Sich um andere aus ganzer Seele heraus zu kümmern – das hat Ursula Birr von Kindesbeinen an tief verinnerlicht. Was nicht von ungefähr kommt, ist die heute 51-Jährige doch mit zwei behinderten älteren Brüdern und einer suchtkranken Mutter aufgewachsen, in Kehl/Marlen.

Sieben Jahre war sie alt, als die Mutter für drei Wochen ins Krankenhaus kam, ohne für die Kinder vorgesorgt, geschweige denn ihnen Geld zum Einkaufen hinterlassen zu haben. Doch die kleine Ursula kümmerte sich darum, dass die Brüder versorgt waren. Besorgte beim Bauern und Bäcker Grundnahrungsmittel, ließ anschreiben, richtete morgens das Frühstück, kümmerte sich so weit wie möglich auch um alles andere.
»In der Schule haben sie gar nicht mitgekriegt, dass meine Mutter nicht daheim ist.« Kurz kann Birr nicht verbergen, wie nahe ihr diese Erinnerung noch heute geht. Die Erinnerung an eine Kindheit, die früh endete und die sie zu weiten Teilen lediglich aus den Erzählungen ihres Bruders Johannes kennt.
»Ich bin halt organisiert«, sagt die gebürtige Offenburgerin über das, was sie schon in sehr jungen Jahren zu stemmen hatte. Abgesehen davon sei sie keine, die sage, das Leben sei ein Problem. Ihr unbedingtes Motto stattdessen: »Ich mache immer das Beste daraus«, wie sie in ihrer burschikos-fröhlichen und doch zurückhaltenden Art erzählt. Wozu gehört, dass sie sich auch heutzutage um ihre Brüder kümmert.
Ihr erstes Ehrenamt übernahm sie als Jugendliche im »Arbeitskreis Behinderte/ Nichtbehinderte Kehl-Marlen«. Als Zehn- oder Elfjährige war sie dazu gestoßen, »da haben wir für den Weihnachtsbazar gebastelt.« Mit dem Geld wurden gemeinsame Ausflüge von Behinderten und Nichtbehinderten oder das gemeinsame Zelten finanziert. Als Teenie dann engagierte Birr sich in dem Arbeitskreis in der Gruppenarbeit, sowohl jünger als auch älter als sie selbst waren die ihr Anvertrauten.
Bloß nie den Kopf in den Sand stecken
1989, als junge Frau, trat sie dem Zeller SKM bei, den »Sozial Kompetenten Menschen« des katholischen Verbands für Soziale Dienste. Dessen Mitglieder fungieren beispielsweise als vom Gericht bestellte rechtliche Betreuer für Personen, die diese Unterstützung aufgrund von Krankheit, Alter oder Behinderung benötigen. 1998, im Alter von 29 Jahren und mit aller Selbstverständlichkeit, übernahm Ursula Birr diese Aufgabe für ihren ein Jahr älteren Bruder Michael, »er ist körperlich und geistig schwerbehindert.«
Ihr drei Jahre älterer Bruder Johannes wiederum kommt in der Regel übers Wochenende aus seiner Offenburger Wohnung ins idyllische Nordrach, wo seine Schwester seit acht Jahren mit ihrer Familie in einem eigenhändig renovierten Einfamilienhaus wohnt, in dem noch immer emsig herum
gewerkelt wird. Hier hat der Bruder sein eigenes Zimmer.
