Teil 7 unserer Serie über das Veterinärsystem des alten Zell führt zur Fleischbeschau und zum Wasenplatz. Fleisch, das nicht „bankwürdig“ war, kam auf die sogenannte Freibank. Und wenn auch das nicht mehr vertretbar war, ging es zum Wasenplatz, der Zeller Kadaverstelle.
1866 wurde Zell vom Großherzoglichen Bezirksamt aufgefordert, einen „Fleischschauer“ zu ernennen. Die Wahl fiel auf Tierarzt Breig, der damit die heikle Aufgabe übernahm, Tiere vor und nach dem Schlachten zu begutachten und im Zweifelsfall das Mittagessen zu verhindern. 1879 folgte der nächste Schritt: Eine zwölfteilige „Fleischbeschau-Ordnung“, verfasst vom Offenburger Bezirkstierarzt Merkle, sollte für Ordnung sorgen. Sie tat das gründlich.
chlachtzeiten, Gebühren, Zuständigkeiten, selbst die erlaubten Einfuhrzeiten für Fleisch wurden geregelt. Nachtarbeit war verboten, was bei den Metzgern auf wenig Verständnis stieß.
Besonders unbeliebt: Die Regel, dass auswärts geschlachtetes Fleisch nur nach erneuter Prüfung und mit Genehmigung der Ortspolizeibehörde verkauft werden durfte. Die Genehmigung galt einen Tag. Fleisch einführen? Nur zwischen 6 und 20 Uhr im Sommer, 7 bis 17 Uhr im Winter.
Urteil am Schlachttisch
„Bankwürdig“ lautete das begehrteste Prädikat, das ein Tier nach der Schlachtung erhalten konnte. Gemeint war damit: uneingeschränkt genusstauglich und zum Verkauf im Laden zugelassen. Doch längst nicht jedes Stück Fleisch schaffte es in die Theke. Als „nicht bankwürdig“ galten Teile, die zwar noch genießbar waren, aber Mängel aufwiesen wie minderwertige Qualität, kleine Entzündungen oder auffällige Befunde. Diese mussten über die sogenannte „Freibank“ verkauft werden, oft unter Auflagen, etwa durch vorheriges Abkochen.
Der Freibank-Laden befand sich in der Waagstube in dem an das Rathaus angebauten städtischen Wachthaus. Metzger waren verpflichtet, in ihrem Laden auf solche Angebote mit einem Plakat im Fenster hinzuweisen: „Hier wird Fleisch auf der Freibank verkauft!“
War das Fleisch auch durch die Freibank nicht mehr zu retten, blieb nur der Wasenplatz. Dort endete das Fleisch, das niemandem mehr zuzumuten war. Mindestens einen Meter tief vergraben, mit Petroleum übergossen, für immer aus dem Verkehr gezogen.
Der Wasenplatz von Zell
Ab dem frühen 19. Jahrhundert gab es die Verpflichtung für einen sogenannten Wasenplatz: eine Kadavergrube am Rand des Orts. In Zell errichtete der Gerbermeister Johann Baptist Vetter 1865 eine solche auf der Gasselhalde. Seine Aufgabe als Vasenmeister: tote Tiere holen, verwertbares Material wie Haut oder Knochen sichern, den Rest „unschädlich“ machen. Am ersten Wasenplatz in Zell führte just ein Kurweg vorbei, zwei Fischteiche gab es auch noch. Das Bezirksamt urteilte später trocken: „Eine hygienische Zumutung.“ Das Grundwasser war gefährdet.
Schon kurze Zeit später hebt das Großherzogliche Ministerium des Inneren den Wasenplatzwang auf. Jeder durfte seine verendeten Tiere selbst auf jedem geeigneten Grundstück vergraben. Ebenfalls ein unhaltbarer Zustand.
