Pfarrei und Wallfahrt in Zell wurden bekanntlich von Benediktinern aus dem Kloster in Gengenbach geleitet. Ab 1630 halfen ihnen Kapuziner von Haslach aus. Im dortigen Arbeitsbuch heißt es: »Am Freitag gehen zwei Patres nach dem Mittagessen nach Zell zur Wallfahrtskirche und hören am Nachmittag und Samstag Beichte und kommen am Samstag nach dem Mittagessen zurück. Die gleichen Dienste leisten sie an den Marien- und Apostelfesten.«
Nach Aufhebung der rechtsrheinischen Klöster 1803 übernahmen Kapuziner aus dem Kloster Königshofen jenseits des Rheins die Aushilfen an der Wallfahrtskirche, bis auch diese Tätigkeit 1860 durch die Großherzogliche Regierung verboten wurde. Ab 1898 durften sie viermal im Jahr wieder aushelfen.
Im Juni 1918 wurde das Klostergesetz aufgehoben und schon im Oktober genehmigte die alte Großherzogliche Regierung die Niederlassung der Kapuziner in Zell. Das Ordinariat in Freiburg hatte schon 1917 ein Kloster in Zell befürwortet.
Der Zeitpunkt war günstig. Durch die Abtrennung des Elsass vom Deutschen Reich mussten auch viele Kapuziner aus dem Elsass auswandern. Klöster fanden sie außerhalb von Bayern nur zwei in Hessen (Bensheim und Dieburg). Das jetzt offene Baden und bald auch Württemberg bot sich als neues Wirkungsgebiet für die Kapuziner an.
In Zell wohnten zuerst zwei Patres in der Villa Zapf, einem Privathaus, das ihnen Fräulein Anna Zapf in der Nähe des Bahnhofs zur Verfügung gestellt hatte »mit Kost und Logis«, zwei weitere und ein Bruder kamen im Pfarrhaus unter. Dieser Notbehelf dauerte bis ins Frühjahr 1919. Dann war es Fräulein Therese Schmider, die ihr eigenes Häuschen am Kapellenplatz frei machte, damit die Kapuziner aus der »Zerstreuung« in ihr »Klösterle« ziehen konnten. Erst 1920/21 erstellte die Firma Himmelsbach aus Biberach den ersten Wohnflügel des Klosters parallel zur Kirche.
An diese Anfänge in Zell erinnert der erste Kapuziner, der aus dieser ehemaligen Reichsstadt hervorgegangen ist. Er berichtet auch, dass in seinem Elternhaus kurze Zeit ein Pater Kassian wohnte, der an der Schule in Zell Religionsunterricht gab. Vor 130 Jahren geboren und vor 55 Jahren gestorben, wird hier die Biographie des P. Werner Volk aus Anlass des Klosterjubiläums in Erinnerung gerufen. Es muss eine interessante Persönlichkeit gewesen sein.
Kindheit und Jugend
Hubert wurde am 22. September 1889 als Sohn des Sparkassenrechners Georg Volk und seiner Gattin Karolina geb. Fischer in Zell a. H. geboren; getauft wurde er am 6. Oktober 1889. Er besuchte die Volksschule in Zell und dann die Missionsschule in Straßburg-Königshofen bis Herbst 1906. Erst nach dem Ersten Weltkrieg, als das Elsass französisch wurde, verlegten die Kapuziner ihre Missionsschule von Königshofen nach Zell.
Profess und Priesterweihe
Nach dem Abitur ging Hubert ins Kloster in Sigolsheim im Elsass, wo er am 17. September 1906 das Kleid der Kapuziner und den Namen Werner erhielt. Genau ein Jahr später legte er die Zeitliche Profess ab und nach drei Jahren in Münster die Ewige. Bis 1910 hatte er in Werne an der Lippe Philosophie studiert, an die sich die Theologie in Münster anschloss. Am Samstag, den 10. August 1912 wurde er im Dom zu Münster durch Bischof Felix Hartmann zum Priester geweiht. Am Sonntag fuhr der Neupriester dann mit dem Zug in Richtung Heimat und wurde am Bahnhof in Biberach abgeholt. Wie dieser Empfang und der folgende Primiztag verlaufen sind, entnehmen wir der »Schwarzwälder Post« vom Dienstag, 13. August 1912:
»Erhebende Freudentage hat die hiesige katholische Kirchspielgemeinde hinter sich, das seltene Fest der Primizfeier eines Gemeindeangehörigen. Gegen 30 Wagen und zirka 50 Radfahrer, alle Räder und Gefährte schön verziert, hatten sich am Sonntagnachmittag auf dem Bahnhof in Biberach eingefunden und geleiteten den Hochw. Neupriester, Kapuzinerpater Werner, ein Sohn des Sparkassenrechners Georg Volk, im Triumphzug in seine Vaterstadt, wo am Eingang bei der Sonne der Primiziant von der Geistlichkeit, den verschiedenen Vereinen und einer großen Menschenmenge empfangen und in feierlichem Zug zur kath. Stadtpfarrkirche geleitet wurde. Herr Stadtpfarrer Isidor Kaiser richtete herzliche und ergreifende Begrüßungsworte an den Primizianten, welcher ebenso bewegt allen für den schönen Empfang dankte. Am eigentlichen Festtag wurde der Neupriester um 9 Uhr an seinem Elternhaus abgeholt und in feierlicher Prozession in die Wallfahrtskirche geleitet. Diese war bis auf den letzten Stehplatz besetzt und viele Gläubige konnten keinen Platz mehr finden. Die Festpredigt hielt Kapuzinerpater Dionysius Kiefer aus Stotzheim. Hierauf brachte der Neupriester sein Erstlingsopfer dar. Die feierliche und erbauende Handlung dauerte bis gegen halb 12 Uhr. Die weltliche Feier fand im Gasthaus zum Löwen statt.«
Mehr schreibt die Heimat-Zeitung nicht und bringt auch keine Fotos. Solche waren damals noch äußerst selten. Außerdem umfasste jede Ausgabe des am Dienstag, Donnerstag und Sonntag erscheinenden Blattes nur vier, sechs oder acht Seiten. In den Tagen zuvor hatten die Eltern in der Zeitung zur Primizfeier ihres Sohnes eingeladen. Das Rathaus hatte den Einwohnern von Zell Reisig zur Verfügung gestellt, so dass sie ihre Häuser entlang der Straße zieren konnten.