Auch Ursula Birrs heutzutage fast 19-jährigem Sohn Dominic hat das Leben ein Handicap mit auf den Weg gegeben, in einer leichter ausgeprägten Form jedoch. Und auch hier nahm, die ihrer Familie tief Zugewandte, die Dinge ehrenamtlich in die Hand. Bereits im Unterharmersbacher Kindergarten, den ihre heute 21-Jährige Tochter Anna-Sofia besuchte, fungierte die Nimmermüde im Elternbeirat als stellvertretende Vorsitzende, »Ich hab’ das immer gemacht, weil’s keiner machen wollte.«
Frank und frei erklärt sie: »Das ewige Hin und Her bei der ersten Wahl damals ging mir auf den Sender. Das hab´ ich abgekürzt und gesagt: Leute, ich mach’ das, dann ist das Ding abgehakt.« Und so hielt sie es über alle Schuljahre hinweg, bis ihr Sohn im vergangenen Sommer – im Anschluss an die Zeller Förderschule des Ritter-von-Buss-Zentrums – die Berufsschulstufe der Offenburger Hansjakob-Schule abschloss, nach drei berufsvorbereitenden Jahren.
Liebe zur Musik
»Er ist selbstständig«, freut sich Ursula Birr, »er fährt auch alleine ins Musikwerk in Lahr.« Denn der sympathische junge Mann spielt Gitarre und Schlagzeug. Sie als Mutter dürfte ihm die Liebe zur Musik in die Wiege gelegt haben, musiziert sie doch selbst für ihr Leben gerne. Sie spielt Keyboard und ließ ihre Stimme im evangelischen Kirchenchor erklingen, bis dieser zum 75. Jubiläum im vorletzten Jahr aufgelöst wurde.
2001 bereits hatte sich die Wahlnordracherin, die als gelernte Köchin in einem Altenheim arbeitet, einer Zeller Musikgruppe angeschlossen, in den ersten Jahren in der begeisterten Begleitung ihres Sohnes. »Sänger unterm Regenbogen« nennt die Gruppe sich. Die Gründerin Gudrun Riehle, Christina Giessler und Ursula Birr selbst bilden heutzutage den harten Kern. »Bei uns muss niemand perfekt singen – wir freuen uns, wenn jemand mitmacht«, betont sie.
In den Oster- und Pfingstferien sowie zur Weihnachtszeit absolviert die Gruppe eigens dafür geprobte Auftritte in den beiden Zeller Seniorenheimen sowie in der Nordracher Winkelwaldklinik. Eine große Freude bereiten sie hier ihren Zuhörern, die bei den dargebotenen Volks- und Kinderliedern meist nur zu gerne mitsingen.
Stetige Hilfe im Hintergrund
Auch beim Adventsbasteln im Zeller Pfarrheim St. Symphorian ist Ursula Birr zugange. Hier sind Kinder an zwei Nachmittagen im Advent eingeladen, kleine Weihnachtsgeschenke zu kreieren. Seit etwa sieben Jahren gehört Birr zu den Frauen, die dies ehrenamtlich unterstützen. Der Überschuss in Höhe von jährlich einigen Hundert Euro kommt stets einem regionalen sozialen Projekt zugute – wie beispielsweise dem neu eingerichteten Zeller Waldkindergarten im vorletzten Jahr. »Weil jemand gefehlt hat, war ich gefragt worden, ob ich mitmach´«, erklärt die Ehrenamtlerin dazu. Ohne Verständnis dafür, dass dieses ihr Tun auch nur eine Silbe der Erwähnung wert sein sollte.
Gleiches gilt für die beinahe »48 oder 49 mal«, an denen sie seit gut zwei Jahrzehnten den Aufrufen des örtlichen Roten Kreuzes folgt und Blut spendet. »Das ist jetzt ja wirklich nichts Besonderes«, sagt sie mit unaufgeregter Bestimmtheit.
Überhaupt hilft sie im Hintergrund, wo immer Hände gebraucht werden. Das gilt auch für Veranstaltungen jedweder Art, wie dem jährlichen Hexenball der Eckwald-Narren in Unterharmersbach, wo sie lange gewohnt hat. Und als der Hof von Nachbarn niederbrannte, so dass diese ihr Hab und Gut verloren, gehörten Ursula Birr und ihr Mann Torsten selbstverständlich zu all jenen, die halfen, ein Benefizkonzert zur Unterstützung der betroffenen Familie zu organisieren.