Im Jahr 2020 hätte die Musik- und Trachtenkapelle Unterharmersbach ihr 150-jähriges Jubiläum gefeiert. Es waren dazu mehrere Veranstaltungen geplant. Im Februar fand noch ein Festbankett statt im eigenen Probelokal des Musikvereins. Danach mussten alle Veranstaltungen aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt werden. In den drei Folgen dieser Serie erzählt Patrick Friedmann die Geschichte des Musikvereins Unterharmersbach von den Anfängen bis ins Jahr 1950.
Prolog
Das erste eigene Probelokal in der Grundschule ist ein Meilenstein in der Geschichte des Vereins. 2012 wurde begonnen, die ehemalige Lehrerwohnung im Obergeschoss zu renovieren. Einen Großteil der Kosten trug die Stadt Zell, die meisten Arbeiten führte der Verein selbst durch. Seit 2014 probt nun die Kapelle im eigenen Probelokal. 2020 wurde im Dachgeschoss noch ein Archivraum für Uniformen, Noten und Unterlagen eingerichtet. Beim Einräumen kamen verschiedene historische Unterlagen zum Vorschein. Unter anderem die Kassenbücher ab 1911, die Protokollbücher des Musikvereins ab 1925, Unterlagen von Wertungsspielen sowie die kompletten Unterlagen des großen Musikfests 1929. Diese Dokumente gaben den Anlass für diese Zeitreise mit dem Schwerpunkt auf die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen.
Die Anfänge
Aus der Anfangszeit der Musikkapelle Unterharmersbach sind im Vereinsarchiv keine Unterlagen erhalten. In der Festschrift des Musikvereins aus dem Jahre 1995 steht »daß es bereits im Jahre 1770 […] Musikanten gegeben hat, die bei kirchlichen Festen aufspielten« (1), allerdings ohne die Quellen zu benennen. Die Stadtkapelle Zell a. H. nennt als Gründungsjahr 1781 und stützt sich dabei auf einen Eintrag im Protokollbuch der Stadt, nach dem dem Gehilfen des Lehrers wegen »Instruction in der Musik und somithinig mehrer Beförderung der hiesigen Wallfahrt zu seinem Lohn aus der Statt Caße 10 Gulden zur Ermunterung seines erweiternd Dienste verwilligt«. (2) Der Zweck der Musik dürfte somit in beiden Fällen im Zusammenhang mit der Wallfahrtskirche Maria zu den Ketten stehen. Eine Recherche in den Archiven könnte auf Unterharmersbacher Seite einen ähnlichen Beleg zu Tage bringen, doch das ist Spekulation.
Gemeinsame Wurzeln
Eindeutiger wird die Sachlage zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Das Ehrenmitglied Gustav Leopold, Jahrgang 1899, schreibt dazu in der Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum 1970: »In den Jahren um 1820 haben sich musikliebende Männer aus Unterharmersbach und Zell a. H. zu einem Kirchenorchester vereinigt, das man als Anfang der Stadtmusik Zell a. H. ansehen kann«. (3) Zeitlich deckt sich diese Aussage mit den Angaben des Zeller Lokalhistorikers Carl Fischer, der die Gründung der Bläserkapelle in das Jahr 1824 terminiert. Die Stadtkapelle und die »Hombacher Musik« haben also gemeinsame Wurzeln. Die Chronik der Stadtkapelle erwähnt eine Mitgliederliste von 1856 bis 1866; sie könnte also auch einige Unterharmersbacher Namen beinhalten.
Bezugspunkt 1870
Als Gründungsjahr der Musikkapelle Unterharmersbach gilt das Jahr 1870. Alle Jubiläen beziehen sich auf dieses Jahr. Hierzu schreibt Gustav Leopold: »Man schrieb das Jahr 1870, als begabte Musiker aus Unterharmersbach eine eigene Kapelle gründeten, um bei Hochzeiten, Kirchweih und sonstigen Festtagen, sowie beim Ausrücken der Bürgerwehr und bei Vereinsveranstaltungen zu spielen«. (3) Die Festschriften zu den Jubiläen 1970 und 1995 berichten vom Auf und Ab in den ersten Jahren der Musikkapelle. In den 1880er-Jahren beginnt die Tradition der Maifeste, damals als »Eckwaldkonzert« am 1. Mai. Die Tradition besteht bis heute.
Dirigenten-Dynastien
Besonders erwähnenswert ist die Ära der Familie Brucher am Dirigentenpult. Von 1880 bis 1888 leitete Karl Brucher die »Hombacher Musik«. Auf ihn folgte sein Bruder Adolf 1889 bis 1899, danach dessen Sohn Adolf jr. von 1900 bis 1905. Neben seinem Engagement in Unterharmersbach war Karl Brucher auch Vizedirigent (ab 1979) und Dirigent der Stadtkapelle Zell (1882 – 1886). 1881 wird er von der wieder gegründeten Kapelle in Steinach verpflichtet. Den Weg zu den Proben legte er zu Fuß zurück! (4)
Ausbildung anno dazumal
Eine Mitgliederliste der Stadtkapelle von 1880 führt neben Karl auch den Namen Adolf Brucher. Historiker Dr. Dieter Petri fand im Gemeindearchiv der Stadt Zell einen Vertrag von 1879, aus dem hervorgeht, dass Brucher auch für die Ausbildung des Nachwuchses zuständig war: »Bernhard Riehle & Carl Brucher übernehmen die Besorgung u[nd] Leitung der städtischen türkischen Musik in der Weise [,] daß Bernhard Riehle als erster Kappellen[-]meister [,] der die Leitung der Musikproben u[nd] Musikproduktionen übernim[m]t [,] u[nd] bei dessen Verhinderung Carl Brucher als dessen Stellvertreter vom Kappellenmeister diese Sache zu besorgen hat. Ferner übernim[m]t Carl Brucher den Unterricht für die jungen Zöglinge [,] damit die Musik einen feinen guten Fortgang hat [,] im gutem Stande gehalten wird, in der Weise [,] daß derselben jeden Mitwoch & Samstag Abend den Unt[er]richt mindestens eine Stunde zu ertheilen hat.« (5)
1906 übernahm Wilhelm Hauer den Taktstock der Hombacher Musik. Zur gleichen Zeit gab es in Zell keine Stadtkapelle. Nach einem Streit trat Kapellmeister August Dreher zurück, mehrere Musiker weigerten sich unter anderer Leitung zu spielen. 1908 sah Hauer seine Chance gekommen. Er wandte sich an »An den wohllöblichen Gemeinderat in Zell a H« zwecks »Gründung und Leitung einer Stadtkapelle«. Er erklärte sich bereit, »daß er die Gründung und Leitung der städtischen Musikkapelle übernimt, wenn ihm ein Jahresgehalt von 600 Mark bewilligt wird«. (6)
Der Antrag wurde jedoch abgelehnt, die Stadt erzielte eine Einigung mit Dreher, und so wurde auch in Zell wieder musiziert.
