»Oh je, was ist der immer die Stufen gerannt, vom Keller bis hoch in den vierten Stock unterm Dach, immer rauf und runter, zig Mal am Tag, vom frühen Morgen bis tief in die Nacht, und was hat der immer zu schleppen gehabt«, erinnert sich Klara Hilberer an das Tun ihres 1993 verstorbenen Vaters Anton Singler. Der war Müller aus altem Schrot und Korn, stellte in der Unterharmersbacher Rösslemühle Mehl und Futtermittel her.





Romantisch wie im Volkslied von der klappernden Mühle am rauschenden Bach ging’s hierbei jedoch so ganz und gar nicht zu.
Einen Eindruck von dem uralten Handwerk vermittelt das Innere der »wohl so etwa um 1860« erbauten Mühle. Diese – dereinst baufällig geworden – hatte der aus einer Schuttertaler Müllersfamilie stammende Singler anno 1937 gekauft und in mühsamer Eigenarbeit wieder instand gesetzt.
Im Kriegsjahr 1942 jedoch brannte die Mühle ab – wie ein erstes Mal bereits 1870. Da Anton Singler Dienst an der Front leisten musste, stand die Mutter alleine mit drei kleinen Kindern da, »ich war da noch nicht auf der Welt«, berichtet die heute 72 Lenze zählende Tochter. Was die Mutter notdürftig wieder aufbaute – mit der Hilfe von mühsam von ihr entlohnten sowie verköstigten Handwerkern, denen sie zudem die Arbeitshandschuhe flickte – brachte der Vater mit Unterstützung eines »Schreinerkollegen« zu Ende. Erst nach 1948 allerdings, denn da erst entließ man ihn aus der französischen Gefangenschaft in Baden-Baden.
So wie damals entstanden sehen die einstigen Gewerberäume der Mühle noch heute aus, blanke Bohlen auf blanken Balken bilden Fußböden und Raumdecken zugleich. Im Dachgeschoss liegen die Bretter teils so weit auseinander, dass man durch die Ritzen in das darunterliegende Geschoss blickt. »Aber man kann problemlos drüberlaufen«, lacht Klara Hilberer.
Hier oben steht noch immer die alte hölzerne Schüttel- beziehungsweise Plansichtermaschine. In deren einzelnen Kammern wurde das – im Erdgeschoss gemahlene – Brotmehl mithilfe verschieden feiner Gaze-Seide gesiebt.
Das ganze Gebäude vibrierte
»Das ganze Haus stand voll mit Maschinen, in jedem Stockwerk«, erinnert sich die Seniorin. Das Rütteln und Stampfen sorgte dafür, dass das gesamte Gebäude in sich vibrierte. Mit dem Ergebnis, dass feiner Mehlstaub aus den Mehlsäcken rieselte. »Das mussten wir jeden Abend immer wegkehren«, um Schädlingen in Form von Käfern und Mäusen das Leben so schwer wie nur irgend möglich zu machen.
Wie zu damaligen Zeiten gerade im ländlichen Raum für Mädchen häufig üblich, erhielt Klara Hilberer keine geregelte Ausbildung: »Ich hab’ hier als Magd geschafft.« Von Kindesbeinen an half die jüngste von vier Geschwistern in der elterlichen Müllerei, vor allem auch beim Schroten. Die noch immer betriebsfähige Schrotmühle befindet sich im Erdgeschoss. Der untere Mahlstein mit seinen eingemeißelten Gräben steht fest, der darüber liegende bewegliche Stein zermahlte das Getreide, »das hat immer gerattert.«
Das dabei entstehende Mehl sowie die gröberen Stücke wurden über den Rand der Mahlsteine in einen nach unten offenen Kasten geleitet und in einem darunter aufgehängten – und somit im Keller befindlichen – Sack aufgefangen.
Historisches Antriebssystem
Ein Gräuel sei es ihr immer gewesen, so Klara Hilberer, wenn es hieß, »Du komm’, häng’ mir die Säcke auf.« Denn im Keller war es unheimlich für die kleine Klara, düster und laut. Dafür sorgte eine Turbine, die seit 1952 das ursprüngliche große Wasserrad ersetzt. Sie, die heute das Gebäude mit Strom versorgt, wird mit Wasserkraft betrieben. Lediglich bei niedrigem Wasserstand des Kanals, der vom am Mühlengelände vorbeifließenden Harmersbach abzweigt, wird ein Motor zugeschaltet. Heute wie damals muss der Wasserzulauf regelmäßig mit einem Rechen von Laub, Gras und Sonstigem befreit werden, bei hohem Wasserstand gar alle zwei Stunden.
