Sie hat noch nichts von ihrem Charme und frischen Lächeln verloren, und wenn es ihr einmal langweilig wird, sagt sie: »Im Alter ist das halt so, das ist auch mal schön, wenn man nicht den ganzen Tag unterwegs isch und renne muss, dass alles erledigt wird.«
Dann lacht sie ihren Besuch an: Ihr Sohn Herbert, ihren obersten Chef im Hombe Ortsvorsteher Ludwig Schütze und dem Mann im Ruhestand: Der Peter, der sich mit Stolz a. D. nennt. Am vergangenen Samstag, 28. Januar, konnte Lina Hertig ihren 97. Geburtstag feiern.
Sie war richtige Prominenz im Hombe. Ihrem Opa Hans Schmider gehörte nämlich der berühmteste Gasthof im Tal: Der »Schwarzer Adler« mit einem großen Teich, dieser war von der Säge mit so viel bestem Wasser gefüllt, dass man mühelos baden und tauchen konnte. Und die Straße durch Unterharmersbach war damals gar keine Straße, sondern mindestens sonntags eine Kegelbahn, auf der fleißig gekegelt und auch Bier getrunken wurde.
Vier Mädel und ein Bub
Sie waren daheim fünf Kinder, vier Mädel und ein Bub. Lina, die Älteste, musste immer aufpassen, dass sie alle wieder heimkamen. Immerhin hatte das mit den fünf Kindern auch sein Gutes. Weil die Familie mit Kindern reich gesegnet war, durfte Lina mit staatlicher Genehmigung im achten Schuljahr zuhause bleiben und den Haushalt in Schuss halten.
In den Jahren zwischen ersten und zweiten Weltkrieg herrschte überall Hungersnot. Lina erinnert sich: »Die schlimmste Zeit in meinem Leben. Wenn ich dran denke, wie ich tagtäglich Hunger hatte, spüre das Hungergefühl heute noch.«
Keramikmalerin gelernt
Nach dem schulfreien Jahr als Haushaltshilfe zuhause bekam Lina in der unteren Fabrik eine Lehrstelle als Keramikmalerin. Ihre Vorgesetzten waren sehr zufrieden mit ihr, weil sie so begabt war und mit Pinsel und Farbe wie keine andere umgehen konnte. Aber die gnadenlose Akkordarbeit gefiel ihr gar nicht. Nach sechs Jahren als Keramikmalerin machte sich Lina selbständig und richtete sich zuhause im Keller ein kleines Atelier ein.
Sie bemalte Geschirr mit Schwarzwaldmotiven und Blumen und verkaufte sie in großen Mengen als Souvenirs an Geschäfte in Schonach zum Weiterverkauf.
1947 war Hochzeit
Inzwischen war ihr Mann Sepp aus dem Wälderloch aus dem Krieg heimgekehrt. Am 23. Mai 1947 war Hochzeit und 1956 war mit viel Mühe und Arbeit ein Eigenheim gebaut. Lina bekam neben der Arbeit, dem Uhrenschildermalen und den Haushalt in Schuss halten, ihre zwei Buben Sepple und Herbert. Am 26. März 1986 ist ihr Mann verstorben.
1964 übernahm Lina das Sporthaus des Fußballvereins als Wirtin. Da sie immer freundlich war und hervorragend kochte, lief die Wirtschaft hervorragend. Besonders Reschele, die gebratene Rehleber, war der absolute Renner.
Lina hatte noch mehr Talente. Wenn sie mit ihrer herrlichen Altstimme unter Begleitung von Fritz Gallus in der Kirche oder bei Festen sang, hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Und zum Schluss gab es nicht enden wollender Beifall.
Auch an der Fasent war Lina sehr aktiv. Zusammen mit ihren Freundinnen, den Turnerfrauen, weckte sie die Hambacher am Schmutzigen aus dem Winterschlaf. Sie organisierten sogar einen Umzug. Hierzu bauten sie unter dem Kommando von Kapitän Sepp Hertig ein Riesenschiff auf einen Umzugswagen, der eifrig beklatscht wurde.
Frauen im Löscheinsatz
Eines wird Lina ihr Leben lang nicht vergessen. In den letzten Tagen des zweiten Weltkriegs ging auf einmal die Luftschutzsirene, die Schulkinder rannten in den Keller und beteten den Rosenkranz, als das Rössle und die Rösslemühle bombardiert wurde. Im Nu standen beide Gebäude in Flammen. Zum Glück hatten die Unterharmersbacher Frauen damals immer wieder eine Feuerwehrprobe abgehalten. So wussten die Frauen Bescheid, wie man löscht. Bis in den späten Abend pumpten sie ohne Pause unter der Leitung von Lina Hertig aus dem Harmersbach Wasser und tatsächlich gelang es ihnen die Brände zu löschen.
Studenten mit Essen versorgt
Die nächsten Jahre half Lina ihrer Schwester Candida in der Freiburger »Burse« täglich 200 Studenten mit Essen zu versorgen. Schwester Candida war Küchenchefin und Köchin, und Lina schöpfte die Teller der hungrigen und dankbaren Studenten voll. Mit ihrem legendären Jeep fuhr sie Woche für Woche immer am Montagmorgen nach Freiburg und am Samstag wieder zurück. Als die »Burse« zum Kaufhaus umgebaut wurde, wurde das Gebäude als Studentenheim aufgegeben. Schwester Candida ging zurück nach Gengenbach ins Mutterhaus der Franziskanerinnen vom Göttlichen Herzen Jesu ins Haus Bethanien.
Lina lebte weiter in Unterharmersbach bei ihrem Sohn Herbert. Später folgte sie ihrer Schwester ins Haus Bethanien, wo sie noch heute ist und sich gerne an die alten Zeiten zurückerinnert.