Die kath. Kirche folgt bei ihrer Aufteilung in Pfarreien und Diözesen dem Orts- bzw. Gebietsprinzip. Bisweilen aber widmet sie sich auch bestimmten beruflichen Gruppen. Ein Beispiel dafür ist die Kolping-Bewegung. Sie geht zurück auf den rheinischen Geistlichen Adolph Kolping.






Ihn beschäftigten die Schwierigkeiten der wandernden Handwerksgesellen. Deren Problem war die Herbergssuche. Unterkünfte in Gasthöfen und Pensionen konnten sich die jungen Handwerker auf Arbeitssuche nicht leisten. Die Anhänger Kolpings errichteten daher in Städten mit größerem kath. Bevölkerungsanteil sog. Kolpinghäuser. Auch in Offenburg wurde ein solches errichtet. Im ersten Halbjahr 1930 beherbergte es vorübergehend 2.200 Gesellen.
Wandernde Handwerksgesellen kennt man heute nicht mehr. Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts gehörten sie zum Alltag. Bis in die Mitte des 19 Jahrhunderts waren die Handwerker in Zünften organisiert. Sie verlangten, dass die jungen Männer sich nach Abschluss ihrer Lehre 3 Jahre in die Fremde begeben müssen, wenn sie einmal als Meister anerkannt und als Meister in die heimische Zunft aufgenommen werden wollten.
In Zell gab es eine Rosenkranzbruderschaft
Geleitet wurde ein Gesellenverein von einem »Präses« und einem »Senior«. Das Amt des Präses kam immer einem Geistlichen zu; meist dem Kaplan oder Vikar in einer Pfarrei. Der Geistliche bestimmte ein Vereinsmitglied zu seinem Stellvertreter, dem Vize-Präses. Ursprünglich haben sich Vereinigungen katholischer Laien als »Bruderschaften« bezeichnet. Sie widmeten sich der Pflege religiösen Lebens. So gab es in Zell eine Rosenkranzbruderschaft.
Im Zeller Storchenturm-Museum sind Täfelchen mit den Grundthemen des Rosenkranzes aufbewahrt. Bei Prozessionen wurden sie mitgeführt. In Biberach widmete sich die Bruderschaft der Nothelfer-Verehrung. Als die
Katholiken sich im 19. Jahrhundert mehr um die Gesellschaft kümmern wollten, gründeten sie berufsorientierte Vereine. Dies geschah freilich fast immer unter dem Dach der vom Klerus geführten Kirche. Der kath. Gesellenverein ist dafür ein beredtes Beispiel.
In der Wahl des »Seniors« waren die Mitglieder frei. Der Begriff »Senior« als Leiter von jungen Gesellen, verwundert. Dahinter stand die Auffassung, dass die Jungen auf den erfahrenen Rat der Alten hören sollten, damit ihre Ideen nicht die Bodenhaftung verlieren. In diesem Zusammenhang ist auch der zusätzlich gewählte »Schutzvorstand« zu sehen. Dessen Angehörige hatten die Meisterprüfung abgelegt oder geheiratet und waren somit formal aus dem Stand der »Gesellen« ausgeschieden. Sie konnten aber dem Verein der Gesellen weiterhin als »Ehrenmitglieder« verbunden bleiben. Jung und Alt zusammen bildeten die »Kolpingfamilie«.
Dem Schutzvorstand gehörten 1927 an: Buchbindermeister Karl Febon jr., Drechslermeister August Kornmayer und Josef Kopf, Schreinermeister Paul Alender, Schuhmachermeister Wilhelm Beck und Küfermeister Rudolf Brucher.