Zudem hatte sich der Müller um ein damals von der Turbine bewegtes, zig Meter langes Antriebsgestänge zu kümmern, mit dem die mechanische Antriebskraft auf die Maschinen in den oberen Stockwerken verteilt werden konnte: über ein ebenfalls wartungsintensives System von Transmissionsriemen und -scheiben, das das gesamte Haus durchzog.
Historisch auch die Art und Weise, wie die verschiedensten Getreideprodukte im Lauf ihrer Verarbeitungsstufen durch Rohre sowie senkrechte, mit großen Bechern bestückte Förderbänder durchs Haus transportiert wurden, »immer rauf und runter und wieder rauf.«
Ein Seil als Aufzug
Der Transport der Getreide- und Mehlsäcke hingegen erfolgte »mit unserem super-Aufzug«, feixt die Müllers tochter. Dieser Aufzug bestand aus einem mit einer Zange bestückten Seil. Das führte durch große Löcher in den Zimmerdecken vom Keller bis zum Dachboden, wo es über eine Getriebescheibe lief.
»Manchmal ist das Mehl aber auch wieder von oben runtergekommen«, erinnert sie sich, »wenn der Sack eingerissen war oder wenn man ein bisschen geschlampert hat und der Sack zu sehr hin und her geschlenkert ist, da wurde man ganz schön eingestaubt.« Vor allem das Brennmalz – gekeimte Gerste also – »staubt wahnsinnig.«
Doch auch mit reiner Muskelkraft musste der Vater die Säcke schleppen – sage und schreibe 100 Kilo fassten diese früher. Und die Stiegen, die der Vater Tag und Nacht hinauf und hinab rannte, die waren schmal und steil.
Neben den Mühlen und Siebvorrichtungen gab es Putzmaschinen, in denen Getreidekörner von Spreu, kleinen Steinen und sonstigem Unrat befreit wurden. Mischmaschinen wiederum vermengten die Bestandteile von Mehl oder Schrot gleich mäßig. Zum Säubern der viele Meter langen Rührwerke, den »Schnecken«, musste sich der Müller – ein großer, schlanker Mann – in die enge Luke schmaler Schächte quetschen. In die fiel er eines Tages hinein. Zum Glück unverletzt konnte er am Rührwerk wieder hinaufklettern, sich von der erschrockenen Tochter hinaus helfen lassen.
Stundenlanges »Getreidenetzen«
Auch sonst gehörte viel Handarbeit zur Müllerei. Wie beispielsweise beim sogenannten »Getreidenetzen«: Unter Weizenkörner, die für Futterzwecke oder zum Schnapsbrennen zu Flocken gequetscht wurden, rührte der Müller mit einer großen Schaufel Wasser, »stundenlang stand er immer da!«. Nicht zu wenig und nicht zu viel Wasser durfte es sein, denn zu trockenes Korn brach, zu feuchtes aber schimmelte beim anschließenden Lagern der Flocken.
Bis 1992 betrieb Anton Singler die Mühle, wenige Monate später verstarb er, mit 87 Jahren. Zwar hatte einer seiner Söhne das Müllerhandwerk bei ihm erlernt, den Betrieb dann jedoch verlassen.
»Ich selbst konnte das aber nicht machen«, bedauert Klara Hilberer, »damit, dass man in eine Maschine was reinschüttet und auf das wartet, was unten rauskommt, ist es nicht getan, davon muss man schon was verstehen.« Stattdessen betreibt sie in dem historischen Kleinod einen Naturkostladen, verkauft mit der Unterstützung ihres Mannes Alfred (76) neben Müsli, Nudeln und Getreide insbesondere Mehl – seit einem Vierteljahrhundert nun schon.
Der Müller
Dem Handwerksberuf des Müllers obliegt die (inzwischen überwiegend industrielle) Herstellung von Mehl, Gewürzen, Pflanzenöl oder auch Futtermitteln. Die offizielle Berufsbezeichnung lautet heutzutage »Verfahrenstechnologe in der Mühlen- und Futtermittelwirtschaft.«