Horst Feuer hielt einen großartigen Vortrag über Leben und Wirken von Dr. Otto Walther. Der Historische Verein Nordrach hat mit dem Referenten Horst Feuer voll ins Schwarze getroffen. Annähernd 100 interessierte Besucher kamen am vergangenen Samstagabend in die Rehaklinik Klausenbach und lauschten dem Vortrag von Horst Feuer über das Leben und Wirken von Dr. Otto Walther.
Es war mucksmäuschenstill im Saal der Rehaklinik Klausenbach während der Rede von Horst Feuer, der das Leben und Wirken von Dr. Otto Walther und dessen Bedeutung für die Entwicklung der Gemeinde Nordrach beschrieb. Horst Feuer hatte diese Lebensgeschichte eingebettet in das politische und soziale Umfeld, die Besucher erhielten zusätzlich kostenlosen Geschichtsunterricht. Mehr als fünfzig Fotos ergänzten seinen Vortrag.
»Ohne die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hätten wir keinen Grund, hier zu sein«, begann Feuer seine Rede. Er beschrieb, wie Otto Walther seine spätere Frau Hope Bridges Adams während des Studiums an der medizinischen Fakultät der Universität Leipzig kennen gelernt hatte. Im Jahre 1880 bestanden beide ihr Staatsexamen, Otto Walther erhielt seine Approbation und den Doktortitel, Hope, weil Frau, wurde dies verweigert. Über den Umweg Bern und Dublin erhielt auch sie 1881 ihre Approbation. 1882 heirateten sie und zogen nach Frankfurt a. M., wo sie gemeinsam eine Praxis betrieben. Ihre Kinder Mara und Heinz wurden dort geboren. Otto und Hope Walther gehörten einem sozialdemokratischen Netzwerk an, zu ihren Freunden zählten Rosa Luxemburg, Wilhelm und Karl Liebknecht, Klara Zetkin, August Bebel, Friedrich Engels, Kurt Eisner, ja sogar das Ehepaar Uljanov-Lenin. »Wahnsinn oder?«, rief Feuer in den Saal. Ihr Ruf als Sozialdemokraten machte die Walthers bei den Behörden verdächtig und Otto Walther wurde mehrfach inhaftiert.
Im Jahre 1886 kamen sie einer Ausweisung zuvor und fanden im relativ liberalen Großherzogtum Baden Unterschlupf. Die SPD hatte auf dem Brandeck-Lindle im hinteren Ohlsbachtal die sog. »Villa Brandeck« vermacht bekommen und der Offenburger SPD-Reichstagsabgeordnete Adolf Geck bot ihnen dieses Haus an, das sich als Zufluchtsort bestens eignete. Hope war bereits in Frankfurt an der Tuberkulose erkrankt, auf Brandeck fand sie bald Genesung. Das Ehepaar Walther blieb aber auch hier nicht unbehelligt, vor allem der als »Sozialistenfresser« bekannte Oberamtmann Anton Rasina vom Großherzoglichen Bezirksamt machte ihnen das Leben so schwer wie möglich und verhaftete Otto Walther immer wieder. Fesselnd wie in einem Krimi erzählte Feuer diese spannende Episode.
Dr. Otto Walther hatte einen beruflichen und sozialen Traum
Dr. Otto Walther hatte einen beruflichen und sozialen Traum, eine Volksheilstätte für Lungenkranke zu gründen. Diese Krankheit war damals weit verbreitet, jährlich fielen ihr mindestens 1,5 Mio. Menschen zum Opfer. Deshalb suchte er die Umgebung von Ohlsbach ab, um einen möglichst nebelfreien, wasserreichen und sonnigen Platz zu finden. Im hinteren Nordrachtal befanden sich leerstehende Gebäude der 1850 aufgelösten Glashütte und der ehemaligen Blaufarbenfabrik. Es gelang Walther, dort nach und nach die erforderlichen Grundstücke zu erwerben.
Bereits 1891 konnte das Ehepaar Walther die Lungenheilstätte Nordrach-Kolonie eröffnen, Um- und Neubauten folgten und schließlich zählten zum »Waltherschen Paradies« rund vierzig Gebäude, ein Schwanenteich sowie Spazier- und Wanderwege.
