Im Jahr 2020 hätte die Musik- und Trachtenkapelle Unterharmersbach ihr 150-jähriges Jubiläum gefeiert. Es waren dazu mehrere Veranstaltungen geplant. Im Februar fand noch ein Festbankett statt im eigenen Probelokal des Musikvereins. Danach mussten alle Veranstaltungen aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt werden. In den drei Folgen dieser Serie erzählt Patrick Friedmann die Geschichte des Musikvereins Unterharmersbach von den Anfängen bis ins Jahr 1950. Heute: Die Zeit des Nationalsozialismus.





1933 wird Adolf Hitler Reichskanzler und der Nationalsozialismus beherrscht Deutschland. Im Rahmen der Gleichschaltung wurden die Musikverbände aufgelöst, und der Musikverein musste sich 1935 beim Reichsverband für Volkmusik in der Reichmusikkammer neu anmelden. Bei dieser »Gelegenheit« wurde auch gleich die Zugehörigkeit zu NS-Organisationen abgefragt. Dadurch sind zwei Mitgliederlisten erhalten geblieben. Im November 1935 zählte die Kapelle 34 Mann einschließlich des Dirigenten. Davon trugen 25 Musiker die Berufsbezeichnung »Fabrikarbeiter« (sie arbeiteten also in der Zeller Keramik), 7 Musiker waren Landwirte, zusätzlich gab es einen Sattler (Alfred Armbruster) und einen »Schauffer [Chauffeur, also einen Fahrer]«. Neun Musiker spielten auch im Streichorchester, das mit Klarinetten, Violinen, Cello, Klavier, Trompete, Waldhorn und kleiner Trommel besetzt war.
Die NS-Ideologie nahm auch Einfluss auf das Repertoire der Kapellen: »Musikstücke von den nachstehenden nichtarischen Komponisten dürfen nicht mehr aufgeführt werden. Es sind dies: Fall, Jessel, Kallmann, Morena, Ochs, Lassen, Sousa und Translateur […]. Verb[otene] Aufführungen. Laut höchster Anordnung soll das Spielen des »Historischen Zapfenstreichs« den Heereskapellen vorbehalten bleiben. Es ist daher allen übrigen Kapellen verboten, diesen aufzuführen. Der Nibelungenmarsch darf künftig nur zum Fahneneinmarsch auf dem Parteitag in Nürnberg gespiel[t] werden, auch der Badonwiller Marsch darf in Zukunft nur noch bei festlichen Anlässen der Partei gespielt werden.« (13)
Die Protokolle der Generalversammlung schließen nun mit »mit einem dreifachen Sieg-Heil auf unseren Volkskanzler Adolf Hitler«.
In Zell gab es ab 1928 zwei Musikkapellen. Nachdem es zum Streit gekommen war, formierte sich neben der Stadtkapelle der Musikverein »Harmonie« Zell, im Volksmund »Bach-Musik« genannt nach der Lage des Probelokals. Dirigent der Kapelle war Joseph Riehle, der in Unterharmersbach kein Unbekannter war. Anhand der Kassenbücher ist belegt, dass er mehrfach als Aushilfe in Unterharmersbach mitspielte und dafür entlohnt wurde. Das Verhältnis zwischen »Bach-Musik« und den Hombachern scheint freundschaftlich gewesen zu sein. Sie nimmt auch 1929 am Musikfest in Unterharmersbach teil, während die Stadtkapelle der Veranstaltung fernblieb.
Zwangsvereinigung
Im Jahr 1934 ordnete der Zeller Bürgermeister Adrian Kopf die Zwangsvereinigung der beiden Zeller Kapellen an. Diese Maßnahme dürfte nicht von allen Musikern begrüßt worden sein. Vielleicht ist das der Grund, warum Joseph Riehle und Karl Sättler im Januar 1935 als Mitglieder in Unterharmersbach aufgeführt sind, in der Liste vom November 1935 aber nicht mehr. Wollten sie durch einen Wechsel nach Unterharmersbach der Zwangsvereinigung entgehen?
Die Anordnungen von Adrian Kopf gingen noch weiter. Zum Dirigenten der wiedervereinigten Zeller Stadtkapelle wurde Wilhelm Braun bestimmt, der fortan also zwei Kapellen leitete.
Joseph Riehle und Alfred Dreher (der bisherige Dirigent der Stadtkapelle) mussten ihre Ämter niederlegen, Riehle blieb jedoch Vizedirigent. Bürgermeister Adrian Kopf betonte 1933 in der Zeller Generalversammlung das »Freundschaftsverhältnis zwischen Zell und Unterharmersbach«. Vielleicht war das schon der Versuch im Vorfeld Spannungen abzubauen.
