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Zell am Harmersbach | 27.11.2019

Beim Warten auf die Post entstand eine eindrückliche Reportage

Fotograf David Lohmüller zeigt multimedial Geschichten und Geschichtliches aus einer krisengeschüttelten Region

Foto:
Bereits zum dritten Mal war David Lohmüller (Mitte) mit einer Multimedia-Reportage Gast bei Ralf Hecht (rechts) und André Friedemann (links). Foto: Susanne Vollrath
von Susanne Vollrath

Auf »Eine Reise ins unbekannte Kurdistan« nahm David Lohmüller am vergangenen Donnerstag in der Kanzlei von Hecht + Friedemann die Besucher seiner Multimedia-Reportage mit. Krisen, Armut, Katastrophen – all das ist Alltag im Kurdengebiet. Aber es bietet auch großartige Landschaften, gastfreundliche Menschen und faszinierende Traditionen, wie der Reisejournalist erfahren durfte. Weltpolitik hautnah. Rund 150 Besucher wollten mehr darüber wissen.

David Lohmüllers neuste Multimedia-Reportage handelt vom unbekannten Kurdistan. Zuvor war der Fotograf schon mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch Indonesien gereist, ohne Flugzeug von Kanada nach Feuerland und mit dem Mofa nach Marrokko. Er hatte eine Überlandreise von Istanbul nach Kairo unternommen, versucht ohne Luftverkehrsmittel von Deutschland nach Australien zu kommen und ist per Anhalter nach Afrika gereist.
Gebannt hörten die Besucher David Lohmüller zu. Seine Erlebnisse und Bilder blieben nicht ohne Eindruck.

Ein Reise in den Nordosten des Irak – für die meisten Menschen undenkbar. Immerhin: Fünf waren schon einmal im Irak. »Die Dinge relativieren sich, wenn man vor Ort ist«, sagte Lohmüller im Laufe seines Beitrags. Er selbst war erst ganz frisch wieder einmal aus der Region zurück und präsentierte zum ersten mal die Reportage »Irak – unbekanntes Kurdistan«.

Mit Bildern von zerbombten Häusern, Kinderhänden mit Patronen, Flüchtlingslagern begann der Abend. Erschütternd und offensichtlich kein besonders lebenswertes Fleckchen Erde. »Aber für die Menschen ist der Irak ihre Heimat«, so Lohmüller. Er endete mit faszinierenden Landschaftsaufnahmen aus dem »wilden Kurdistan« Karl Mays. Dazwischen: jede Menge Geschichten und Geschichtliches.

Idomeni änderte alles

Seinen Anfang genommen hatte Lohmüllers Interesse an Region und Menschen zur Hoch-Zeit der Flüchtlings­krise: Er war als freiwilliger Helfer ins nordgriechische Flüchtlingslager Idomeni gegangen. »Die Zustände waren katastrophal«, erinnert er sich, vor allem bei Regen und Sturm. Besonders bedrückend: Wenn es dunkel wurde, war es auch im Lager dunkel. Lohmüller rief mit zwei Mitstreitern das Projekt #LightenUp ins Leben. Das Ziel: Spenden sammeln und Solarlichter und Taschenlampen verteilen, um dafür zu sorgen, dass die Menschen nicht länger im Dunkeln sitzen müssen. Ganz nach dem Motto »Mit dem Licht kommt das Lachen«. Im Laufe der Zeit entstanden Kontakte zu Jesiden, die darum baten auch in ihrer Heimat zu helfen. Der Auslöser für Lohmüllers Reisen nach Kurdistan mit dem Ziel, auch dorthin Lichter zu bringen.

Warten auf die Post

Der Anfang des Projekts stand unter keinem guten Stern: Am Tag der Abreise veröffentlichte das Auswärtige Amt eine Ausreiseaufforderung. Internationale Flüge waren ausgesetzt. Es blieb also nur eine abenteuerliche Einreise über den Landweg durch die Türkei. Seine erste Station: ein Waisenhaus in der Nähe von Dohuk. In Dohuk sollten die Lichter, die er verteilen wollte, per DHL ankommen. Wann, wusste keiner so genau. Also nutzt Lohmüller die Zeit, Land und Leute kennenzulernen und mehr über das Leben in Kurdistan zu erfahren. Im Waisenhaus erlebt er mit, wie sehr Kinder sich über ein Schaukel freuen können, wie sie bei einem Ausflug das ers­te Mal Rolltreppe fahren, wie groß trotz aller Krisen Jahrmarkt gefeiert wird. Lohmüller besucht das Jesidische Heiligtum in Lalisch.

