Zum 1. November 2020 verlässt Judith Müller die Seelsorgeeinheit Zell a. H., in der sie seit September 2001 als Gemeindereferentin arbeitet. Mit Beginn des neuen Kirchenjahres stellt sie sich den Herausforderungen in den 17 Gemeinden umfassenden Seelsorgeeinheiten »Oberer Hegau« und »Tengen«.
»Ich habe meine Bewerbung auf diese Stelle nicht eine Sekunde bereut«, blickt sie auf ihr Wirken in Oberharmersbach und den anderen Gemeinde der Seelsorgeeinheit Zell a.H. zurück. Sie habe einen ihr vertrauten ländlichen Raum mit aktiven Gemeindemitgliedern vorgefunden. »Die Menschen haben gewusst, wo sie mich finden und ich habe gewusst, wohin ich mich wenden muss«, lobt sie die gute Zusammenarbeit innerhalb des Seelsorgeteams und mit der Bevölkerung.
Judith Müller, Jahrgang 1962, wuchs in der oberschwäbischen Gemeinde Herbertingen auf. Als Sonderpädagogin arbeitete die ausgebildete Erzieherin in verschiedenen Einrichtungen. Mit 21 Jahren trat sie in einen franziskanischen Orden in der Diözese Rottenburg-Stuttgart ein und studierte Religionspädagogik an der Universität Eichstätt. Nach ihrer Tätigkeit als Religionslehrerin und Heimseelsorgerin folgten im Orden der Claretiner in der Diözese Augsburg mit der Organisation von »Tagen der Orientierung« und der Leitung eines Exerzitienhauses neue Aufgaben.
Nach ihrem Austritt aus dem Orden bewarb sie sich im September 2001 auf die ausgeschriebene Stelle in Oberharmersbach. Pater Marian Rybak verließ damals als Pfarrer die Gemeinde Oberharmersbach. Sehr schnell wuchs sie in die Aufgaben der Pfarrei St. Gallus und der Seelsorgeeinheit Zell a. H. hinein.
Ebenso breit gestreut wie ihre Ausbildung war auch das künftige Aufgabenfeld. Religionsunterricht, Firmteam, Vorbereitung des Weißen Sonntags, Schüler- und Wortgottesdienste, Krankenkommunion, Beerdigungsdienst – der Schreibtisch im Arbeitszimmer von Judith Müller lässt erahnen, wie ein Termin auf den anderen folgt. Und sie war auch Notfallseelsorgerin bei der Freiwilligen Feuerwehr, bis es ihr gesundheitlich nicht mehr möglich war. »Da war ich mit großer Begeisterung dabei«, schildert sie ihre Beteiligung an den monatlichen Proben.
Trotz des umfangreichen Aufgabenfeldes hat Judith Müller sich auch mit der traumatischen Geschichte der Gemeinde auseinandergesetzt. »Von den Missbrauchsfällen habe ich im Vorfeld nichts gewusst« verweist sie auf das damalige Schweigen und Verdrängen. Erst nach und nach hätten sich ihr Betroffene anvertraut. 2010, nach dem Bruch des Schweigens, begann die öffentliche Aufarbeitung und gemeinsam mit dem Seelsorgeteam, sowie mit Betroffenen und deren Familien versuchte sie gute und heilsame Wege in die Zukunft zu gehen.
»Mir war vor allem die Präventionsarbeit wichtig«, gewichtet sie ihre Tätigkeit auf diesem schwierigen Feld. Als Gründungsmitglied hat sie sich in den Verein »S.t.a.r.k. e.V.« eingebracht und sich Unterstützung von verschiedensten Beratungsstellen und Therapeuten geholt.
»Die Kirche wird künftig nicht mehr so sein wie früher«, begründet Judith Müller ihre Entscheidung für eine berufliche Umorientierung. Ihr sei schon länger klar geworden, dass sie auf Dauer hier nicht bleiben könne. Die Corona-Pandemie habe diese Meinungsbildung nur noch beschleunigt. »Für mich ist mit 58 Jahren der richtige Zeitpunkt gekommen, jetzt nochmal etwas Neues zu wagen und andere Aufgaben zu meistern«, gibt sie sich zuversichtlich für ihren neuen Wirkungskreis. Dort werde sie vor allem in die Organisation der Kommunionkatechese und die Begleitung Ehrenamtlicher eingebunden sein. Aber sie sei auch Ansprechpartnerin für zwei Kindertagesstätten und zu ihrem Aufgabenfeld gehören weiterhin regelmäßige Beerdigungsdienste.
»Ich habe hier viel kostbare Zeit erlebt und dafür bin ich unendlich dankbar«, würdigt die scheidende Gemeindereferentin die stets vertrauensvolle Zusammenarbeit. Wichtig sei ihr die Präsenz in der Gemeinde gewesen, die Seelsorge an der Basis. »So habe ich meine Aufgabe immer verstanden«, schließt sie ihren Rückblick auf 19 Jahre Arbeit im Harmersbachtal.
Judith Müller hat Spuren hinterlassen. Diese weiter zu gehen wird nicht einfach sein, zumal die personellen Ressourcen der Kirche in jeder Hinsicht knapper werden. Bei ihrem Verabschiedungsgottesdienst, dessen Termin noch nicht feststeht, wird sich Gelegenheit bieten, auf ihren vielfältigen Einsatz in und für die Seelsorgeeinheit Zell a. H. zu verweisen.