Erstmals seit vielen Jahren werden die Glasfläschchen an den Kostümen der Nordracher Narren wieder in der Wolfacher Dorotheenhütte hergestellt. Häsmeister Claudius Welle durfte sich selbst daran versuchen.
Es war einmal … so beginnt diesmal kein Märchen, sondern die Geschichte des Häs der 1974 gegründeten Nordracher Narrenzunft. Denn es war einmal vor über 300 Jahren, dass im hinteren Teil des Nordrachtales Glas produziert wurde.
Zogen früher Hausierer von Haus zu Haus, um die Waren dieser Fabrik unter die Leute zu bringen, so sind es heutzutage die Glashansele, die zur Fasent verschmitzt maskiert durch die Gegend ziehen. Mit gestrickten Mützen, deren Blau sich auf das Kobaltblau bezieht, das – was nur in wenigen Glasstätten der Fall war – dereinst in Nordrach hergestellt wurde. Und mit (unter anderem) farbigen Glasflaschen im Miniaturformat, die an den Gewändern baumeln. Je nach deren Größe sind es pro Häs zwölf bis dreizehn Stück.
»Insgesamt benötigen wir jedes Jahr etwa 200 bis 250 Stück«, weiß Häsmeister Welle. Nicht nur für neue Kostüme. Denn immer mal wieder geht eines der Fläschchen, die aus Gewichtsgründen hohl sind, kaputt oder verloren. »Manche Zuschauer fragen bei den Umzügen auch, ob sie uns ein Fläschchen abkaufen können, aber das machen wir eigentlich nicht«, erzählt der 34-Jährige, der seit seinem 16. Lebensjahr der Zunft angehört und daher nur zu gut um das haarsträubende Gebaren hemmungsloser Zeitgenossen weiß: »Manche reißen uns einfach eines der Fläschle vom Häs ab.«
Altes Werkzeug verloren
In den ersten Jahrzehnten schon waren diese Utensilien in der Wolfacher Dorotheenhütte hergestellt worden. Claudius Welle erklärt: »Da sahen sie anders aus, sie waren bauchiger oder sie hatten die Form einer Glocke.« An manchen alten Kostümen sieht man sie noch, »aber das werden natürlich immer weniger.« Dadurch, dass die Wolfacher Mundblashütte irgendwann das Sortiment und auch den Besitzer wechselte und die Nordracher Mini-Fläschle nicht mehr ins Programm passten, gingen die alten Formwerkzeuge verloren.
Die Glashansele behalfen sich mit Parfüm- und ähnlichen Fläschchen aus China. 3.000 Stück bestellten sie, das reichte für neun Jahre. Dann aber wurde es eng. Eine Kontaktaufnahme mit Ralf Müller, dem jetzigen Geschäftsführer sowohl der Dorotheenhütte als auch der Zeller Keramikfabrik, brachte zur Freude der Nordracher ein positives Ergebnis: Überaus angetan war Ralf Müller von dem Projekt – umso mehr, als die Glashansele laut Claudius Welle »im Umkreis von 50 bis 100 Kilometern die einzige Narrenzunft sind, die das Thema Glas aufgegriffen haben.«
Wolfach statt China
Insgesamt drei Jahre Vorbereitungszeit waren allerdings vonnöten. In Abstimmungsgesprächen ging es zunächst darum: »Welche Formen machen wir?« Auf ein schlankes Rechteckformat einigte man sich als erstes, »weil das relativ einfach zu machen ist und trotzdem schön aussieht.«
Anschließend mussten die Werkzeugformen gezeichnet und hergestellt werden. Bei den darauf folgenden Herstellungsversuchen in der Dorotheenhütte gab es zunächst Probleme. Claudius Welle: »So kleine Gläser blasen die nicht oft – und wenn, dann sind sie massiv.« Im Ergebnis musste die Kontur nachgearbeitet, die Form also nachgeschliffen werden.
