Der Ortschaftsrat hat am Mittwochabend klare Fakten geschaffen: Geschlossen stimmten die Fraktionen von CDU, SPD und Grünen für den Erhalt des Ortschaftsrates Unterharmersbach. Auch der Vorschlag der Freien Wähler, eine Meinungsumfrage unter der wahlberechtigten Bevölkerung zum Thema Ortschaftsverfassung durchzuführen, wurde abgeschmettert. Abgelehnt wurde auch ein Antrag der Freien Wähler, die Abstimmung über den Fortbestand der Ortschaftsverfassung auf den Zeitpunkt zu verschieben, bis das Ergebnis einer möglichen Meinungsumfrage vorliegt. Eine von Thomas Dreher geforderte geheime Abstimmung wurde abgelehnt. Das Verhältnis von sieben gegen drei Stimmen blieb bei allen Abstimmungen zu diesem Thema gleich.
Als erster Tagesordnungspunkt stand am Mittwochabend der Beschluss zur Aufhebung der Ortschaftsverfassung auf der Tagesordnung. Als zweiter Punkt folgte die Anhörung zum Antrag der Freien Wähler für die Durchführung einer Meinungsumfrage. Die öffentliche Debatte wurde mit deutlichen Worten geführt.
Die vier Fraktionen gaben zunächst ihre Stellungnahmen zu dem Thema ab. Für die CDU sprach Jürgen Isenmann ein klares Bekenntnis zum Fortbestand des Ortschaftsrates aus. Danach erläuterte Thomas Dreher für die Freien Wähler nochmals die Argumente für eine Meinungsumfrage unter der Bevölkerung. Danach hoben sowohl Ludwig Schütze für die SPD als auch Sybille Nock für die Grüne Liste Zell die in ihren Augen große Bedeutung des Ortschaftsrats für Unterharmersbach hervor.
Zum einem Eklat kam es im Gremium, als Gemeinderat Stefan Kornmeier in der Diskussion anzweifelte, ob Jürgen Isenmann seine Stellungnahme wirklich selbst verfasst habe. Dieser sprang auf und drohte, den Ratstisch zu verlassen. Stefan Kornmeier wiederum nahm seine Aussage zurück und sprach Jürgen Isenmann sofort seine Entschuldigung aus. Indes, die Fronten bleiben zu diesem Thema verhärtet.
Zusammenschluss von Zell und Unterharmersbach
Zu Beginn erinnerte Ortsvorsteher Wagner daran, dass es sich beim Zusammenschluss von Zell und Unterharmersbach nicht um eine Eingemeindung, sondern um eine Vereinigung beider Kommunen zur neuen Stadt Zell am Harmersbach gehandelt habe. Erst Ende November 1974 hätten sich beide Parteien auf Druck des Landes geeinigt, sonst wäre ein neues Gebilde mit einem neuen Namen entstanden. Ortsvorsteher Wagner zitierte den damaligen Bürgermeister Abele, der mit den Worten »Perlen wirft man nicht vor die Säue« eingelenkt haben soll. Die neue Stadt bekam den Namen Zell am Harmersbach und als Gegenleistung wurde in Unterharmersbach die Ortschaftsverfassung eingeführt. Am 1. Januar 1975 trat die Gemeindereform in Kraft.
»Wir wollen uns nicht von Meinungsumfragen lenken lassen, sondern unser verbrieftes Recht ausüben«, wiederholte Hans-Peter Wagner seine bereits im Gemeinderat formulierte Ablehnung gegen den Antrag der Freien Wähler. Dies solle auch nach 43 Jahren so bleiben. »Dass daran gerüttelt wird, das kränkt und ärgert mich«, brachte Ortsvorsteher Wagner seine persönliche Betroffenheit zum Ausdruck.
Nicht zuletzt müsse man für die Kandidaten, die sich zu einer Kandidatur für die Kommunalwahlen im Mai 2019 bereiterklären, ein deutliches Zeichen setzen. Es gebe in den kommenden Jahren noch genügend Aufgaben, für die sich der Ortschaftsrat einsetzen müsse. Dazu gehören unter anderem die Neugestaltung des Rathausplatzes und der Plätze entlang der Ortsdurchfahrt.
