Dass Musik heilsame Wirkkraft entfalten kann, weiß der Mensch, seit er bewusst Klänge erzeugt. Komponisten und Musiker der Renaissance sahen darin eine universelle Gesetzmäßigkeit, nach der man sein Streben und Schaffen auszurichten hatte. Auf diese musikalische Spurensuche machte sich das renommierte Duo Martina und Lutz Kirchhoff beim 2. Konzert der »Sommermusik« in der Evang. Kirche.
Unter dem Leitspruch »Harmonie der Welt« versprach das Programm »tänzerische, lebensfrohe und geistreiche Musik, die auf natürliche Weise zeitlos ist«. Das war nicht zu viel versprochen: Wie Perlen an der Schnur reihten sich die Preziosen aus der musikalischen Schatztruhe europäischer Regionen aneinander. Mit virtuosem Spiel auf der Renaissance-Laute und verschiedenen Violas da Gamba bezauberte das Duo seine Zuhörer.
John Dowland hat nicht nur die Musik der elisabethanischen Epoche maßgeblich beeinflusst, sondern wirkt mit seinem Melodienreichtum selbst in die heutige Pop-Musik hinein (Sting, Ritchie Blackmore u.a.). Der Auftakt mit drei Stücken aus Dowlands berühmten »Lacrimae« war ein »Ohrenöffner«, der die Atmosphäre des gesamten Abends bestimmte: gespannte Aufmerksamkeit und konzentriertes Lauschen.
Glanzpunkte setzten die Kirchhoffs mit traumwandlerisch sicherem Zusammenspiel und makellosen Soli. Schon das beseelt interpretierte »Flow my tears«, einer der größten Erfolge von Dowland, ließ die hohen Ansprüche der beiden Instrumentalisten erkennen. Melancholische Lacrimae oder beschwingte Tanzstücke wie die Galliarde oder die Paduana zogen die Hörer in den Bann.
»Lautenbuch« und Spieltechnik
Lutz Kirchhoff erläuterte unter anderem die Kompositionstechniken der alten Meister und ihre musikalischen Gepflogenheiten. Demnach führten nicht nur die Virtuosen und Berufsmusiker jener Zeit ein »Lautenbuch«, in dem Ideen, Fragmente und Fremdkompositionen festgehalten wurden. Darüber tauschte man sich auf dem gesamten Kontinent und den britischen Inseln aus und erweiterte so das musikalische Spektrum.
Lutz Kirchhoff demonstrierte das beispielhaft mit »Welscher Tanz«, einem Lautensolo, das mit fingerflinken Läufen und rhythmischem Daumenanschlag der Basssaiten beeindruckte. Bei den vier kurzen »Polnische(n) Tänze(n)« wiederum überzeugten das präzise abgestimmte Zusammenspiel und das betonte pizzicato auf der Viola da Gamba.
Interessantes über das historische Instrumentarium erfuhr das Publikum von Martina Kirchhoff. Bei den adligen Damen jener Zeit war die Violine verpönt, da man sie unter das Kinn klemmen musste. Zudem galt die Fidel als das Instrument bei Bauernhochzeiten. Im 17. Jahrhundert wurde deshalb eine kleinformatige Viola da Gamba gebaut, die violinähnliche Töne erzeugt. Der Solovortrag »Les échos« zeigte dies anschaulich und auf berückende Weise.
Wo bekannte britische Folk-Gitarristen wie John Renbourn oder Bert Jansch ihre Wurzeln haben, offenbarte sich, als Lutz Kirchhoff drei virtuose Kompositionen aus dem »Schottischen Lautenbuch« darbot: Eingängige Melodien, fließendes und subtil swingendes Saitenspiel. Fraglos ein Höhepunkt des Konzertabends.
Dem folgte ein weiteres Highlight, als Martina Kirchhoff mit der siebensaitigen französischen Bassgambe ein Werk von Mazin Marais anstimmte, der als Gambenvirtuose und Komponist am Hofe Ludwigs XIV. wirkte. Vom meditativen Prélude über die an den Schreittanz erinnernden Gavotte und Menuett bis zum fulminanten Grand Ballet ließ das Gambensolo keine Wünsche offen: Doppelgriffe, springender Bogen, sensibles Ritardando, aus dem sich ein flirrendes Tremolo entfaltete.
»Wunder an Diskretion und Konzentration«
Nach zwei spanischen Stücken, bei denen das Duo seine Improvisationskunst unter Beweis stellte, zitierte Lutz Kirchhoff den Astronomen Johannes Kepler, der »ob des göttlichen Schauspiels der Harmonien« eine »unaussprechliche Entzückung« empfand. Damit ging die musikalische Reise zurück nach England zu einem Zeitgenossen John Dowlands. Die Musik von Thomas Robinson verbindet in ihrer stets melodiösen und ansprechenden Ausführung das Ernste und das Tänzerische vortrefflich. Vom Duo Kirchhoff grandios dargeboten mit »Guige« und »A toy«.
Auch die Zugabe – »Potpourri« von Césare Negri – unterstrich die Fähigkeit der Interpreten dem Publikum das zu vermitteln, was der Komponist Wolfgang Rihm mit Bezug auf die bagatell-kurzen Stücke einmal als »Wunder an Diskretion und Konzentration« bezeichnete.
Lang anhaltender Applaus begleitete die Vergabe der weißen »Sommermusik«-Rose, mit der Michael Horst namens der Evang. Kirchengemeinde und der Stadt Zell das Duo Martina und Lutz Kirchhoff ehrte.