Marinefeldgeistlicher
Nach ersten Erfahrungen der Seelsorge in Mainz wurde Pater Werner im Ersten Weltkrieg zum Militär eingezogen. Er wollte in den hohen Norden und meldete sich deshalb bei der Marine. Vom 1. August 1915 bis Ende 1918 diente er als Marinefeldgeistlicher, zuerst drei Monate in Flensburg auf dem Schiff »Seiner Majestät König Wilhelm«, dann vom 1. November 1915 bis 18. Dezember 1918 als Garnisonspfarrer der Marinefestung in Kiel. Aus dieser Zeit sind viele Postkarten und Briefe erhalten. Obwohl er Träger des Kriegsverdienstkreuzes war, wollte er nach dem Ersten Weltkrieg nichts mehr von diesem schrecklichen Blutvergießen wissen. Was ihm blieb, war seine Reiselust, weshalb er sich gleich bei der »mobilen Truppe« der Volksmissionare meldete.
Beliebter Volksmissionar
Bis zum II. Vatikanischen Konzil (1963 – 65) gehörten die so genannten Volksmissionen zur geplanten Seelsorge: In die Pfarreien kamen alle 10 bis 15 Jahre besonders begabte Prediger, um eine Woche lang täglich so genannte Standespredigten zu halten, morgens vor der Arbeit für die Männer, um 9 Uhr für die Frauen, nachmittags für die Schulkinder und abends war Andacht mit Predigt für alle. Die drei bis vier Volksmissionare, meistens Jesuiten, Franziskaner oder Kapuziner wohnten im Pfarrhaus oder in Familien; sie teilten sich die Predigten auf, besuchten zwischen den Predigten die Kranken und hörten in der Kirche Beichte. Ziel der Volksmission war die religiöse Erneuerung der ganzen Gemeinde.
Ab 1919 gehörte auch Pater Werner zur Truppe der Volksmissionare der Rheinisch-Westfälischen Kapuzinerprovinz. Laut seinem Arbeitsbuch, das im Archiv in Altötting aufbewahrt wird, hielt er 517 Missionswochen, kam also in ebenso viele Gemeinden. Zwischendurch war er auch immer wieder für drei Jahre Guardian, das heißt Oberer in einem Kloster. Das Amt band ihn dann mehr an das Haus und ließ ihn weniger reisen. Doch auch als Oberer wurde er immer wieder zu Festpredigten gerufen. Er muss über die Ortenau hinaus bekannt gewesen sein, da er 1922 in Feldkirch die Jubiläumspredigt zum 300. Todestag des hl. Märtyrers Fidelis von Sigmaringen († 24.04.1622) gehalten hat. Sie wurde sogar gedruckt. Er stellt darin den hl. Fidelis als Missionar dar unter dem doppelten Gedanken: Wie Fidelis unter den Protestanten im Prättigau (Schweiz) wirkte und welche Missionsaufgabe er uns hinterließ. Viele Fragen an das Publikum, Antworten, die sich Pater Werner selber gibt, und ein eingestreutes Gedicht machen diese Predigt recht anschaulich und lebendig.