Kein Brexit in Unterharmersbach
Für die CDU-Fraktion im Ortschaftsrat wandte sich Jürgen Isenmann gegen die Form, mit der die Freien Wähler diese Debatte ausgelöst haben. »Haben wir die letzten Jahre schlechte Politik gemacht? Haben wir uns nicht ausreichend um die Anliegen der Bürger gekümmert«, warf Ortschaftsrat Isenmann als Fragen in den Raum. In zahlreichen Sitzungen hätte es die Möglichkeit gegeben, seinen Unmut zu äußeren.
Im fünfjährigen Rhythmus, so der CDU-Ortschaftsrat, würden mit den Kommunalwahlen eindeutige Meinungsumfragen stattfinden. Dass 2014 die Wahlbeteiligung für den Ortschaftsrat mit 54,37 Prozent über der Wahlbeteiligung für den Gemeinderat mit 51,52 Prozent lag, wertete Isenmann als klares Statement zur Ortschaftsverfassung. Nun eine Umfrage in der Gesamtstadt anzustrengen entbehre jeder Grundlage. Nur das Votum der Unterharmersbacher Bürger sei maßgebend.
»Meinungsumfragen sind ein sehr heikles Instrument in der Demokratie, das zeigt uns gerade doch der Brexit der Briten«, warnte Ortschaftsrat Isenmann. Er verstehe den Wahlauftrag als Ortschaftsrat so, dass die zu bewältigenden Aufgaben bürgernah, gerecht, unabhängig und natürlich immer im gesamtstädtischen Blick beraten und entschieden werden sollten.
Die Kompetenz eines Ortschaftsrates abzugeben gegen ein Gremium ohne Rechte könne keine Alternative sein. Auch nicht, einen Ortsvorsteher aufzugeben, um dann einen Bürgermeister-Stellvertreter im Ort zu haben. »Wer so denkt, hat seit der Eingemeindung nichts dazugelernt«, sprach Jürgen Isenmann deutliche Worte. Ein Ortsteildenken geben es im Großteil der Bevölkerung schon lange nicht mehr. Es gehe einzig und alleine um den Erhalt der Strukturen im Ort.
Es gebe in Unterharmersbach viele Themen, die in naher Zukunft auf den Weg gebracht werden müssten und wo der Ortschaftsrat wertvolle Arbeit leisten könne. »Zell a. H. ist zwar keine Großstadt aber eine große Stadt mit enorm viel Potenzial, das nur ausgeschöpft werden kann, wenn sich die gewählten Gremien ihrem Wahlauftrag stellen, sich gegenseitig vertrauen und gemeinsam dafür arbeiten.« Jürgen Isenmann warnte: »Bei allen Entscheidungen, die unwiderruflich sind, darf man nicht vergessen: Was einmal weg ist, kommt nie wieder zurück.« Jürgen Isenmann forderte ein klares Votum »pro Ortschaftsrat«, denn nur dann könnten Unterharmersbach und Zell am Harmersbach bleiben was es ist: »Eine bis heute hervorragende Gemeinschaft!«
Kein Antrag auf Auflösung gestellt
Als zweiter Sprecher formulierte Ortschaftsrat Thomas Dreher nochmals die Position der Freien Wähler. Seine Fraktion habe keinen Antrag auf eine Auflösung der Ortschaftsverfassung gestellt. Vielmehr wolle man eine Umfrage starten, um eine Meinungsbild der Bevölkerung zu erhalten. Die Freien Wähler seien keine Paragraphenreiter, sondern wollten sich vielmehr am gesunden Menschenverstand orientieren.
Ortschaftsrat Dreher erinnerte daran, dass die Gemeindeordnung Baden-Württemberg Ortschaftsräte für räumlich getrennte Ortsteile vorsehe. Die Grenze zwischen Zell und Unterharmersbach sei gar nicht zu erkennen. »Die Gesamtstadt mit 8.000 Einwohner ist sehr gut zusammengewachsen. Vereine helfen sich gegenseitig aus«, warb Thomas Dreher dafür »füreinander und für eine Stadt zu kämpfen«. In den Augen der Freien Wähler sei es bei 8000 Einwohnern ausreichend, dass der Bürgermeister und der Gemeinderat die Basis für eine gute Demokratie bilden.
