Maislaubschuhe – die schönsten »Strohschuhe«

Seit 20 Jahren gibt es in Unterentersbach eine Hausmanufaktur – Nicht aus Bast und nicht aus Stroh sondern aus Maislaub macht Mathilde Keller die besonderen Schuhe

Mit dem Ruhestand findet Mathilde Keller eine neue Berufung: das Maisschuh-Machen. Ihre Tochter Birgit hat damals Interesse am alten Handwerk und bringt sie auf den Gedanken: »Das
wäre auch etwas für mich.«Bei Cäcilia Vogt in Stöcken geht sie in die »Lehre«. Frau Vogt flechtet ihr den ersten Schuh. Den zweiten soll sie zu Hause versuchen. Zwei Winter dauert die »Lehrzeit«. Mathilde Keller macht danach Strohschuhe für die eigene Familie. Das erste Paar bekommt Tochter Andrea. Mit der Zeit tragen alle Familienmitglieder die besonderen Schuhe und sie werden immer öfter gefragt: »Woher bekommt ihr die schönen Maislaubschuhe?«

Mathildes perfekte Maislaubschuhe

Kaum ein Handwerker fertigt derart formschön und detailgenau wie Mathilde Keller. Ihre Maislaubschuhe sind perfekt. Sie beherrscht die Kunst das natürliche Material zu einem regelmäßigen Flechtmuster zu verarbeiten. Jeder Nadelstich sitzt. Sohle, Schmuckstoff und Fadenbollen werden von ihr äußerst säuberlich verarbeitet.

Mathilde Keller hat in 20 Jahren Hausmanufaktur die Herstellung bis ins Detail präzisiert, jeden Handgriff verinnerlicht – führt sie nacheinander aus, fast wie ein Uhrwerk.

Besucher im Freilichtmuseum Vogtsbauernhöfe (dort ist Mathilde Keller einmal im Monat zu sehen) schwärmen von ihrem Geschick bei der Handarbeit: Kräftig und zugleich sanft, präzise aber nicht verkrampft arbeitet sie mit ihren Fingern. Hand­arbeit bereitet ihr schon immer Freude.

Über die Handwerkerin

Geboren ist Mathilde Keller am 14. Dezember 1933 in Haslach. Ihr Vater war Waldarbeiter Joseph Sämling aus Schnellingen. Ihre Mutter war Berta Weber vom Beilhof im Schuttertal. Mathilde Keller ist das zweite Kind. Mit fünf Geschwistern wächst sie im Einfamilienhaus auf, das Vater und Mutter in der Simon-Fink-Straße gebaut haben. Mit drei beginnt für sie die Kindergartenzeit. Im Jahr 1939 kommt sie zur Schule. Mit 15 Jahren macht sie ihren Abschluss.

Überschattet werden Kindergartenjahre und Schulzeit von Diktatur und Krieg. Ihr Vater wird als Soldat eingezogen. Sie selbst erlebt die Schrecken zu Haus. Das Geräusch der Kriegsflugzeuge treibt Mutter und Kinder in den Luftschutzbunker »Galgenbühl«. Manchmal können sie auch nur noch im Keller ihres Hauses Schutz suchen. Eine Bombe schlägt 200 Meter entfernt vom Haus ein. Die erlebte Angst werde man nicht wieder los, erzählt sie.

Nach den Kriegsjahren sind in der Familie alle gefordert. Für Mathilde Keller beginnen die Berufsjahre während der Schulzeit. Nachmittags hilft sie bei der Zimmerei Wagner im Haushalt mit. Dort bleibt sie angestellt, bis sie 27 Jahre ist.

Ehe und Familie

Im Sommer 1960 lernt sie bei einer Tanzveranstaltung im Gasthaus Kreuz in Biberach Erich Keller aus Unterentersbach kennen. Zufällig treffen sich beide bei einer Zirkusveranstaltung in Haslach wieder. Im Jahr darauf, am 30. September 1961, läuten die Hochzeitsglocken in St. Symphorian. Mathilde Keller zieht nach Unterentersbach. Im Hof der Schwiegereltern richtet sich das Paar eine Wohnung ein. Sie schenken drei Kindern das Leben und freuen sich später über die Geburt von sieben Enkelkindern.