Die Existenz eines Gesellenvereins in Zell bezeugt ein Protokollbuch. Die Niederschrift beginnt am 1. Januar 1927. Es wird jedoch ausdrücklich erwähnt, dass der Verein bereits 1922 gegründet worden ist. Am 23. Februar 1927 geht in der Bahnhofsgaststätte, dem Stammlokal des Vereins, eine »Fastnachtsveranstaltung« über die Bühne: »Fast sämtliche Kolpingsbrüder waren in irgend einem närrischen Aufzuge erschienen. Fast war das Lokal zu klein, um alle Narren und sogar Närrinnen fassen zu können. Der Abend wurde eingeleitet durch den Einzug des Prinzen Karneval«. Die »Schnitzelbank« des Vizepräses Schneider warf einen humorvollen Blick auf Politik und Gesellschaft. Die »schneidige Musikband, eine Abteilung der Stadtkapelle«, sorgte für die »nötige Bewegung sämtlicher Gliedmaßen«. Die Bemerkung lässt an den damals aktuellen »Charleston« denken.
Ein Faible für eine Fahne
Präses Kaplan Kunzelmann hatte die Idee, sich eine Vereinsfahne zuzulegen. Auf ihr sollte der Spruch stehen: »Gott segne das ehrbare Handwerk«. Man mag sich fragen, warum die Menschen damals unbedingt hinter einer Fahne schreiten wollten. 1927 war doch die Zeit der wirtschaftlichen Krisen, die mit vielen Arbeitslosen verbunden waren! Gab es da nicht andere Sorgen? Doch herrscht wohl gerade in Zeiten der Not ein Bedarf an erhebenden Symbolen, mit denen man in der Öffentlichkeit Selbstbewusstsein demonstrieren kann.
Ein Jahr nach dem Beschluss, eine Fahne anfertigen zu lassen, stand deren feierliche Weihe an. Die Gesellen hätten die Weihe gerne in der Zeller Wallfahrtskirche vollziehen lassen. Pfarrer Dr. Peter bestand jedoch auf deren Segnung in der Pfarrkirche. Am Sonntagmorgen begaben sich die Gesellen mit der Stadtkapelle zum Bahnhof, um die eingeladenen Kolpingbrüder von auswärts zu begrüßen. 18 Gesellenvereine hatten ihre Teilnahme angekündigt. Am gemeinsamen Gang zum Gottesdienst beteiligten sich auch die beiden Schützenkorps von Zell und Unterharmersbach.
Nach dem feierlichen Gottesdienst mit der Fahnenweihe marschierten die Gesellen mit den Schützen zum Rathaus, wo die Fahne feierlich dem Fähnrich Emil Schreiber übergeben wurde. Die Stadtkapelle erfreute das Publikum mit einem »Promenadenkonzert«. Nach einem gemeinsamen Mittagessen in den verschiedenen Gastwirtschaften gings zur Andacht in die Wallfahrtskirche »Maria zu den Ketten«. Neben dem genannten Segenswunsch zeigte die Fahne auch ein Bild jenes Schmiedes aus Schuttern, der nach wundersamer Befreiung aus orientalischer Gefangenschaft seine Ketten zur »Maria von Zell« brachte. Nach der Predigt bewegte sich der Festzug durch die Stadt zum Gasthaus »Raben«, am Eingang der Altstadt. Im noblen Saal hielt bei Kaffee und Getränken die Prominenz einige Tischreden.
Für den Abend war ein Festbankett im Saal des Badischen Hofs vorgesehen. Das »Neumayer‘sche Streichorchester« sorgte für den musikalischen Rahmen. (»Schwanenwirt« Karl Adolf Neumayer war ein vielseitiges musikalisches Talent, spielte Geige, Klavier und Orgel.) Kapuzinerpater Werner sprach zum Thema »Jungmann und Mädchen in heutiger Zeit«. Er »warnte mit tiefem Ernst vor zu frühem Verkehr, dem die moderne Jugend allgemein huldige und zeigte die tiefgreifenden Schäden auf, die naturgemäß aus solchem Treiben erwachsen.« Es folgte ein Festspiel über den Gesellenvater Adolf Kolping. Danach führte die »Jungfrauenkongregation« einen »Reigen mit Gesang« auf. Die Deutsche Jugendkraft (DJK), eine Abteilung des kath. Jugendvereins, baute »halsbrecherische Pyramiden« auf. Dann wurde die Bühne für den Tanz freigegeben.