Streit um Haut und Honorar
Zahlreiche Konflikte begleiteten das System. Die Stadt Zell drückte sich gern um Zahlungen. Der Streit um Entlohnung, Zuständigkeit und Infrastruktur zog sich über Jahrzehnte. Schließlich übernahm 1894 der Taglöhner Franz Hackel die Wasenmeisterei, zuständig nur noch für Zell. Verbesserungen wie das Verfüllen der Teiche oder die Erweiterung der Zufahrt zogen sich mangels Geldes lange hin.
1903 wurde das Ende der alten Abdeckerei eingeläutet. Mit der Einführung von Verbandsabdeckereien und später der thermischen Tierkörperbeseitigung wandelte sich das System grundlegend. Wertvolle Reststoffe konnten nun verwertet werden zu Seife, Dünger, Leim, Tiermehl und Leder.
Vom Wasenplatz zur Tierkörperbeseitigung
Die Geschichte der Tierkörperbeseitigungsanstalt, kurz TBA, beginnt 1903, als das Großherzogtum Baden das Abdeckereiwesen grundlegend neu ordnet. Auch Zell musste mitziehen. Statt weiter auf eigene Faust zu verscharren oder an den örtlichen Wasenmeister zu übergeben, sollten Kadaver nun zentral entsorgt werden. Dafür wurde eine Anlage in Oberschopfheim gebaut, die 1910 in Betrieb ging. Der Bau kostete rund 115.000 Mark. Das war damals genug für ein Dutzend Einfamilienhäuser. Dafür versprach die neue Anlage keine Seuchengefahr mehr, keine Geruchsbelästigung, keine Fischteiche auf dem Wasenplatz neben dem Spazierweg. Und die Verwertung der Reste für Seife, Dünger oder Tiermehl wurde zur wirtschaftlichen Nebensache mit Nutzen.
Doch auch diese neue Ordnung war nicht krisenfest. Im Ersten Weltkrieg fehlte es an Personal, in der Inflation von 1923 an Kohle. Die TBA musste vorübergehend schließen. Zell war froh, dass es noch den alten Abdecker hatte, der zumindest kleine Tiere weiter „verwerten“ durfte.
Zitat aus einem Brief der TBA an den Gemeinderat Zell: „Es sind z. B. in der Zeit vom 1. April bis 9. November ds. Js. an Ausgaben 4 964.525.000.000 M und nur eine Einnahme von 415.693.000.000 ℳ zu verzeichnen.“ … „Durch Erschöpfung unserer Kohlenvorräte mußten wir in den letzten Tagen einen Waggon Kohlen bestellen,“ … „Durch den weiteren Sturz der Mark in den letzten 2 Tagen ist nach dem Dollarstand von gestern eine Ausgabe von 280 x 600 Milliarden = 168.000 Milliarden Mark erwachsen.“
„… einstweilen bei der Sparkasse aufgenommen und mit 5 Prozent täglich verzinst werden muß.“
Hoffentlich müssen wir mit solchen Zahlen in Zukunft nicht wieder umgehen!
Kleine Parasiten, große Probleme
Wer Fleisch untersuchen will, muss wissen, wonach er sucht. Und im alten Zell wusste man das zumindest nach und nach. Ab 1900 gerieten sogenannte Finnen in den Fokus: winzige Larven des Rinderbandwurms, die sich im Muskelgewebe einnisten. Wer das Fleisch nicht ausreichend erhitzte, bekam Besuch im eigenen Darm. Die damalige Lösung: Das Fleisch wurde bei fünf Grad ins Kühlhaus gelegt, in der Hoffnung, die Parasiten würden erfrieren. Ein Trugschluss. Erst Jahrzehnte später wusste man: Nur Tiefkühlung unter minus 18 Grad hilft.
Noch gefährlicher als Finnen sind Trichinen, winzige Würmer, die beim Verzehr von Schweinefleisch zur tödlichen Gefahr werden konnten. 1934 reagierte das Veterinärwesen: Die Trichinenschau wurde eingeführt, Mikroskope angeschafft. Oft mussten Fleischbeschauer das selbst bezahlen. Und nicht selten war das heimische Wohnzimmer der einzige „Untersuchungsraum“. Trotzdem bedeutete dieser Schritt einen Meilenstein für die öffentliche Gesundheit.