Nach der Geburt der ers­ten Tochter hilft Mathilde Keller in Teilzeit beim Biberacher Unternehmen Karl Knauer. Von 1982 bis zur Rente arbeitet sie dort in Vollzeit.

Dazwischen übernimmt das Paar im Jahr 1965 die Landwirtschaft der Eltern. Wald und Felder gehören dazu. Zehn Jahre führen sie den Betrieb im Nebenerwerb fort. Sie versorgen sich selbst mit Gemüse und Brennholz. Heute ist das Feld, das zum Hof gehörte, verpachtet. Es wird vom Landwirt unter anderem für den Maisanbau genutzt. Aus dem Maislaub dieser Pflanzen stellt Mathilde Keller ihre Maislaubschuhe her.

Schritt für Schritt zum Schuh

Im Herbst, wenn die Kolben im trockenen Maislaub stecken, beginnt die Ernte. Die Blätter werden vorsichtig vom Kolben (der an der Pflanze bleiben muss), geschält und anschließend zum Trocknen ausgelegt. Besonders schönes Maislaub hat eine lange Blattform, ist gleichmäßig weiß bis hellgelb gefärbt und ohne Sporen oder Flecken.

Bevor die Flechtarbeit beginnt, werden die Maislaubblätter in Streifen gerupft und angefeuchtet. Den Anfang vom Strang hat Mathilde Keller schon. Sie flechtet immer ein Stück weiter, wie sie es für ein Paar Schuhe benötigt. Einen schönen Anfang zu haben sei wichtig.

Weil jede Größe eine eigenen Strangstärke braucht findet man bei Mathilde Keller mehrere Anfänge. Die Informationen, die in diesen Anfängen stecken, sind beachtlich. Flechtet sie genau in gleicher Weise weiter, kann sich Mathilde Keller sicher sein, dass alles funktioniert. Ein Paar Schuhe in gewohnter Güte wird entstehen. Einen zwölf Meter langen Maislaubstrang braucht sie für eine Paar in mittlerer erwachsener Größe. In sechs Stunden schafft sie das.

Mit Forellenfaden und gebogener Nadel wird der Strang auf einen vorbereiteten Innenschuh genäht. Der Innenschuh liegt direkt am Fuß und besteht aus vier Schichten. Fell, Futterstoff, Vlies und Stoff sorgen für Wärme und weichen Gang.

Am Unterfuß beginnt Mathilde Keller mit dem Aufnähen des Strangs. Von dort legt sie Stich für Stich das geflochtene Maislaub erst um den Hinterfuß der Leiste, dann um den vorderen Teil des Fußes. Im Bereich der Zehen näht sie eine Biegung hohl um darunter das Endstück verschwinden zu lassen.

Ein Kraftakt ist das Aufnähen der Sohle aus Kautschukgummi. Früher hat ihr Mann Erich die Sohlen aufgenäht. Heute näht sie Sohlen selber auf. Mit einem Trick hat sie sich die Arbeit leichter gemacht. Sie nimmt dünneren Maurerfaden (den dafür doppelt) und eine dünnere Nadel. Ist ein Schuh geformt, kann er von der Leiste genommen werden. Dafür wird der Einstieg ausgeschnitten. Der vorletzte Arbeitsschritt ist das Ummanteln der Ränder mit Schmuckstoff. Am Ende kommen bei Mathilde Keller farblich abgestimmte Fadenbollen vorne auf die Maislaubschuhe. Auch diese wickelt die Seniorin selber.