Herausforderungen der Zeit
Die Vereinstätigkeit der Gesellen beschränkte sich selbstverständlich nicht auf eine Fahnenweihe. Das Programm umfasste regelmäßig Bildungsbeiträge. Eingebracht wurden diese vorrangig vom studierten Präses. Das galt auch für politische Themen. Anfang 1927 sprach Kaplan Kunzelmann über das Thema »Die Kirche und der Nationalsozialismus«. Es ist anzunehmen, dass er vor der neuen Ideologie warnte. Merkwürdig muten allerdings seine vier Tugenden an, die er von einem Kolpingbruder erwartete. Dieser solle »aktiv und pünktlich, deutsch und sittlich« sein. Im selben Jahr befasst sich ein Vortrag des Kaplans auch mit dem »italienischen Faschismus«.
An einem anderen Abend sprach der Präses über »Die Heiligkeit des Besitztums«. Dieses Anliegen dürfte sich gegen den Sozialismus und seine Verstaatlichung der Produktionsmittel gerichtet haben. Zu den bedrohlichen Entwicklungen gehörte auch die »Kirchenverfolgung in Mexiko«, die der Kaplan ein andermal in den Blickpunkt rückte.
Vier Mal im Jahr waren die Mitglieder des Gesellenvereins zusammen mit den Jungmännern und Männern des Arbeitervereis gehalten, zur Kommunion zu gehen, um ihre »größte Vereinspflicht zu erfüllen« und »unsern lieben Heiland und Seligmacher zu empfangen«, wie es heißt. Mit Vorliebe wurde diese Pflicht am »Christkönigssonntag« erfüllt; so 1927. Papst Pius XI. hatte zwei Jahre zuvor den letzten Sonntag im Oktober der Königsherrschaft Christi gewidmet.
Der nächste Präses, Josef Stocker, kam 1928 nach Zell. Er informierte die jungen Männer über die »Heilsarmee«. Die aus England kommende Bewegung nimmt sich der Alkoholiker an und fällt in der Öffentlichkeit durch ihre Uniform auf. Ein andermal berichtete der Kaplan von seiner Wallfahrt nach Maria Einsiedeln in der Schweiz. Stocker war leutselig. Zu seinem Namenstag »Josef« am 19.3.1930 stiftete er ein Fass Bier. Eingeladen waren zu diesem Umtrunk nicht nur der Gesellenverein, sondern auch der Arbeiter- und der Jugend-Verein. Um kein falsches Signal zu setzen, hielt er bei der nächsten Versammlung einen Vortrag über das »Sparen«.
Thematische Bandbreite
Für eine Bewegung der Gemüter sorgten damals die Wundmale der Mystikerin Theresia Neumann von Konnersreuth. 1929 hat sich Kaplan Stocker und zwei Jahre später auch Pater Berchmans an einem Abend dem ungewöhnlichen Phänomen gewidmet. Und 1932 hielt auch noch Mitglied J. Schilli einen Lichtbilder-Vortrag über die fromme Frau.
Im Sommer 1929 legt Franz Xaver Schöner, ein Sohn des Keramik-Malers Carl Schöner (Dekor Hahn & Henne), die Ziele der »Christlichen Gewerkschaft« dar. Franz Xaver war Mitglied des kath. Arbeitervereins. Dieser Verein war in Zell bereits 1897 gegründet worden. Zugleich mit diesem Vortrag nahm Schöner Abschied von seiner Heimatstadt Zell. In Weisen in der Oberpfalz war ihm die Stelle eines hauptberuflichen Sekretärs der Christlichen Gewerkschaft angeboten worden.
Am 25. April 1931 fand im Gesellenverein ein Abend statt, den Schriftführer Karl Feger als »Fiasko« bezeichnete. »Der russische Graf Wladimir Lesjakow sprach über seine Erlebnisse in Sowjetrußland. Leider waren seine Ausführungen von einer gewissen Einseitigkeit getragen, er sprach nämlich als Vertreter des zaristischen Rußland. Es waren Kommunisten v. Haslach, Gengenbach, Biberach und Zell anwesend. Justizrat v. Amelungen [Mitglied des Zeller Alt-Kolping] versuchte die Spannung auszugleichen, was ihm auch gelang. Als Oppositionsredner sprach Stadtrat Doll von Offenburg. Man konnte seinen Ausführungen eine gewisse ethische Empfindung nicht absprechen, jedoch konnte er in Vielem die Tatsachenberichte des Russen nicht ausmerzen.« So der Eindruck von Karl Feger.