»Eine Umfrage unter der Bevölkerung hat keinerlei Auswirkungen«, untermauerte der Fraktionssprecher den Vorstoß der Freien Wähler. An der Stelle von Ortschaftsräten könnte man mit Projektgruppen die Bürger mit einbeziehen. Als Beispiel nannte er die Kleinstadtpioniere »Zell 2030«, die dankbar angenommen worden seien.
Es sei wichtig, die Dinge von Zeit zu Zeit auf den Prüfstand zu stellen und dabei die Sichtweise der Bevölkerung zu berücksichtigen: »Jetzt sei es an der Zeit, darüber nachzudenken, ob noch alles so ist, wie es sein soll.« Ortschaftsrat Thomas Dreher zeigte sich sicher: »Zell zieht an einem Strang.«
Die Ortschaftsverfassung ist ein Erfolgsmodell
Gemeinderat Ludwig Schütze bezeichnete die Verwaltungsreform »eine kluge und intelligente Einrichtung«. Sie ermögliche und garantiere, dass gewählte Vertreter in Form von Ortschaftsräten und dem Ortsvorsteher die Belange im Ortsteil selbstverantwortlich regeln könnten. Als Vorteile der Ortschaftsräte nannte Schütze unter anderem die exzellenten Ortskenntnisse, das Anhörungs- und Vorschlagsrecht, sie seien identitätserhaltend und bürgernah.
Auch Ludwig Schütze erinnerte daran, dass es sich bei der Stadt Zell um die Vereinigung zweier selbständiger Gemeinden handle. In der Vereinbarung sei die Einrichtung einer dezentralen und bürgernahen Verwaltung fest vereinbart. Der Ortschaftsrat habe dafür die Garantiefunktion. »Erst geht der Ortschaftsrat, dann die örtliche Verwaltung, mit ihr die Post und dann die Grundschule«, zeigte sich der SPD-Ortschaftsrat besorgt und warnte: »Diese Zuständigkeiten ohne zwingenden Grund aufzugeben wäre gegenüber der nächsten Generation verantwortungslos.«
Als positive Beispiel für das ehrenamtliche Engagement von Ortschaftsrat und Ortsvorsteher führte Ludwig Schütze den Radweg nach Unterharmersbach, das Minispielfeld, den Fürstenberg-hof mit Heimatfesten und Krippenausstellung sowie die Sanierung von Schwarzwaldhalle, Grundschule und Sportplatz an. »Darauf können wir stolz sein«, betonte Ludwig Schütze. Die Ortschaftsverfassung mache Politik bürgernah und »greifbar«.
Es gebe viel Aufgaben, für die sich der künftige Ortschaftsrat einsetzen müsse. Deshalb komme für ihn die Debatte kurz vor den Kommunalwahlen zur Unzeit und sei nicht nachvollziehbar. Sein Fazit: »Die Ortschaftsverfassung ist ein Erfolgsmodell.«
Letztlich verstehe er sein Mandat als demokratisch gewählter Vertreter so, sich als Ortschaftsrat für den Ortsteil einzusetzen. Ludwig Schütze: »Ein Mandat, die Ortschaftsverfassung abzuschaffen, haben wir sicher nicht.« Wer das wolle, könne bei der nächsten Wahl dafür werben und dafür eine Mehrheit gewinnen. Sehr wohl wisse man seitens der SPD, dass eine gedeihliche Entwicklung der Ortschaft nur durch die gedeihliche Entwicklung der Gesamtstadt möglich ist.
Größer als Oberharmersbach, Nordrach, Hofstetten oder Mühlenbach
»Ich spreche mich für den Erhalt des Ortschaftsrates Unterharmersbach in der bisherigen Form aus«, ließ auch Sybille Nock von der Grünen Liste keinen Zweifel aufkommen. Sie stellte fest, dass Unterharmersbach mit 2800 Einwohnern größer sei als Oberharmersbach, Nordrach, Hofstetten oder Mühlenbach. Die Vereinbarung von 1975 sei kein totes Papier. Sie wurde über vier Jahrzehnte mit Leben erfüllt und sei die Basis dafür, wie sich Unterharmersbach heute präsentiert: »Ein lebendiger Ort mit hoher Lebensqualität für Jung und Alt.« Der Ort verfüge über eine gute Infrastruktur und vielen Einrichtungen, die von Sybille Nock aufgezählt wurden: »Wir sprechen von einer Erfolgsgeschichte.«
Mit der Ortsverfassung habe man den Garanten, dass es in Unterharmersbach auch weiterhin ein Rathaus als Anlaufstelle für die Bürger gebe. Der Ortsvorsteher – seit vielen Jahren Hans-Peter Wagner – und die Ortschaftsräte seien die direkten Ansprechpartner. Sybille Nock befürchtet, dass eine Abschaffung zu einer Zentralisierung und damit zu Nachteilen für die Bürger führen werde.