Historische Bilder
Die ältesten erhaltenen Unterlagen im Vereinsarchiv sind zwei Photographien. Bei der einen ist auf dem Bierfass das Datum 21.08.1892 verewigt. Die Kapelle zählte damals zehn Mann.
Der Zeitpunkt der zweiten Aufnahme ist leider unbekannt. Die Form der abgebildeten Trompeten, die keine Ventile haben, lässt auf ein älteres Datum schließen. Die heute bekannte Bauform der Trompeten mit drei Ventilen gibt es seit 1830. (7)
Akkurate Kassenführung
»Was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen«, lässt Johann Wolfgang Goethe seinen Dr. Faust sagen. Für die Musikkapelle gilt das ab 1911, denn die ältesten erhaltenen Unterlagen sind zwei Kassenbücher (Einnahmen und Ausgaben), die in diesem Jahr beginnen. Fein säuberlich sind die einzelnen Beträge handschriftlich notiert und geben uns so einen Einblick in das Geschehen vor über hundert Jahren.
Die Einnahmen erspielte sich die Kapelle am »1. Mai Sonntag im Eckwald«, im Juli beim Waldfest im Wiesenwald und im November beim Cäcilienkonzert. Weitere Auftritte gab es »in Schuh-Hansen (Grüner Hof)«, im Ochsen, im Hirsch, in Riersbach, zum Beispiel an der Fasnacht, der »Kürbi (Kilwi), an Fronleichnam oder am Weißen Sonntag. Oft spielte man zu Hochzeiten im Adler, Rössle und im Badischen Hof. Regelmäßig trat man bei den Veranstaltungen anderer Vereine auf, zum Beispiel bei den Weihnachtsfeiern vom Militärverein und beim Leseverein, beim Gauturnfest, beim Radfahrverein, beim Schützenfest. Im Mai 1914 erhielt man 14,70 RM »Für Gesangverein abholen«. Die Gemeinde Unterharmersbach unterstützte die Kapelle mit einem jährlichen Beitrag, zusätzlich spendeten private Personen, zum Beispiel. 1 RM »Vom Ratsschreiber am Kaisertag«. (8)
Ausgaben für den Musikbetrieb
Die Einnahmen wurden fast ausschließlich wieder in den Musikbetrieb investiert. Neue Instrumente, Noten und Zubehör wurden gekauft, aber auch Notenpapier und »Notentinte« (einen Kopierer gab es damals noch nicht, alle Noten wurden von Hand abgeschrieben) und »Geolin zum Bassputzen«. Die damaligen Instrumente brauchten viele Reparaturen; die Aushilfe Carl Mellert aus Zell wurde mit 3 RM belohnt. Jährlich wiederkehrende Zahlungen waren für die Feuerversicherung und den »Kapellmeister« fällig. (9)
Der Weltkrieg kommt
Der letzte Eintrag im Kassenbuch ist am 28. Juli 1914. An diesem Tag begann der 1. Weltkrieg mit der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien. Der Musikbetrieb wurde eingestellt, drei aktive Musiker fielen. 1919 zählte die Musikkapelle noch neun Mann. Die Kassenbücher werden erst 1921 weitergeführt.
Quellen und Anmerkungen
1 Festschrift »125 Jahre Musikkapelle Unterharmersbach«, Die Geschichte der Musik- und Trachtenkapelle Unterharmersbach, Hrsg. Musik- und Trachtenkapelle Unterharmersbach, 1995
2 Die Zeller Stadtkapelle, Festschrift und Chronik zum 225-jährigen Jubiläum, Die Stadtkapelle in der Vergangenheit, Hrsg. Stadtkapelle Zell a.H., 2005
3 Festschrift »100 Jahre Musikkapelle Unterharmersbach«, Aus der Chronik der Musikkapelle Unterharmersbach, Hrsg. Musikkapelle Unterharmersbach, 1970
4 Blasmusik in Baden, Der Musikverband Kinzigtal, Wolfgang Suppan, Musikverlag Fritz Schultz, 1983
5 Vertrag zwischen der Stadt Zell, Berthold Riehle und Carl Brucher, Stadtarchiv XI.3.4
6 Bewerbung von Wilhelm Hauer, Stadtarchiv XI.3.5
7 Wikipedia – Trompete, abgelesen am 14.07.2021
8 Musikkapelle Unterharmersbach, Kassenbuch Einnahmen
9 Musikkapelle Unterharmersbach, Kassenbuch Ausgaben