Hundefleisch am Anfang des 20. Jahrhunderts
1901 wurden Missstände bei der Lebenduntersuchung festgestellt. Auch Hunde durften damals noch geschlachtet werden, ihr Fleisch unterliegt der Fleischbeschau. Auch das Schächten war zum Teil erlaubt.
Um die Kosten zu vermindern, wird vorgeschlagen, die Gemeinden Zell, Unterharmersbach und Unterentersbach zu einem Fleischbeschaubezirk zusammenzulegen, doch der Stadtrat ist wegen angeblich erhöhter Kosten dagegen. Das Bezirksamt stellt dagegen fest, dass keine erhöhten Kosten entstehen.
Schlachten für das Militär
Ab 1. November 1937 durften die Häute von Pferd und Rind nur noch am Kopf bezeichnet oder eingeschnitten werden, da das Militär sie für die Herstellung ihrer Tornister brauchte. Im November 1937 wurde auch endlich eingeführt, dass ein Schwein zur Beschau hängend und Rückgrat und Kopf gespalten sein mussten.
Die Rolle der Tierärzte wandelte sich in dieser Zeit merklich. Aus dem klassischen „Rossarzt“ wurde ein Fachmann für öffentliche Hygiene. Anstelle bloßer Lebendbeschau traten systematische Fleischuntersuchungen. Wer das nicht ernst nahm, dem drohte Ärger.
Wie fand die Kommunikation damals statt?
Gesetze und Verordnungen wurden durch handschriftliche Schreiben den Betroffenen mitgeteilt und von diesen unterschrieben. Man kann sich vorstellen, dass die Vorschriften nicht lange im Gedächtnis blieben, wenn man sich keine Notizen machte, und wer machte das damals schon.
Wie ist das heute?
Die Fleischbeschau ist in Deutschland Pflicht und erfolgt nach den Vorschriften der Europäischen Union. Untersucht wird jedes Tier vor und nach der Schlachtung durch amtliche Tierärztinnen oder Fachassistentinnen. Dabei geht es vor allem um die Früherkennung von Krankheiten und um den Schutz der Verbraucher*innen vor gesundheitlichen Risiken wie Salmonellen, Trichinen oder Rückständen von Medikamenten.
Nicht mehr genusstaugliches Fleisch wird nicht mehr wie früher gekocht und auf der „Freibank“ verkauft. Heute wird solches Fleisch konsequent aussortiert, dokumentiert und entsorgt. Das gleiche gilt für Fleisch, das durch Parasiten oder andere Befunde als gesundheitlich bedenklich gilt.
Für die Entsorgung tierischer Nebenprodukte gibt es bundesweit organisierte Tierkörperbeseitigungsanstalten (TBA). Sie arbeiten mit Spezialfahrzeugen, luftdicht verschlossenen Behältern und unter strengsten Hygienevorgaben. Auch Haustiere, Wildunfälle und Konfiskate aus Supermärkten oder Metzgereien landen dort. Die Reste werden bei hohen Temperaturen thermisch zu Tiermehl, Fett oder Energie verarbeitet.
Der Beruf des „Wasenmeisters“ ist längst Geschichte. Heute heißen die Fachkräfte „Tierkörperentsorger“ oder „Entsorgungsfachpersonal“. Ihr Arbeitsumfeld ist modern, oft computergesteuert und garantiert ohne Spazierweg nebenan.
Quellen:
Stadtarchiv Zell am Harmersbach
VII. Landwirtschaft, Tierzucht, Veterinärwesen
Akten:
Tierzucht Veterinärwesen № 2-4 (1862-1949)
Tierzucht Veterinärwesen № 14 und 15
4. Veterinärwesen № 15 (ab 1933)
Tierärzte und Fleischbeschau ab 1933