Wie aufwändig das Erstellen eines einzigen Fläschchens ist, hat der Häsmeister am eigenen Leib erfahren. Der als Bauleiter tätige Bautechniker durfte selbst einen Tropfen glühender Glasmasse mit dem Glasbläserstab »vorblasen«, also vorformen und in eine Metallform geben, die aus zwei von Scharnieren zusammengehaltenen Flügeln besteht und ein wenig einer überdimensionalen Raviolipresse ähnelt. »Diese Form hält der eine zu und der andere bläst von oben rein.« Danach wird die Glasmasse vom Glasbläserstab abgeschnitten. »So schnell geht das – jedenfalls bei denen, die’s können«, lacht Claudius Welle sein vergnügtes Lachen. Er zückt das Smartphone und spielt ein Video ab, das den gesamten Produktionsvorgang und auch seine eigenen Versuche zeigt, die ersten gingen prompt daneben.
Mit Spannung geladen
Um die im wahrsten Sinne des Wortes spannungsgeladenen Fläschchen vor dem Zerspringen zu bewahren, werden sie über acht Stunden hinweg langsam im Ofen abgekühlt. Anschließend müssen eventuell überstehende Wulste respektive Grate – an den Stellen, wo die Form nicht ganz geschlossen war – mit Diamantscheiben glatt geschliffen werden. Ebenso wie der zunächst noch unförmige Flaschenhals. »Das ist schon ’ne richtige Handarbeit, was die Jungs und auch Mädels da machen«, stellt der gestandene Eleve anerkennend fest.
In die richtige Produktion ging es nach dem Weihnachtsgeschäft Ende 2017, zur Fasent 2018 dann erhielten die Glashansele die ersten 50 Fläschchen aus der Dorotheenhütte. 250 weitere folgten in diesem Jahr, 100 davon in einer neuen, geschwungenen Form. Die zeigt auf Vorder- und Rückseite entweder die Glashanselemaske oder den Glashanselestock. Teils sind die Fläschle auch glasperlengestrahlt, was eine Mattierung bewirkt. Neue Formen sollen im Laufe der Jahre hinzukommen. Für die Narrenzunft heißt es nun, von Hand Schraubösen einzukleben, damit die Fläschle ans Häs genäht werden können.
Plastikplättchen passé?
Überdies laufen Versuche, auch die runden Plättchen am Häs aus Glas herzustellen. Die sind schon immer aus Kunststoffgranulat hergestellt worden, das in Formen gefüllt und im Backofen geschmolzen wird. »Das machen wir in der Zunft, teilweise bei mir zu Hause«, und wieder lacht Claudius Welle, der sich gemeinsam mit Häsmeisterin Monika Gieringer um die regelgerechte Ausstattung eines jeden Glashansele kümmert.
Dorotheenhütte-Leiter Müller will nun die Herstellung aus Glas testen – auch vom Gewicht her, das die Narren dann zu tragen hätten. Denn von diesen bunten Plättchen hängen 25 bis 30 Stück am Häs, mit einem Durchmesser von jeweils ungefähr vier Zentimetern. »Momentan sind wir an den Formwerkzeugen dran: Die müssen noch gezeichnet werden, damit sie anschließend ausgefräst werden können«, so der Mann aus der Vorstandsriege der Nordracher Narrenzunft. In diese neuen Metallformen wird dann jeweils ein glühender Glastropfen gesetzt, der mit Kastanienholz glattgerieben wird.
Glashansele-Fasent
Die Zunft hat momentan 250 Mitglieder, davon rund 140 aktive mit über 40 Kinderhäs. Eine Maske dürfen die kleinen Narren mittlerweile ab dem 10. Lebensjahr tragen, mit 16 Jahren wird man in die Gruppe der erwachsenen Hansele aufgenommen.
Am Samstag, 23. Februar, findet um 20.10 Uhr der Zunftabend in der Nordracher Hansjakobhalle statt. Den vollständigen Narrenfahrplan inklusive Rosenmontagsumzug kann man
unter www.narrenzunft-nordrach.de einsehen.