Im Winter 1931/1932 organisiert der Kolpingverein einen Zeichenkurs. Er wird von vier Malern, zwei Zimmerleuten, zwei Schreinern, zwei Gärtnern, einem Mechaniker und einem Schlosser besucht. Als Kurs-Raum dient das neu geschaffene Vereinszimmer des Kolpingvereins in der ehemaligen Pfarrscheune.
Wer die Wahl hat
Das Verhältnis zwischen dem Gesellenverein und dem Kapuzinerkloster war Anfang der Dreißiger Jahre ausgesprochen gut. Pater Placidus hielt bei den Gesellen einen Lichtbildervortrag über die »Mission auf den Südseeinseln«. Das neue Banner wurde im April 1931 in der Wallfahrtskirche von Pater Berchmans geweiht. Bisweilen fand der Gesellenabend im Refektorium des Klosters statt.
Das frühere Kolpingmitglied Ernst Vetter war unter dem Ordens-Namen »Odilo« den Kapuzinern beigetreten. Als er im Sommer 1931 in seiner Zeller Heimatgemeinde die erste heilige Messe, die Primiz, feierte, beschloss der
Gesellenverein ihm einen Triumpf-Bogen zu errichten.
Nach der Versetzung von Kaplan Stocker wählten die Gesellen Kapuzinerpater Berchmans zum neuen Präses. Der musikalisch versierte Pater hatte bereits die letzte Weihnachtsfeier der katholischen Vereine mit seinem Streichorchester mitgestaltet. Zur Präses-Wahl hatte auch Pfarrer Dr. Peter gestanden, auf den aber keine Stimme entfiel. Das sollte ein Nachspiel haben. Ein halbes Jahr später gab der Pater bekannt, dass er »aus zwingenden Gründen« das Amt des Präses zurückgeben müsse. Was die Gründe waren, verriet er allerdings nicht. Bei der danach angesetzten Neuwahl wurde von Vorstandsmitglied Josef Kopf der Kaplan der Pfarrei als Präses vorgeschlagen. Dies sollte wohl den gekränkten Pfarrer besänftigen. Die Gesellen gaben ihre Stimmen aber erneut dem Kapuziner-Pater. Beim nächsten Vortrag von Pater Berchmans war der Pfarrer anwesend. Der Pater, ein Musikus, behandelt das unverfängliche Thema »Kolpinglieder«.
Klärung des Standpunkts
Die Arbeitslosigkeit Ende der Zwanziger und Anfang der Dreißiger Jahre ging auch an den Gesellen nicht spurlos vorüber. Schon 1927 hatte man für die arbeitslosen Mitglieder den Monatsbeitrag von 60 auf 20 Pfennig reduziert. Ende 1932 erzählte Kolpingbruder Karl Bißwanger von der Tätigkeit des freiwilligen Arbeitsdienstes für Arbeitslose. Er leitete ein Projekt in den vier Gottswald-Gemeinden Griesheim, Bühl, Weier und Waltersweier. Ziel war die Entwässerung der Auen durch die Säuberung der Gräben. Die Arbeit begann um 8 Uhr; um 11 Uhr war Vesperpause. Zur Vermeidung von Streit waren politische Gespräche verboten. Um 15 Uhr gab es ein kräftiges Mittagessen im Griesheimer Gasthaus »Adler«. Bevor man den Heimweg antreten durfte, wurden Marschlieder eingeübt und mit einer Gymnastik für Gelenkigkeit und Kraft gesorgt.