Die doppelte Verpflichtung des beliebten Dirigenten wurde von den Hombachern durchaus mit Sorge betrachtet. Im Protokoll der Generalversammlung von 1938 findet sich dazu folgender Eintrag: »Vereinsdiener Jos[ef] Lehmann erklärte, dass er das Amt des Vereinsdieners nur annehme [,] wenn Dirigent Braun weiterhin die Musikkapelle Unterharmersbach dirigiere und zu ihr halte. Dirigent Braun gab hierüber folgende Auskunft: Bevor er die Kapelle in Unterharmersbach abgebe, trete er als Kapellmeister in Zell zurück«. (13)
Im Krieg bis zur Neugründung
Die letzte Sitzung vor Kriegsbeginn ist am 30. April 1939 protokolliert. Vom Konzert am 24. August 1941 im Ochsen wurden 80 RM an das Rote Kreuz gespendet. 1941 schickte der Musikverein ein großzügiges Feldpostpäckchen mit Verpflegung an die aktiven Musiker an der Front. Groteskerweise wurden die Ausgaben aus der »Sterbekasse« bestritten. Die letzten Kassenbewegungen sind am Weißen Sonntag 1942 verzeichnet. Danach ruhte der Musikbetrieb. Sieben Musiker verloren im Krieg ihr Leben.
Wieder selbstständig
Am 5. Januar 1947 wurde der Musikverein im Ochsen neu gegründet »laut Beschluß der Militär – Regierung. […] Als 1. u[nd] 2. Vorstand wurden Sattlermeister Alfred Armbruster u[nd] Bürgermeister Jos[ef] Roth vorgeschlagen, welche einstimmig durch Zuruf angenommen wurden.« (13) Als Dirigent ist »Josef Riehle, Fabrikarbeiter« genannt. Die Aussprache der aktiven Musiker am 15. Juni 1947 bringt dazu die Aufklärung: »Als Leiter der Musikkapelle wurde einstimmig unser alter Dirigent Wilhelm Braun bestellt. Und zwar ab 1. Januar 1948. Es wurde ein Schreiben hereingereicht, worauf jeder sich durch seine Unterschrift weiterhin einverstanden erklärte, unter der Leitung von Herrn Braun als aktiver Musiker tätig zu sein. Herr Braun wurde von unserm 1. Vorstand von dem Beschluß in Ken[n]tnis gesetzt und hat sich dafür erklärt, daß er die Sache annimmt, bis ein geeigneter Mann aus unserer Reihe fähig ist [,] die Leitung zu übernehmen. […] Da bis jetzt unsere Kapelle gemeinsam mit der Zeller Stadtkapelle musizierte, da keine Kapelle bis jetzt in der Lage war [,] allein Musik zu machen, wurde nun auf Wunsch einiger Musiker das Problem der Loslösung auf die Tagesordnung gesetzt. Nach Befragung aller Musiker wurde nun der Beschluß gefaßt, daß unsere Kapelle sich ab 1. Januar 1947 wieder selbständig macht. Nach Rückkehr vieler Musiker aus der Gefangenschaft sind wir nun wieder in der Lage [,] selbst eine Kapelle aufzuziehen. (21 alte aktive Musiker)«. (13) In der Verwaltungssitzung im Dezember 1947 wurde Wilhelm Braun gefragt »ob er gewillt ist, die Leitung unserer Musikkapelle zu übernehmen und um seine Stellungnahme. Herr Braun fragte hierauf, ob die Trennung der Musik von Zell und Unterharmersbach irgendwelche Streitigkeiten nach sich gezogen hat, was er keinesfalls durch seine Übernahme als Dirigenten wünscht. Vorstand Armbruster gab hierauf die nötigen Erklärungen, worauf nun Herr Braun sich bereit erklärte, die Leitung der Musikkapelle zu übernehmen, mit dem Wunsch aus den Reihen der aktiven Musiker einen Ersatz heranzubilden, schon aus Rücksicht auf sein fortgeschrittenes Alter.[…] Herr Braun ist sich seiner schweren Aufgabe bewußt, da durch den Krieg einige unserer Besten für immer fehlen werden und dementsprechend erst unten herangezogen werden müssen.« (13) Zwei aktive Musiker wechselten von der Klarinette zum Flügel- und Tenorhorn »bedingt durch die Verwundung«. (13)
Unter Josef Riehle haben die Zeller und Hombacher in der Not der Nachkriegsjahre gemeinsam musiziert. Die Trennung erfolgte scheinbar nicht im Streit. Riehle war von 1947 – 1955 Dirigent der Stadtkapelle, später widmete er sich dem Aufbau des Musikvereins Unterentersbach.
