Vespereinladung auf dem Mühlstein: Außergewöhnliches Erlebnis für die meist nicht mehr mobilen Bewohner des Seniorenzentrums am Winkelwald.
Achtzehn Rollstuhl fahrer:innen und neun in der Regel auf einen Rollator an gewiesene „Fußgänger:innen“ – allesamt Bewohner des Seniorenzentrums am Winkelwald – sowie deren Pflegekräfte konnten am vergangenen Samstagmittag der Einladung eines Gönners folgen. Der Dank für das Vesper auf dem Mühlstein war riesig und die tiefe Freude der Seniorinnen und Senioren das logistische Bravourstück wert.
Punkt zwölf Uhr mittags: Eine nicht zu heiße Sonne strahlt vom blauen Himmel und lässt das Grün der Bergwiesen und Bäume leuchten. Drei Kleinbusse des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB), zeitlich genau im Plan, fahren beim Höhengasthaus „Vogt auf Mühlstein“ vor. Sie tragen den Schriftzug „Mobilität für Menschen mit Behinderung“. Vorsichtig rangieren sie rückwärts ein, so weit wie möglich an einen schmalen Weg heran. Der ist geschottert, führt lauschig bergauf, vor der neben dem Gasthof liegenden Kapelle um eine enge Kurve und weiter hügelan zur wunderschönen Besucherterrasse.
Der Weg ist für jene gedacht, die die Holztreppen des uralten, geschichtsträchtigen Gasthofs nicht hinaufsteigen wollen oder können. Für Kinderwagen-Schiebende beispielsweise. Oder auch – mit entsprechender Hilfe – für jemanden, der auf Rollator oder Rollstuhl angewiesen ist. Auf einen Schlag jedoch neun Menschen im Rollstuhl und weitere vier mit einem Rollator hier hinaufbringen? Das dauert, erfordert Umsicht und Muskelkraft.
Als habe ein von Herzen gutmeinender Regisseur seine Hände im Spiel, beginnen die Kapellenglocken zu läuten, verteilen ihren Klang in der landschaftlichen Idylle. Eine Pflegerin schiebt einen Senior im Rollstuhl. Sie hat extra Anlauf genommen, bald jedoch bleibt sie stehen. „Das ist alleine nicht zu schaffen“, stellt sie fest, eine Kollegin eilt zu Hilfe. Insgesamt neun Mal wird der Parcour mit gemeinsamer Kraft bewältigt. Dazu vier auf einen Rollator Angewiesene, die Hilfe auf dem Weg hinauf benötigen. Das ist anstrengend. Doch niemand kommt auf die Idee, seine gute Laune und Herzlichkeit zu verlieren. Eher das Gegenteil ist wohl der Fall.
Schließlich klappen die drei ASB-Busse ihre Rampen für die „Rollis“ wieder ein. Sie kehren zum Seniorenzentrum am Winkelwald zurück, um eine zweite menschliche Fracht samt deren Bewegungshilfen aufzunehmen, und auch die gilt es mit achtsamer Energie auf die Gasthausterrasse zu befördern.
Nichts „einfach mal so“
Durch und durch liebevoll gestaltet ist die, rundherum außergewöhnlich. Auf dem überdachten Teil hat man vorab einen großen Teil der Sitzbänke zur Seite gestellt. Mit erfahrener Umsicht gelingt es den insgesamt zehn begleitenden Pflegekräften, ihre Schutz befohlenen unterzubekommen.
Auch mit den Essensbestellungen läuft es „nicht einfach so“, wie ein Unbedarfter sich das vielleicht denken mag: Eine der Altenpflegerinnen schreibt genau mit, was die Senior:innen jeweils bestellen, „weil sich das nicht alle merken können. Das gibt sonst Durcheinander, wenn die Sachen an die Tische gebracht werden.“
Als es ans gemeinsame Essen geht, wünscht Bettina Lehmann-Isenmann – Geschäftsführerin der Winkelwaldklinik und damit auch Chefin des jüngst im März eröffneten Pflegezentrums – allen einen guten Appetit. Zuvor aber nimmt sie die Gelegenheit wahr, den Mann vorzustellen, „der uns diesen Mittag hier oben eigentlich möglich gemacht hat.“ Der Betreffende steht neben ihr: Hans Roschach. „Sie kennen ihn vielleicht, er ist der, der am Freitag immer so gute Rezepte in der Zeitung schreibt“, schmunzelt die Winkelwald-Verantwortliche. Aufgrund seiner guten Beziehungen zum Seniorenzentrum habe er die Idee gehabt, dessen Bewohner:innen zum Vespern auf den Mühlstein einzuladen.
Eine Idee, auf die Hans Roschach von seiner Lebenspartnerin Bianca Jerzsabek gebracht wurde: Sie ist Alten pflegerin und in der Winkelwaldklinik angestellt. „Einsamkeit ist bei Senioren mit fehlender Mobilität oft ein Thema, trotz bester Pflege in einer Fach-Einrichtung und trotz Familie“, sagt der Mann, der „in drei Jahren 80“ wird, „man weiß ja nie, wie´s einem selber mal geht.“
Die Freude, wenn andere sich wohlfühlen
Ganz spontan war die Ein ladungs-Idee geboren worden, vor neun Monaten. Da hatte der in Gengenbach Ansässige wie so oft seit vierzig Jahren auf seinem Stammplatz im Gast raum des „Vogt auf Mühlstein“ gesessen. Mit dessen Herzblut-Betreibern Sandra und Rolf Lehmann ist er befreundet. „Mit der Gastronomie bin ich schon länger verbunden, und man freut sich halt, wenn die Leut´ sich wohlfühlen“, erklärt Hans Roschach – selbst Wirt des Ortenberger Gasthauses „Krone“ – seine Beweggründe zu der Einladung.
Das Einverständnis des Ehepaars Lehmann hatte er sofort, „was wir hier jetzt gerade machen, das geht auch nicht überall“, bedankt Hans Roschach sich bei den Wirtsleuten. Ebenso wie bei der Winkelwald-Geschäftsführerin, die er sofort auf seiner Seite gehabt habe. „Sie hat den Transport und die Organisation und damit den schwierigen Teil übernommen“, betont der Gönner, „ich bezahle nur das Essen und Trinken, das ist einfach.“
Bettina Lehmann-Isenmann dankt ihm ihrerseits, schon alleine auch für die „tolle Idee hier oben zu vespern. Unsere Senioren kennen ja alle den Mühlstein und verbinden damit Erinnerungen. Wir fühlen uns hier sehr wohl – es ist einfach mal eine ganz andere Umgebung und eine ganz andere Situation.“ Als sie den Senior:innen des Pflegezentrums anbietet, von nun an einmal jährlich den Mühlstein zu besuchen, reagieren diese mit begeistertem Applaus.
Auch den Mitarbeitern der Pflege-Einrichtung gilt der Dank der Verantwortlichen für das Ermöglichen dieser so besonderen Auszeit. Wobei nach dem Vespern noch lange nicht Schluss ist. Denn nun spielt Georg Wimmer mit seinem Akkordeon auf, gemeinsam wird fröhlich gesungen.
„Unsere Senioren haben es verdient, dass man sich um sie kümmert, wenn sie selbst es nicht mehr können“, resümieren Bettina Lehmann-Isenmann und Hans Roschach im persönlichen Gespräch, „gerade die älteren Leute haben dafür gesorgt, dass wir heute ein relativ gutes Leben haben.“ Und generell: „Wenn es beispielsweise keine Menschen gäbe, die im Beruf Alte pflegen – wie würde dann die Welt aussehen?“