Da zu den Zeller Gesellen auch Mitglieder aus den umliegenden Orten Nordrach, Unterentersbach und Oberharmersbach gehörten, wurden einzelne Abende in die Gastwirtschaften dieser Ortschaften verlegt. So ging P. Berchmans am 2.3.1932, zehn Monate vor der Machtergreifung Hitlers, in Oberharmersbach der Frage nach: »Kann ein Katholik auch Nationalsozialist sein?« Diesmal verriet der Schriftführer, dass sich nach Ansicht des Paters beides überhaupt nicht miteinander vereinbaren ließe. Es habe im Anschluss eine heftige Diskussion gegeben. Ein Jahr später schloss Papst Pius XI. mit dem neuen nationalsozialistischen Machthaber ein Konkordat.
Die veränderte politische Stimmung zeigte sich im Gesellenverein auch bei der Wahl der Theaterstücke. Noch im Sommer 1932 hatten die Gesellen an drei Sonntagen Hansjakobs »Vogt auf Mühlstein« aufgeführt. Bei der Weihnachtsfeier 1933, im Jahr von Hitlers »Machtergreifung« brachte man indessen den todernsten »Jedermann« auf die Bühne. Der Klassiker galt als unpolitisch und konnte wohl kaum den Argwohn der Zensur erregen. Politisch unverdächtig war auch die von der Kolpingsfamilie organisierte »Handwerker-Ausstellung« im März 1933.
Ergebung statt Widerstand
Pater Berchmans wurde im August 1934 versetzt. Der neue Präses hielt 1935 einen Vortrag, bei dem er die NS-Ideologie aufgriff: »Die Abstammung der Arier, ihre Heimat und ihr Wesen«. Über die Einstellung des Kaplans, ob kritisch oder unkritisch, äußert sich der Schriftführer nicht. Ein weiterer Vortrag des jungen Geistlichen handelte von der »Christianisierung der Germanen«.
Trotz einiger verbliebener Aktivitäten ging die Mitgliederzahl rapide zurück. Hatte sie 1932 noch bei 52 Anhängern gelegen, hielten 1935 nur noch 25 Kolpingbrüder dem Verein die Treue. Bereits 1933 war das bescheidene Vereinsvermögen der Gesellen von der NS-Verwaltung beschlagnahmt worden. Politische Themen durften nicht mehr behandelt werden. Das Protokoll endet mit einem Bericht über das Jahr 1935.
Am 6. Mai 1935 hatte Pfarrer Dr. Hermann Peter die Pfarrei auf Druck der Nationalsozialisten verlassen müssen. Im Religionsunterricht hatte er die Heiligen als Helden bezeichnet. »Und was sind wir«, fragte ihn ein Schüler, welcher der Hitlerjugend angehörte. »Ihr seid Maulhelden«, antwortete der Pfarrer postwendend. Diese Abwertung wurde der Partei hinterbracht. Sie kündigte vor dem Rathaus eine Kundgebung an. Bis dahin habe der Pfarrer aus Zell zu verschwinden. Der Pfarrer hat sich dem Ultimatum gebeugt. Widerstand gegen die Vertreibung des Pfarrers kam weder von der Kirchenbehörde noch aus dem Kirchenvolk. Für Dr. Peter kam Pfarrer Friedrich Neymeyer.
Neustart nach dem Krieg
Nach dem Ende des Krieges im Mai 1945 vergingen neun Monate bis zur Neugründung des Vereins im März 1946. 21 junge und zehn ältere Kolpingbrüder trugen sich in die Mitgliederliste ein. Auf dem Programm standen jeweils zu Ostern 1947 und 1948 Theateraufführungen. Sie waren gut besucht. Um sich weitere Anregung zu holen, sah man sich im Sommer 1947 ein Stück im Freilichttheater Ötigheim an.
In der Generalversammlung am 2.2.1948 wurden Wilhelm Zehnle zum Senior, Bruno Matt zum Schriftführer und Franz Alender zum Kassierer gewählt. Das Protokoll erwähnt die frischen Lieder, die gesungen wurden: »Wohlauf in Gottes schöne Welt«, »Wenn die bunten Fahnen wehen« und »Wir wollen zu Land aus fahren«. Sie standen für den zuversichtlichen Neuanfang. Das Grauen des Krieges war jedoch im abschließenden »Vater-unser« für die Vermissten und Kriegsgefangenen noch gegenwärtig.
