»Ich war im Leistungsturnen«, erzählt Marlene Herrmann von ihrer Jugend, »das war meine absolut große Leidenschaft«, erzählt sie, erzählt es mit sprühender Lebensfreude. Sportlehrerin wollte die heute 69-Jährige damals werden, mit dem Nebenfach Kunst.



Eine sich lebenslang verschlimmernde Wirbelsäulenerkrankung machte der späteren Erzieherin und Fachlehrerin für geistig Behinderte einen Strich durch die Rechnung. Da war die gebürtige Biberacherin mit den italienischen Wurzeln 13 Jahre alt.
Bereits zwei Jahre später begann sie ihr Talent anderweitig zum Wohle anderer einzubringen: indem sie die drei Mädchenriegen des Biberacher Turnvereins trainierte. Womit sie ihr erstes Ehrenamt antrat, im zarten Alter von gerade einmal Fünfzehn. »Im Winter musste ich morgens um sechs Uhr in die Turnhalle und den Ölofen anfeuern, damit wir nachmittags zum Turnen da rein konnten«, lacht Herrmann ihr vergnügt glucksenden Lachen, »das kann sich heutzutage kein Mensch mehr vorstellen.«
Als ihr Ausbildung und Beruf nachmittags keine Zeit mehr ließen, musste sie dieses Ehrenamt nach drei Jahren zwar aufgeben – sehr bald jedoch war sie wieder in ihrem turnerischen Element. Und zwar als »Biber«. Diese Gewässer stauenden Nagetiere stellen innerhalb der Biberacher Narrenzunft eine der drei Häsgruppen dar, 1972 wurden sie ins Leben gerufen. Herrmann gehörte zu den Gründungsmitgliedern, trainierte jahrzehntelang das närrische Frauen-, Jugend- und Männerballett, rief zudem den Kinderball mit ins Leben.
Biber-närrisch
»Mit fünfzig habe ich dann nur noch Kostüme genäht und die Biber im Hintergrund unterstützt«, erzählt die Schmerzerprobte. »Wenn man irgendwann auf den Gehstock angewiesen ist, kann man nicht mehr im Häs rumhupfen«, lacht die »schon sehr mit der Fasend Verbandelte«. Lacht mit dem ihr typischen, dem eigenen Schicksal rigoros trotzenden Humor. Sofern möglich, ist sie noch heute bei Bedarf für die Biber da, »bis vorletztes Jahr habe ich auf dem Kinderball noch Kuchen verkauft.«
Für ihr durchgängig aktives »Biber«-Engagement wurde der unverwüstlich Wirkenden 2016 die höchste Auszeichnung der Oberrheinischen Narrenvereinigung zuteil. »S’ halb Lebe« nennt sich der Orden, den Marlene Herrmann zusammen mit ihrem Mann – dereinst langjähriges Mitglied im Biberacher Narrenrat – sowie einem gemeinsamen Freund erhielt.
Schmerzliga
Auf einem gänzlich anderen Terrain bewegt sich die 2009 in Rente Gegangene in der Deutschen Schmerzliga. Seit sieben Jahren fungiert sie in dem bundesweiten Verein als stellvertretende Vorsitzende der Ortsgruppe Kinzigtal.
