das längst rar gewordene Handwerk beibringen lassen. Eineinhalb Jahre dauerte es, bis sie mit ihren selbstgefertigten Schuhen so zufrieden war, dass sie nicht mehr im Kaminfeuer landeten.
»Ich wollte was Kreatives machen«, erklärt die gelernte Industriekauffrau, die früher für ihre Kinder nähte und strickte. Aber als ihr die Hitze im Sommer das Stricken unmöglich machte, suchte sie nach einer Alternative. Und fühlte sich sofort angesprochen, als sie auf einem Markt Strohschuhmacherinnen bei der Arbeit sah. Umso mehr, als der Großvater Schuhmacher war und der Vater sämtliche Schuhleisten aufbewahrt hatte – solche nämlich benötigt Inge Schnaider für ihr Hobby.
Bast wird bearbeitet wie Maisstroh
Statt aus Maislaub flicht sie den Zopf aus Bast, »den muss man aber genauso bearbeiten wie das Maisstroh auch.« Abgesehen davon erhält sie viele aus Mais- und Roggenstroh gefertigte Schuhe zum Reparieren, denn beide Materialien brechen mit der Zeit. »Vor allem auch, weil die Schuhe ja meist in der Fasent getragen und deshalb immer wieder nass und trocken werden. Bei Schuhen aus Bast aber passiert nichts.«
Um Naturbast handelt es sich – ein pflanzlicher Faserstoff, der aus dem Inneren einer Palme gewonnen und in einem etwa eineinhalb Meter langen Strang geliefert wird. Aus diesem holt die Hobbywerklerin sich die benötigten Fäden heraus und zieht sie durch warmes Wasser, damit der Bast geschmeidig wird. »Man könnte ihn auch
trocken lassen, aber dann wird der Zopf nicht so schön.«
Damit dieser die erforderliche Länge erreicht, werden die Bastfäden in einer speziellen Technik immer wieder neu angesetzt, die dabei entstehenden Überstände mit
einer Schere abgeschnitten. Mit geübten, weit ausholenden Armbewegungen verhindert die Flechtende, dass sich die Enden der Fäden ineinander verheddern. Überdies bindet sie den Zopf an einem Stuhl an, »damit er beim Flechten Spannung hat, sonst geht das nicht«, denn immer wieder muss Schnaider kräftig an den Fäden ziehen, »nur so wird der Zopf schön fest.«
Ist er fertig gestellt, wird er kräftig eingenässt, zum Beispiel im Brunnentrog. Sobald das Wasser tief eingezogen ist, »gehe ich hinten aus dem Haus raus auf den Stein und klopfe den Zopf mit dem Hammer flach.« Zentimeter für Zentimeter, bis sämtliche Unebenheiten verschwunden sind, »so wird er ganz glatt gemacht.« Zur weiteren Verarbeitung muss der Zopf nun trocknen. Entweder am Kachelofen, das dauert nur zwei bis drei Stunden, oder bis zu einem Tag lang draußen in der Sonne.
Früher: Das pure, harte Stroh
Um aus dem Bastzopf nun einen Schuh zu nähen, kommen Leisten aus der ehemaligen großväterlichen Schusterwerkstatt zum Einsatz. Um einen dieser hölzernen Schuhmodelle näht Inge Schnaider zunächst ein Baumwollfell, »damit die Leute warme Füße haben.« Darauf folgt ein zwei bis drei Zentimeter dickes Vlies und darauf wiederum ein Tuch, »das alles ist die Innenverkleidung des Schuhs.«
Die früher auf den Höfen hergestellten Schuhe hingegen seien allenfalls mit einer alten Stricksocke oder Pulloverteilen gefüttert worden, weiß die Biberacherin. »Ich habe schon Frauen gesehen, die die Strohschuhe wie ganz früher völlig ohne ein Futter herstellen. Aber da kann man nicht drin laufen, so hart ist der Schuh.«
Inge Schnaider also näht den Bastzopf auf drei Stofflagen, was nur mit einer Halbrundnadel zu bewältigen ist. Hornhaut an den Fingern und ab und an offene Schrunden gehören dazu. Hinzu kommt das Gewicht der Holzleisten, von dem man sich als Laie keine Vorstellung macht: »Neulich hab’ ich ’nen Strohschuh in Größe 46 gemacht, da kann ich nicht länger als höchstens ’ne Stunde dran nähen, weil die Finger und Handgelenke dann zu weh tun.« Zum Schluss wollte Inge Schnaider wissen, »wie viel das Ding wiegt.« Stolze 1100 Gramm brachte es auf die Waage.
15 bis 18 Stunden
Fürs Nähen kommt ein Spezialfaden zum Einsatz, der beim Nasswerden nicht aufquillt. An der Sohle wird begonnen. »Ich zeichne mir auf, wo ich anfange, und stecke den Zopf mit Nadeln fest.« Im Oval geht es beim Nähen jetzt immer ringsum. »Ich muss sechs Reihen machen«, dem schließt sich das Nähen des vorderen Schaftteils samt Lasche an. »Aber das ist nicht bloß so ein Nähen wie beim Stoff«, erklärt die Fachfrau: »Ich muss den Faden immer mit viel Kraft ziehen, der muss fest sein, das ist wirklich eine Heidenarbeit.«
Ist der Bastzopf aufgenäht, wird er nochmals mit warmem Wasser befeuchtet und dem Schuh mit dem Hammer nun jede Unebenheit vorsichtig ausgetrieben, »da gibt es dann keine Hubbele mehr und nix.« Abschließend wird die Laufsohle aufgenäht – früher aus Ziegenleder, später aus den ausgedienten Schläuchen von Traktorreifen. Inge Schnaider verwendet modernen, abriebfesten Gummi. Schließlich gilt es noch, den Unterstoff am Schaft aufzutrennen, den Leisten herauszuholen und den Einschlupf mit farbigem Oberstoff zu umsäumen.
15 bis 18 Stunden braucht die Fingerfertige für ein solches Paar Schuhe – eine Kunst, die sie in der Regel zudem einmal monatlich im Ehrenamt auf den Gutacher Vogtsbauernhöfen vorstellt. »Manche von den Leuten, die zugucken, wollen das Nähen auch mal selber probieren. Aber nach zwei oder drei Minuten geben sie’s wieder auf«, lacht Inge Schnaider.
Handwerk
Strohschuhe waren die traditionelle Fußbekleidung der Landbevölkerung im Schwarzwald, aber auch im Hunsrück. Die Bäuerinnen stellten sie während des Winters her. Heutzutage werden sie noch als Hausschuhe sowie zur Fasent getragen.
In Japan dagegen waren Flechtsandalen gebräuchlich, die man aus Reisstroh hergestellte.