In der Therapie ging Otto Walther radikal neue Wege. Liegekuren lehnte er strikt ab, seine Patienten sollten sich viel bewegen, sich stärken, viel essen und sich nicht gegenseitig bemitleiden. Die Patientenzimmer erhielten elektrisches Licht, sogar eine elektrische Heizung und sie waren mit Duschen und Warmwasser ausgestattet (1891!). Bis zu 63 Patienten konnten aufgenommen werden, darunter auch viele gut betuchte Engländer und Amerikaner, die ihrerseits mithalfen, dass einfache und arme Patienten kostenfreien Aufenthalt bekommen konnten. Winston Churchills Braut und spätere Frau zählte auch dazu.
Heilungserfolge festigten den ausgezeichneten Ruf der Lungenheilstätte
Gute Heilungserfolge festigten den ausgezeichneten Ruf der Lungenheilstätte. Noch vor der Jahrhundertwende entstanden weitere Kuranstalten im Dorf. Der Linden- und der Stubenwirt wurden zu Kurhausbesitzern und auch das spätere Lungensanatorium Rothschild wurde gebaut. Nach Walthers Vorbild entstanden weitere Kliniken auch im Ausland, welche besonders im englisch sprachigen Bereich oft den Beinamen »Nordrach« verwendeten.
Das ausufernde Arbeitspensum von Dr. Otto Walther führte privat zu schmerzlichen Veränderungen. Schon 1893 trennte sich seine Ehefrau von ihm und zog mit Karl Lehmann, 10 Jahre jünger und bis dahin Verwalter der Heilstätte, nach München. Diese Trennung habe Otto Walther nie ganz überwunden, ist Feuer überzeugt. Erst zwei Jahre später willigte er in die Scheidung ein und heiratete die gerade 21-jährige Dänin Ragnhild, eine ehemalige Patientin und Tochter von Frederik Bajer, bekannter Politiker, Pazifist und späte-rer Friedensnobelpreisträger (1908). Zwei Jahre später kam ihre Tochter Gerda zur Welt, die später auch promovierte und eine renommierte Parapsychologin und Phänomenologin wurde. Das Eheglück währte nicht lange. Ragnhild starb bereits 1903, ihre Urne wurde am Waldrand unter einer Sitzbank eingegraben. Diese erhielt den Namen »Ragnhilds Ruhe«, heute auch als »Steinerne Sitzbank« bekannt.
Ein Jahr später heiratete Dr. Walther Ragnhilds ältere Schwester Sigrun. Die Hochzeitsreise war spektakulär, berichtete Horst Feuer: »Sie führte über Freiburg, Basel, Luzern bis zum Grimselpass, mindestens 300 km weit. Dabei sind auch Töchterchen Gerda und ihr Halbbruder Heinz, und jetzt kommt´s: Nicht mit der Eisenbahn oder dem aufkommenden Kraftfahrmobil, nein, das Ganze mit zwei Pferden vor einem »Amerikanerwagen«. Um Gewicht zu sparen, hatte Walther das Dach zu Hause gelassen und dafür einen großen roten Sonnenschirm in die Mitte montiert, den er bei Regen aufspannte. Durch Neuschnee auf dem Pass wurden sie zur Umkehr gezwungen«. Ein halbes Jahr später kaufte er sich ein Auto, das erste in Nordrach.
Wegen gesundheitlicher Probleme, vielleicht auch auf Drängen seiner Frau Sigrun, machte Dr. Walther im Jahre 1908 der Stadt Offenburg das Angebot, ihr sein »Paradies« mit mehr als 30 Hektar Land für den Spottpreis von 200.000 Mark zu verkaufen. Offenburg lehnte ab, »zu weit abgelegen«, Walther konnte das nicht verstehen. So kam die Badische Landesversicherungsanstalt (LVA) zum Preis von 300.000 Mark zum Zug und ausgerechnet der ehemalige Oberamtsmann Rasina, nun Geheimer Regierungsrat und Präsident des Vorstands der LVA, war sein Verhandlungspartner.