Zu den ersten Vergnügungen nach dem Krieg gehörte das Kino. Bis zur Eröffnung eines eigenen »Lichtspieltheaters« in der Nordracher Straße wurden die Filme im Saal des Badischen Hofs gezeigt. Weil die Streifen nicht immer der kirchlichen Sexualmoral entsprachen, hielt Präses Kaplan Anton Rapp einen Vortrag zum Thema »Film und Moral«. Im Juni 1948 sprach der Kaplan über die Währungsreform, die gerade über die Bühne ging. Mit der Einführung der D-Mark war die alte Reichsmark höchstens noch ein Zehntel wert.
Im Oktober des Jahres 1948 wurde in der Versammlung der nächste Stadtpfarrer Stephan Oberle begrüßt. Merkwürdiger Weise ist das erste Projekt beim Neustart wieder die Anschaffung eines Banners. Die Neue Zeit verlangte anscheinend wieder nach Zeichen und Symbolen; zwar nicht nach neuen, wohl aber modernisierten, ohne den Geschmack der Vergangenheit. Im Dezember des Jahres wurden die neuen Mitglieder per Handschlag über dem gesenkten Banner aufgenommen. Im Anschluss daran versprachen auch die bisherigen Mitglieder beim Banner treue »Gefolgschaft«.
Aus Scheune wird Pfarr-Heim
Im Dezember des Jahres 1948 übernimmt der neue Kaplan Conrad Amann die Rolle des Präses. Beim Gruppenabend wird im Beisein des Pfarrers über den weiteren Ausbau der Pfarrscheune zu einem Pfarrsaal gesprochen. Bislang hatte man darin nur ein Zimmer für den Kolping eingerichtet. Das Vorhaben wird im Lauf des Jahres 1949 mit viel Mitarbeit der Gesellen und Jungmänner umgesetzt.
Im Februar 1949 wird im Verein wieder Fasend gefeiert, diesmal im »Kleebad«. Der »Bunte Abend« steht unter dem Motto »Verdrillte Welt«. Mindestens genauso wichtig wie die Schnitzelbank ist das gemeinsame Abendessen. Eigens erwähnt wird der selbst gebraute, damals beliebte Eierlikör. Und natürlich wurde eifrig getanzt. Damit sich nicht alle auf dieselben Partnerinnen stürzten, wurden diese kurzerhand verlost. Der Abschluss um 12 Uhr mit Kaffee und Kuchen entsprach ganz der heimischen Tradition.
Der neue Präses setzt neue Schwerpunkte. Er referiert über die »riesengroße Gefahr, die uns aus dem Osten droht«. Er irritiert die Kolpingbrüder mit der Ermahnung, keine »kitschigen und sentimentalen« Theaterstücke aufzuführen. In der Runde wird heftig diskutiert, was dies zu bedeuten habe. Im Lauf des Jahres wird dann nur ein einziges Stück aufgeführt. Es trägt den frommen Titel »Christopherus«.
Die Treffen wurden vermehrt. Während man vor dem Krieg nur einmal im Monat zu einer Versammlung zusammengekommen war, gab es nun jede Woche einen Gruppen-Abend. Der erste Abend im Monat sollte der »religiösen Bildung«, der zweite der »Freude und Erholung«, der dritte der »politischen Rundschau« dienen und der vierte »in das Geheimnis der Liebe und Ehe einführen«, so die Vorstellungen des neuen Präses.
Im Dezember 1949 kommt es zum ersten Mal zu einer gemeinsamen Adventsfeier der Kolpingsöhne mit der Frauenjugend. Sie fand in der neu zu einem »Pfarrsaal« ausgebauten Pfarrscheune statt. Die Kolpingbrüder hatten dabei viel Eigenarbeit geleistet. Von manchen wurde der Saal daher »Kolpingheim« genannt. Später wurde die Bezeichnung »Jugendheim« üblich. Heute erinnert das »Pfarrheim St. Symphorian« an den Schutzpatron der Kirchengemeinde.