Den Zeitpunkt der von den Freien Wählern angestoßenen Debatte kritisierte Sybille Nock als eine Zumutung und wahlschädlich. Die Grüne Liste sei schon im Gespräch mit Kandidaten, die nun verunsichert seien. In der Zeit zwischen Weihnachten und Dreikönig, in der eigentlich der Politikbetrieb ruht, sollten sich die Bürger ihre Meinung zur Beibehaltung oder Abschaffung des Ortschaftsrats bilden. »Die Freien Wähler tragen damit nicht zum Weihnachtsfrieden bei.«
Persönlich sei sie verwundert, dass zwei Ratskollegen die geleistete Arbeit in dieser Form in Frage stellen. Sybille Nock: »Ich werde der Umfrage nicht zustimmen – wir haben andere Möglichkeiten in der Demokratie und die heißen Wahlen.«
Diskussion im Ratsgremium
Auch in der anschließenden Aussprache gab es keinerlei Annährungen zwischen den Parteien. Ortschaftsrat Christian Bruder von den Freien Wählern warb nochmals für die Idee von Projektgruppen als sinnvolle Bürgerbeteiligung. Dass Sitzungspunkte doppelt oder gar dreifach beraten werden, sei nicht mehr zeitgemäß. Er verlangte, dass eine Abstimmung über die Ortschaftsverfassung erst nach der Einholung eines Meinungsbildes im Februar durchgeführt werde, fand für seinen Antrag aber keine Mehrheit. Für sich persönlich hat Christian Bruder schon die Entscheidung getroffen. Er gab bekannt: »Ich werde nicht mehr für den Ortschaftsrat kandidieren.«
Stefan Kornmeier von den Freien Wählern fragte im Gremium kritisch nach: »Wovor habt ihr Angst?« Mit einer Meinungsumfrage könne man sich ein klares Bild verschaffen. Die Grenze an der Wallfahrtskirche gebe es nicht mehr, stellte Stefan Kornmeier fest. Eine von Thomas Dreher geforderte geheime Abstimmung wurde abgelehnt. Sieben Ortschaftsräte stimmten am Ende der Debatte für, drei gegen die Ortschaftsverfassung.
Meinungsumfrage macht keinen Sinn mehr
»Ich stehe dazu«, forderte Ortschaftsrat Thomas Dreher trotz der Abstimmungsniederlage die Durchführung einer Meinungsumfrage. Diese sei »ein Schuss ins Leere« und habe keinerlei Auswirkungen mehr, widersprach Ortsvorsteher Hans-Peter Wagner.
»Wir haben keine Meinungsumfrage-Demokratie sondern eine repräsentative Demokratie«, stellte Ortschaftsrat Ludwig Schütze fest. Grundsätzlich sei gegen eine Umfrage nichts einzuwenden. Allerdings sei fraglich, ob daran ein öffentliches Interesse bestehe. Er könne sich auch Umfragen zum 2,5 Millionen teuren Keramik-Museum ohne Keramik, zur Rathaus-Sanierung oder zur Fortführung der L94-Sanierung vorstellen. »Wir sollten uns vor der Wahl positionieren, dann können wir uns das Geld für die Meinungsumfrage sparen und es sinnvoller einsetzen«, stellte Ludwig Schütze mit Blick auf die Gegenpartei fest.
Im Unterharmersbacher Ortschaftsrat fand sich letztlich keine politische Mehrheit für die Durchführung einer Meinungsumfrage über den Fortbestand der Ortschaftsverfassung. Die politische Diskussion darüber wird sicherlich noch fortgeführt.