Werktags hat sie immer Arbeit

Noch einmal alle Arbeiten zusammengefasst: Eine Stunde zupfen, drei Stunden flechten, zwei Stunden Innenleben fertigen, sechs Stunden Maislaub aufnähen, eine Stunde Absatz ausbilden, zweieinhalb Stunden Sohle aufnähen, eine Stunde Rand ummanteln, eine halbe Stunde Bollen wickeln und anbringen. Im Durchschnitt sind es 18 bis 20 Stunden für ein Paar Schuhe aus Maislaub. Das Paar kostet die jeweilige Schuhgröße in Euro. Sieben Euro gehen für das Material weg. »Es ist mein Ein-Euro-Rentner-Job«, flachst die rüstige Rentnerin. Strohschuhe gibt es bei Mathilde Keller von Größe 32 bis Größe 48 auf Bestellung. Gerade ist das Auftragsbuch wieder gut gefüllt.

Unterwegs als Schuhmacherin

Durch Hans Heinzmann kommt Mathilde Keller 2006 zum Freilichtmuseum. Immer am zweiten Mittwoch von 11 Uhr bist 17 Uhr ist sie seither als Schumacherin zu sehen. Auch an anderen Orten hat sie es schon vorgeführt: Bei Heimatabenden in verschiedenen Schwarzwald-Hotels, bei Reisemessen in Köln und Stuttgart. Sie war und ist gerne unterwegs.

Während den Berufsjahren geht das nicht. Im Ruhestand holen es Erich und Mathilde Keller nach. Reisen führen sie einige Male nach Südtirol zum Wandern. Anlässlich des 70. Geburtstags ihres Mannes machen sie Urlaub am Schwarzen Meer. Als sie selbst 70 Jahre alt wird, unternehmen sie eine Schiffsreise auf dem russischen Fluss Wolga. Viel sind sie in der Heimat unterwegs: Laufen und Wandern durch den Schwarzwald bereitet beiden sehr viel Freude.

Die letzten gemeinsamen Ehejahre sind geprägt von einer Demenzerkrankung ihres Mannes. Mathilde Keller betreut und pflegt ihn in den ers­ten Jahren zu Hause. In den letzten Jahren findet das Paar Unterstützung in der Tagespflege der Sozialstation St. Raphael und im Seniorenzentrum St. Gallus. Nach dem Tod ihres Mannes im August 2014 ist Mathilde Keller selbst geschwächt. Fast zwei Jahre braucht sie, um sich von einer schweren Grippe und einer Magenerkrankung zu erholen.

Heute freut sie sich darüber, dass es ihr gut geht, sie wieder aktiver sein darf. Natürlich nicht wie früher. Das macht ihr aber nichts aus. Sie macht, was sie kann. Wie sie sich fit hält? Mit Gartenarbeit. Das sei ihre Gymnastik früher und heute.

Außerdem ist da noch das »Immer-unter-die-Leute-kommen«. Sie nimmt es sich zu Herzen. Geht aus. Besucht Rentnertreffen, geht mit ihren ehemaligen Kollegen auf Ausflüge, verbringt mit einer Nachbarin den ein und anderen Sonntag, trifft sich mit ihren Kindern, Enkeln und Geschwistern.

Und sie erklärt und zeigt, fertigt und verkauft Schuhe aus Mais. So auch am vergangenen Wochenende beim Weihnachtsmarkt im Gutacher Freilichtmuseum. Dieses Mal hat sie ihre kleine Wohnzimmer-Manufaktur im Hermann-Schilli-Haus. Für die vielen Besucher hat sie interessante Details zur Herstellung parat. Sie zeigt das Schuhmachen und der eine und die andere kommen vorbei, um die bestellten Schuhpaare bei ihr abzuholen. Nicht ohne Lob, wie schön diese geworden seien.

Begleitet wurde sie nach Gutach von Tochter Birgit. Bei Nacht möchte sie das Auto nicht mehr fahren. Tagsüber könne sie damit noch alles erledigen: einkaufen, Friedhofsbesuche, Gottesdienste. Für diese Eigenständigkeit ist sie dankbar.

Ob sie sich in ein selbstfahrendes Auto setzen würde? Sie lacht. Wenn es ihr einer ihrer Enkel beibringt. Die trifft sie alle am Sonntag wieder. Dann wird der 85. Geburtstag im Kreis der Familie nachgefeiert. Darauf freut sie sich sehr.