Die wiederum hat ihren Sitz in Haslach, wo einmal im Monat ein Treffen mit bis zu 20 Teilnehmern stattfindet, das auch Nicht-Mitgliedern offensteht. Die meisten von diesen kommen nur wenige Male: »Sie nehmen sich viele Informationen mit, fühlen sich dadurch ausreichend beraten und kommen nicht mehr und werden auch nicht Mitglied«, so Marlene Herrmann. Das sei zwar sehr schade, doch sie betont: »Wir als Schmerzliga freuen uns über jeden, dem wir haben helfen können.«
Wo sie angesichts ihrer eigenen Kalamitäten die Kraft hernimmt, sich um die Schmerzen anderer zu kümmern? Sie schaut ein wenig verwundert. »Ich glaub, ich hab’ da einfach die Gene. Ich war noch nie zum Meditieren in Indien«, platzt wieder eine Lachsalve aus ihr heraus, »aber früher war ich beim Bergsteigen«. Schlagartig wird sie ernst. »Das hat mir immer sehr viel Kraft gegeben.«
Als sie auch diesen Sport erkrankungsbedingt nicht mehr ausüben konnte, habe ihr das sehr gefehlt:»Aber ich bin irgendwie so gestrickt: Ich kann nicht stillsitzen.« Und mit einem ebenso breiten Schmunzeln erzählt sie, dass sie mit einem »sehr lieben und seinerseits überaus umtriebigen Mann« verheiratet sei, der das alles mittrage.
Kettererhaus mit Leben erfüllt
Noch länger als in der Schmerzliga ist Marlene Herrmann, die überdies im Verein »Hilfe von Haus zu Haus« über drei Jahre hinweg ein autistisches Kind betreut hat, auch im »Kettererhaus« aktiv. Dem Biberacher Heimatmuseum also. Wohl im 18. Jahrhundert erbaut, wurde das Gebäude nach seinem letzten privaten Besitzer benannt, dem »Kettererschmied«, danach erstand die Gemeinde das Gemäuer. »Die letzten Leute, die hier wohnten, habe ich noch gekannt«, erinnert sich die Seniorin. Zum Museum wurde der Komplex anno 1973.
Historisches Interesse samt der tiefen Verwurzelung mit ihrem Heimatdorf ließen sie 2009 die Betreuung des Kettererhauses übernehmen, »zunächst ging’s nur darum, hier Führungen zu machen und die Öffnungszeiten abzudecken«. Gemeinsam mit dem Historischen Verein, der heutzutage unter der Leitung ihres ehemaligen Schulkameraden Josef Ringwald steht, sorgte die Tatkräftige jedoch sehr bald für Veränderungen. Mit dem Ziel, das Museum zu beleben.
Dazu gehörte zunächst eine Entfrachtung der Ausstellungsräume. Vor allem aber wurde die uralte Küche – deren Boden besteht aus von Generationen glattgetretenen Sandsteinblöcken – mit einem funktionstüchtigen Herd ausgestattet sowie mit fließendem Wasser. Zudem baute man den Ofen in der Stube nebenan nach modernen Sicherheitsstandards so um, dass er nun wieder befeuert werden kann.
Verloren geglaubte Biberacher Tracht
Pro Jahr etwa zehn Gruppen hat Marlene Herrmann durch das Museum geführt, bevor es wegen Corona nun vorübergehend geschlossen wurde. Hinzu kommt der jährliche Museumstag mit einem umfangreichen Mitmachprogramm, vor allem jedoch hat die Pädagogin das Museum ins sommerliche Ferienprogramm integriert. Und als ob das nicht genug wäre, arbeitet sie seit Jahren daran, die verloren geglaubte Biberacher Tracht zu rekonstruieren, »mittlerweile bin ich fast fertig.«
Über allem liegen ihr – wie auch dem Historischen Ortsverein – dabei zwei Dinge am Herzen. Das ist zum einen die zum Erhalt dringend notwendige Sanierung des Gebäudes mit seinem ortsbestimmenden Anblick, »ganz egal, welchem Zweck es zukünftig zugeführt werden soll – es hat keinerlei Wärmedämmung, bröckelt innen wie außen.«
Zum anderen ist da die Hoffnung, weitere Menschen zu finden, die sich für das Heimatmuseum engagieren, und sei es nur stundenweise. »Einfach, dass altes Kulturgut weitergetragen wird.«, unterstreicht die mit all ihrem Herzblut Engagierte und überdies an vielen Hobbys Interessierte: »Wenn ich mir vorstelle, dass das irgendwann niemand mehr macht – das finde ich ganz schrecklich.«