Die Familie Walther verließ nun Nordrach. In Leoni, am Ostufer des Starnberger Sees, kaufte Otto Walther ein Anwesen, wo er nur noch ein privates Leben führte. Er widmete sich der Musik, spielte Phonola, ein mechanisches Klavier, und kümmerte sich um Gerda und ihre Ausbildung. Mit seinen vielen alten, politischen Gefährten blieb er weiterhin in Kontakt, August Bebel war mit seiner Familie oft zu Besuch. Schon 1909 erkrankte Walther schwer an einem Nierenleiden. Seine Erkrankung verschlimmerte sich und 1917 zog er nach Baden-Baden, um dort die nötige Pflege zu erhalten. Am 6. April 1919 verstarb er, seine Asche begrub seine Frau unter einer sonnigen Bank im Garten.
Das Leben von Hope Adams und von Gerda Walther
Horst Feuer beschrieb auch das Leben von Hope Adams und von Gerda Walther, die später über ihren Wegzug im Jahre 1908 aus Nordrach schreibt: »Eine Welt brach zusammen, als wir in Nordrach wegfuhren. Nun hatte ich keine Heimat mehr«. Gerda Walther kam 1967 noch einmal nach Nordrach zurück und besuchte das Lebenswerk ihrer Eltern, die heutige Rehaklinik Klausenbach. »Es sei nur noch von einem früheren Privatsanatorium die Rede, in dem reiche Patienten behandelt wurden, ihren Vater kannte praktisch niemand mehr«, zitierte sie Feuer. Als Gerda Walther im Jahre 1977 starb, erfüllte man ihren Wunsch, in Nordrach ihre letzte Ruhe finden zu können. Ihr Grab befindet sich links vom Haupteingang an der Friedhofsmauer.
Würdigung des Vortrags von Horst Feuer
Horst Feuer unterstrich in seinem lebendigen Vortrag immer wieder, welch eine außergewöhnliche Persönlichkeit Dr. Otto Walther war, ein Sozialdemokrat mit Leib und Seele, vom Anfang bis zum Ende. »Der Hauch der ganz großen Geschichte wehte einige Jahre durch unseren Schwarzwald, unsere Heimat, durch die Kolonie und durch Nordrach und fast alle Großen des Kämpfens und Mühens für Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Demokratie und Frieden waren zugegen. Viele, die Rang und Namen haben auf dem langen deutschen Weg zur Demokratie, bilden das Umfeld dieses Mannes, er war mitten drin und dabei, er war, ist und bleibt einer von ihnen – und er hat Nordrach mit ihnen allen verbunden«.
Feuer lobte Otto Walther als überzeugten Europäer, »er arbeitete in London und unter seinen sozialistischen Freunden waren jede Menge Ausländer und Juden. Er heilte Arme und Reiche, gleich welcher Anschauung. So sieht Humanität, so sieht Miteinander, so sieht gelebtes Europa aus«.
Und die Bedeutung für Nordrach sei ohne Beispiel: »Dr. Otto Walther hat Nordrach ins grelle Licht der großen Welt geholt, ungeahnte Möglichkeiten ins Tal gebracht, das Leben verändert, den Alltag bereichert und Einkommen in vielerlei Hinsicht ermöglicht. Dass Nordrach zu dem wurde, was es mal war, dass Nordrach heute so ist, wie es ist, ohne Walther undenkbar, allein sein Verdienst«.
Horst Feuer übte auch deutliche Kritik daran, dass Otto Walther jahrzehntelang unbeachtet blieb, fast vergessen. Vor 50 Jahren habe Sepp Schülj im Jahresband »Ortenau« einen Beitrag veröffentlicht, »Dr. Otto Walther, der Gründer des Sanatoriums Nordrach-Kolonie«. Dessen Anregung, diesem Mann eine Straße, einen Platz oder eine Erinnerungstafel zu widmen, sei dank des Historischen Vereins Nordrach 44 Jahre später in Erfüllung gegangen.
Am Ende seines Vortrags regte Feuer an, an der Sitzbank »Ragnhilds Ruhe« und am Grab von Gerda Walther jeweils eine erklärende Beschilderung anzubringen.
Die sichtlich beeindruckten Besucher dankten Horst Feuer mit stehenden Ovationen für seinen informativen, mit Witz und Leidenschaft gehaltenen Vortrag und viele blieben noch im Saal, um miteinander zu diskutieren oder auch nur, um Horst Feuer persönlich für seinen großartigen Vortrag zu beglückwünschen.