In Erbil ließ sich der Kontrast zwischen moderner Stadt und traditionellem Leben fühlen. Lohmüller goss den Moment in ein Foto, das einen Schafhirten vor der Kulisse von Luxushochhäusern zeigt. Er findet einen deutschen Biergarten (»The place to be in Kurdistan«), besucht Moscheen und die älteste bewohnte Altstadt der Welt. Sie ist über 8.000 Jahre alt.

In Sulemaniyya besucht er das ehemalige Foltergefängnis von Saddam Hussein und findet neben Trauer und Trauma auch Zeichen der Hoffnung: Kunst und Kultur spielt wieder eine Rolle.

Schließlich unternahm Lohmüller noch eine mehrtägige Rundreise durch »das wilde Kurdistan«, wie es bei Karl May zu lesen ist. Nicht mit dem Auto, sondern mit dem Rad ging es für ihn von Erbil durch die Berge nach Duhok. »Die Landschaft entlohnt alle Strapazen«, kommentierte er den Trip.

»Es rückt den Blick auf die Flüchtlingskrise in Europa zurecht, wenn man sich vor Augen führt, wie es woanders ist«, sprach Lohmüller aus, was an diesem Abend sicherlich viele dachten, als die Bilder von Zeltstädten, in denen zehntausende Geflüchtete ausharren, auf die Leinwand projeziert wurden.

Irgendwann waren endlich auch die Lichter angekommen und konnten verteilt werden. »Das Licht ist die eine Seite«, erinnert sich Lohmüller. »Aber da gibt es auch diese große Dankbarkeit von den Menschen, weil man sich um sie kümmert.«

»Info« Kurdistan

Das Kurdistan, von dem David Lohmüller in seiner Reportage berichtet, liegt im Nordosten des Iraks und ist eine autonome Region mit eigenem Militär, den Peschmerga. Diese haben es erfolgreich geschafft, die Region vor dem Islamischen Staat zu schützen. Deshalb ist sie auch Heimat von mehr als zwei Millionen Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak geworden.

Die Gesamteinwohnerzahl der autonomen Region Kur­distan lag im Jahr 2015 bei etwa 5,5 Millionen Menschen. (Quelle: Wikipedia).

»Info« Jesiden

Jesiden sind eine ethisch-religiöse Minderheit, deren ursprüngliche Hauptsiedlungsgebiete im nördlichen Irak, in Nordsyrien und in der südöstlichen Türkei liegen. Durch Auswanderung, Flucht und Vertreibung leben mittlerweile rund 200.000 Jesiden in Deutschland. Jeside kann man nicht werden. Man wird Jeside durch Geburt, wenn beide Elternteile jesidischer Abstammung sind. Wer einen andersgläubigen heiratet, wird aus der Religionsgemeinschaft ausgeschlossen.

Seit August 2014 sind die Jesiden Opfer eines andauernden Genozids durch den Islamischen Staat. (Quelle: Wikipedia).

Vor allem die Flucht der Jesiden ins Sindschar-Gebirge im Sommer 2014 ist vielen noch ein Begriff. Damals fielen einem IS-Massaker rund 5.000 Jesiden zum Opfer, tausende Frauen und Kinder wurden entführt. Wer konnte, floh in die Berge – und saß dort erst einmal fest. Schließlich gelang es der PKK und dem US-Militär einen Korridor freizubomben, durch den zehntausende Jesiden nach Syrien fliehen konnten. Von dort sind viele in den Nord-Irak gegangen.

»Info« Unterstützen

David Lohmüller schreibt in seinem Blog, dass sich sein Leben nach seinem Einsatz in Idomeni komplett verändert hat. Er versucht, die Situation im krisengeschüttelten Kur­distan zu dokumentieren und darüber zu berichten. Er schreibt: »Es ist die wertvolls­te Arbeit, die ich je gemacht habe und ich würde sie liebend gerne weiterführen.« Er will weiter unabhängig über humanitäre Themen berichten. Unterstützen kann ihn jeder, der mag, über Crowdfunding und einmalige Spenden. Mehr Infos unter www.davidlohmueller.com.

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