Zeller und Hombacher Musikanten – Musik verbindet
Wie man im Laufe dieses Berichts gesehen hat, gab es in der Vergangenheit viele Verbindungen zwischen den benachbarten Kapellen. In den 1820er-Jahren musizierte man gemeinsam. Nach der Gründung der Hombacher Musik sind in den Kassenbüchern mehrfach Aushilfen aus Zell belegt, vermutlich haben auch Hombacher in Zell unterstützt. Die meisten Aktiven aller Kapellen führten ein einfaches Leben als Fabrikarbeiter. Viele Freundschaften dürften über die Musik hinausgereicht haben.
Xaver Moßmann, Dirigent der Stadtkapelle von 1852 bis 1879, gab auch Musikunterricht an der Hambacher Schule (für ein Jahresgehalt von 7 ½ Gulden). (14) Karl Brucher aus Unterharmersbach war zuerst Vizedirigent, dann Dirigent der Stadtkapelle von 1882 bis 1886. Wilhelm Hauer, Dirigent in Unterharmersbach von 1906 bis 1911, bewarb sich 1908 bei der Stadtkapelle, die nach dem Rücktritt ihres Dirigenten zwei Jahre lang nicht existierte. Er wurde aber abgelehnt. (6) Mit Wilhelm Braun (1919 – 1953), Wilhelm Dreher (1954 – 1957)16, Ludwig Stenzel (1958 – 1974) und Bernhard Kienzle (1978 – 1990) führten mehrere Zeller in Unterharmersbach den Taktstock. Die Dirigenten Karl Brucher, Wilhelm Braun, Josef Riehle, Gerhard Pelz und Bernhard Kienzle haben beide Kapellen dirigiert. Die Tradition setzt sich fort bis in die heutige Zeit: Stefan Polap aus Zell leitet seit 1995 die Musikkapelle Unterharmersbach, seit 2017 ist er auch Dirigent der Stadtkapelle.
Musik zum Tanzen
Die Liste der Gemeinsamkeiten lässt sich noch weiter fortsetzen. Lange Zeit spielte der »Musikexpress Unterharmersbach« zum Tanz auf, zusammengesetzt aus Musikern »beider Konfessionen«. In guter Erinnerung sind bei den Jüngeren die gemeinsamen Ferienlager mit dem »ZEH« (Zell-Entersbach-Hombe). Auch heute hilft man sich gegenseitig aus und ist in Freundschaft verbunden.
Magische Anziehungskraft
Es sollen an dieser Stelle aber auch nicht die Probleme und Auseinandersetzungen in den 1920er Jahren verschwiegen werden. Die Chronik der Stadtkapelle berichtet 1923 von der Bitte des Unterharmersbacher Bürgermeister Pfundstein an seinen Zeller Kollegen »um eine vertragliche Vereinbarung, wonach kein Musiker von der Kapelle des anderen Ortes aufgenommen werden dürfe« (2) und schließt daraus, dass »die Zeller Musikkapelle eine gewisse Anziehungskraft auf Musiker aus Unterharmersbach ausgeübt […]« habe. Doch was soll diese Anziehungskraft ausgelöst haben? Die Hombacher Musik war damals eine aufstrebende Kapelle, wie wir anhand der Teilnahme an Wertungsspielen gesehen haben, in Zell kam es 1927 zur Abspaltung und Gründung der »Bachmusik«. Die Protokolle im Vereinsarchiv beginnen zwar erst 1925, es ist aber nachweislich bekannt, dass auch Zeller im Hombe mitgespielt haben. Vielleicht hat man auch einfach versucht den einen oder anderen Musiker aus Unterharmersbach abzuwerben?
Keine Teilnahme
Die Verstimmung zwischen beiden Kapellen scheint tiefer gewesen zu sein. 1926 verweigerten die Hombacher die Teilnahme am »100-jährigen Stiftungsfest« in Zell. 1929 blieb die Stadtkapelle beim Hombacher Jubiläum zu Hause, der Musikverein »Harmonie« Zell nahm jedoch teil. Die freundschaftliche Verbindung zwischen »Harmonie« und Hombacher Musik dürfte der Stadtkapelle nicht gefallen haben.
1934 wurden Stadtkapelle und »Harmonie« per Anordnung zwangsvereinigt, Wilhelm Braun wird zum Dirigenten bestimmt. Direkt nach dem Krieg spielten Zeller und Hombacher zusammen bei den Prozessionen unter der Leitung von Josef Riehle, der bei beiden Kapellen gut vernetzt war. Beim 80-jährigen Stiftungsfest des Musikvereins Unterharmersbach im Jahr 1950 traten die beiden Kapellen zum Abschluss des Festbanketts gemeinsam auf. Sie spielten den Marsch: »In Treue fest«…
Freundschaftlich verbunden
Heute sind alle drei Musikkapellen der Stadt Zell am Harmersbach freundschaftlich verbunden: die Stadtkapelle Zell, der Musikverein Unterentersbach und die Musik- und Trachtenkapelle Unterharmersbach. Man kennt sich, schätzt sich und hilft sich gegenseitig aus. Möge die Musik noch lange in allen Teilen der Stadt Zell erklingen!