Heimat und Politik
In den Fünfziger Jahren werden Ausflüge mit dem Bus attraktiv. Die Kolpingfamilie unternimmt im Oktober 1950 eine Rundfahrt in den heimatlichen Schwarzwald. Nach dem Besuch des ehemaligen Präses Rapp, inzwischen Pfarrer in Oberwolfach, geht es weiter über Freudenstadt nach Allerheiligen. Den Abschluss bildet ein Essen in einer Gaststätte in Waldulm.
Das Programm greift das aktuelle Thema »Vertriebene« auf. Eine »Volksdeutsche aus Polen« hält einen Vortrag über ihre einstige Heimat, deren Brauchtum und Religion. Ein andermal berichtet Kaplan Amann von seiner Fahrt nach Rom. »Jeder wünschte sich im Stillen dabei gewesen zu sein«, merkt der Schriftführer neidvoll an. Dann lädt der Kaplan seinen Vater zu einem Gruppen-Abend ein. Er soll über seine früheren Erlebnisse als wandernder Geselle um die Jahrhundertwende berichten. Der ehemalige Abgeordnete des Badischen Landtags in der Zeit von Weimar zeigte sich am Ende dankbar, dass durch seine Mitgliedschaft bei Kolping sein politisches Interesse geweckt worden sei.
Bei der Fronleichnamsprozession 1952 wird neben dem Banner auch wieder die »alte« Fahne mitgeführt. Das »Patroziniumsfest«, heute schlicht »Zeller Fest« genannt, wird 1952 wie gewohnt mit einer Prozession begangen. Am Nachmittag gibt es ein Theaterspiel für die Kinder, am Abend für die Erwachsenen. Das neue Pfarrheim bietet sich mit seiner großzügigen Bühne geradezu dafür an.
Bei der Adventsfeier 1952 erzählt auch Malermeister Franz Schwarz von seinen wechselnden Arbeitsstellen als wandernder Geselle. Im Januar darauf führt Pfarrer Oberle mit einem Lichtbilder-Vortrag ins Heilige Land. Wer technisch auf dem neuesten Stand sein wollte, präsentierte sein Thema mit Lichtbildern.
Im Spätjahr 1952 wirft der Kaplan die Grundsatzfrage auf: »Was geht die Kirche der Staat an?« und provoziert damit eine heftige Diskussion. Im Januar 1953 lädt der Kolping ins Unterharmersbacher Gasthaus »Laube« ein. Der baden-württembergische Landtagsabgeordnete Brachart spricht dort über zwei brisante Themen, die Aufstellung der Bundeswehr und die Entschädigung von Flüchtlingen durch den »Lastenausgleich«. Es folgte eine rege Diskussion.
Die Aufzeichnungen im Protokollbuch enden kurioser Weise mit einem Bericht über die gemeinsame »Faßnacht« 1953. Sie fand weder in einer öffentlichen Gaststätte, noch im Pfarrheim, sondern beim »Erdrich-Bauer in Unterharmersbach« statt. Nach der mit viel Beifall aufgenommenen Narrenrede des Kaplans wird der Tanz eröffnet. 14 Paare geben sich ein Stelldichein. Den Schluss bildet ein rustikales Essen in der Bauernstube.
Allem Anschein nach kam danach die Arbeit der Kolpingfamilie zum Erliegen. Zwei Gründe könnten dafür verantwortlich sein. Die jüngeren Arbeitnehmer wandten sich verstärkt der Christlichen Arbeiterjugend (CAJ) zu, die Älteren dem berufsneutralen Kath. Männerwerk. So oder so stellen die Jahre unter dem Banner Adolf Kolpings ein bemerkenswertes Kapitel Zeller Vereinsgeschichte dar.
Hinweis:
Das Protokollbuch wurde mir vor Jahren von Martha Steffan, geb. Kopf, überlassen. Ihr Bruder Hermann Kopf bekleidete im Zeller Kolping mehrere Jahre das Amt des »Seniors«.
Dieter Petri