Gesuchter Exerzitienmeister
War die Volksmission schon eine intensive Seelsorge, so noch mehr die Arbeit mit kleinen Gruppen bei Exerzitien, das heißt geistlichen Übungen, wie sie der Gründer der Jesuiten, Ignatius von Loyola, eingeführt hatte. Zielgruppen solcher Exerzitien waren vor allem Ordensleute, Priester, aber auch Soldaten, Studenten, Brautpaare. Sie boten Pater Werner eine willkommene Abwechslung zu den lauten und überfüllten Volksmissionen. Vor allem im Alter widmete er sich ihnen gerne, so dass er auf 329 Exerzitienkurse kam. Doch die letzten aktiven Jahre, die Pater Werner nach vielen Jahren in Säckingen wieder in Offenburg verbrachte, wurden schon bald durch Krankenhausaufenthalte und Kuren unterbrochen. In einem ärztlichen Attest vom 6. Mai 1957 bescheinigt ihm der Chefarzt des St. Joseph-Krankenhauses in Offenburg, Dr. Fritz Kaiser, am Ende einer langen Liste von Beeinträchtigungen:
»Die krankhaften Veränderungen am Herzen sind so schwerwiegend, dass nach ärztlicher Auffassung in absehbarer Zeit Herr Pater Werner nicht in der Lage sein wird, seine bisher verrichtete Tätigkeit in der Seelsorge weiter auszuüben. Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn er leichtere Arbeiten im Sitzen verrichtet. Nach der Entlassung aus der stationären Behandlung ist ein längerer Erholungsaufenthalt an einem ruhigen Ort erforderlisch.«
In der Tat ist ein Brief erhalten, den Pater Werner im folgenden Jahr aus dem Kloster Reute in Oberschwaben geschrieben hat, wohin er zur Erholung gegangen war. Auch dort musste er wegen hohen Fiebers ins nahe Krankenhaus in Bad Waldsee eingeliefert werden. Er unterrichtet seinen Provinzial P. Theoderich Senftle darüber, dass er einen für die Schwestern in Reute vorgesehenen Exerzitienkurs nicht halten kann und er in Stühlingen um eine Vertretung gebeten und sie erhalten habe. Er bittet seinen Obern um Verständnis, dass er »eigenmächtig gehandelt« habe, weil die Zeit drängte.
In der Chronik des Kapuzinerklosters Zell a. H. 1918-1980 lesen wir zu Beginn des Jahres 1964: »Am 17. Januar starb in Offenburg auf dem Weg der Überführung ins Krankenhaus Pater Werner. Am Dienstag, den 21. Januar, wurde er hier in Zell, seiner Heimatstadt, begraben. Pater Bardo, Definitor, hielt im Auftrag des verhinderten Provinzials das Requiem und die Beerdigung. Viele Geistliche gaben ihm das letzte Geleit. Infolge der Kälte war der Boden 60 cm gefroren, so dass durch einen Kompressor das Grab aufgerissen werden musste.«
Kurz fasst sich auch die Heimatzeitung, die am 20. Januar 1964 ohne Foto berichtet:
»Am vergangenen Freitag verstarb im 75. Lebensjahr in Offenburg Pater Werner Volk. Als ältester Sohn der Eheleute Georg und Karolina Volk am 22. September 1889 in Zell geboren, besuchte er die Klosterschule in Königshofen. Am 17. September 1906 trat er in das Noviziat in Sigolsheim ein. Nach dem Philosophie- und Theologiestudium in Werne und Münster wurde er am 10. August 1912 zum Priester geweiht. Seine Primiz feierte er in der Wallfahrtskirche. Im ersten Weltkrieg war er Marinepfarrer in Kiel. Viele Jahre wirkte er als eifriger und erfolgreicher Volksmissionar, Exerzitienmeister und Priesterseelsorger. 1962 konnte er in Offenburg sein goldenes Priesterjubiläum feiern. Unermüdlich tätig bis in die letzten Lebenswochen, verzehrte er seine Kräfte in der Arbeit für das Gottesreich. Noch am 8. Dezember 1963 hielt er in der Wallfahrtskirche die Festpredigt.«
Das 1976 erstellte Totenbuch der Kapuziner vermerkt über ihn: »Marinepfarrer (1915-18), beliebter Volksmissionar, Exerzitienmeister, mehrfach Oberer« (S. 9). Damit sind seine wesentlichen Tätigkeiten genannt. Es gibt aber noch
eine andere Seite an ihm, seine poetische Ader.
Gedichte von Pater Werner
Pater Werner hat immer wieder kurze Artikel veröffentlicht im Assisi-Glöcklein, das in allen Klöstern gelesen wurde. In der Nummer 33 des Jahres 1953 erwähnt er z. B. auch die eingangs genannten zwei Frauen, die den ersten Kapuzinern in Zell Kost und Logis gaben. In der Nr. 5 des Jahres 1958 bittet er ums Gebet für eine weitere Wohltäterin, die aus dem Schreilegrund stammte: »In Zell ist am Josefstag eine treue Seele im Alter von 79 Jahren heimgegangen zum Vater. Alle, die in Zell auf unserer Schule waren oder als Kapuziner im Kloster, kennen sie. Es ist Therese Gutmann – bekannt als «Schreilebure Theres». Seit uns «Maria zu den Ketten» anvertraut ist, ist auch Therese Gutmann bei den regelmäßigen Reinigungsarbeiten in der Wallfahrtskirche und durch viele andere Dienste eine treue, anspruchslose Helferin gewesen.«