1993 veranstalteten die Kapellen ein als »1. Feuerwerk der Blasmusik« bezeichnetes gemeinsames Konzert. Wäre es nicht eine Bereicherung für alle, ein »2. Feuerwerk der Blasmusik« zu zünden?
Epilog
Vor vielen Jahren erzählte mir der Unterharmersbacher Ehrendirigent Ludwig Stenzel, wie das Musizieren vor dem Krieg war. Als Mitglied der »Bachmusik« und der Stadtkapelle hat er die Zeit aktiv erlebt. Noch länger ist es her, dass mir das Ehrenmitglied Josef Huber vom Grün alte handgeschriebene Noten und Marschbücher übergab. Als ich in den alten Protokollbüchern geblättert habe, erinnerte ich mich an alles und fasste den Entschluss, daraus diesen Bericht zu schreiben. Ich hoffe, dass ich damit nicht nur die Musiker ein wenig unterhalten konnte.
Als Musiker hätte ich gerne mal gehört, wie die Kapelle in den zwanziger Jahren geklungen hat, gerade bei den Wertungsspielen. Viele der damaligen Noten sind im Archiv erhalten. Bei den Ouvertüren erfordern besonders die Stimmen der Flöten, Klarinetten, des 1. Flügel- und Tenorhorns großes Können. Leider gibt es aus der damaligen Zeit keinerlei Aufzeichnungen.
Ein herzliches Dankeschön gebührt Dr. Günter Schmeisky, Hermaringen, der in unzähligen Stunden die für mich manchmal kaum lesbaren Protokollbücher abgeschrieben hat. Ohne diese Vorarbeit wäre das alles nicht möglich gewesen. Ein weiterer Dank geht an Dr. Dieter Petri für seine Recherche im Gemeindearchiv.
Bitte an die Bevölkerung
Zum Schluss habe ich noch eine Bitte, speziell an die ältere Bevölkerung und die Nachkommen der ehemaligen Musiker. Es gibt leider nicht sehr viele Photographien aus der alten Zeit. Wer hat eventuell in alten Alben noch Bilder von der Hombacher Musik? Es würde uns eine sehr große Freude bereiten, wenn wir diese »Schätze bergen« dürften…
Quellen und Anmerkungen
11 Musikverein Unterharmersbach, Kassenbuch Ausgaben
12 Musikverein Unterharmersbach, Kassenbuch Einnahmen
13 Musikverein Unterharmersbach, Protokollbuch 1937 – 1966
14 Rudolf Hahn, Heimatbuch der Gemeinde Unterharmersbach, Die Volksschulen Hambach und Kirnbach 1728/1871, Hrsg. Gemeinde Unterharmersbach, 1975
15 Der Chronist erzählt, Franz Schwarz, Hrsg. Josef Heisch, 1994
16 Wilhelm Dreher ist der Sohn von August Dreher, der von 1892 – 1934 die Stadtkapelle leitete. Sein Bruder Alfred dirigierte sie von 1934 – 1935. Die musikalische Tradition wird durch die Söhne von Wilhelm bis in die heutige Zeit weitergeführt: Thomas Dreher führt den Taktstock beim Männergesangsverein Liederkranz Unterharmersbach. Wolfram Dreher leitet den Kirchen- und den Joy&Fun-Chor. Joachim Dreher spielte viele Jahre die Kirchenorgel in Zell.
Wertungsspiele in den 1920/1930er Jahren
1923 in Aichhalden: 1. Preis (ohne Angabe der Kategorie)
1924 in Biberach (Baden): 1a Preis (ohne Angabe der Kategorie)
1925 in Lauterbach: 1. Preis in der höheren Abteilung
1925 in Triberg: 1a Preis in der Oberstufe
1925 in Wolfach: 1a Preis (ohne Angabe der Kategorie)
1926 in Steinach: 1a Preis (ohne Angabe der Kategorie)
1927 in Alpirsbach: 1a Preis in der Abteilung Kunststufe mit Stundenchor
1927 in Gutach (Amt Wolfach): 1a Preis (ohne Angabe der Kategorie)
1928 in Hausach: 1a Preis in der Kunststufe
1932 in Schiltach: »Sehr gut« im Marschmusikwettbewerb
1933 in Freiburg i. Br.: 1a Preis in der Oberstufe
1934 in Elgersweier: 1a Preis in der Kunststufe
1936 in Ortenberg: »Vorzüglich« im Marschmusikwettbewerb