»Auf den Geruch freuen wir uns immer«, lachen die Frauen. Denn der unbeschreibliche Duft frisch geschnittenen Grüns umfängt jeden, der in der Zeit vor dem Palmsonntag den einstigen Lagerkeller der Unterentersbacher Familie Sum betritt.
Zehn bis zwölf Frauen sind es, die sich 14 Tage vor Ostern hier etwa eineinhalb Wochen lang jeden Abend treffen, »mal sind wir mehr, mal weniger – je nachdem, wie jeder jeweils Zeit hat.«
Seit dem großen Dorffest ist das so, seit der Feier zum 925-jährigen Bestehen Unterentersbachs zur letzten Jahrhundertwende. Bis dato war das Binden eines Palmen nur noch vereinzelt ausgeübt worden, auf dem einen oder anderen Hof. Die Idee, diesen alten Brauch verstärkt wieder aufleben zu lassen, stieß zwar auf Zuspruch, doch nicht jeder wollte sich der Aufgabe »allein zu Haus’« widmen.
Und: Nicht nur die Möglichkeit des gemeinschaftlichen Bindens gibt es seither. »Wenn früher jemand einen großen Palmen hatte, dann hat er sich den über die Schulter gelegt und ist mit dem Rad ins benachbarte Zell gefahren«, erzählt die Runde lachend, »weil es bei uns keine Palmweihe gab.« Seit dem Jahr 2000 aber findet im Dorf wieder ein Gottesdienst am Palmsonntag statt.
An diesem Sonntag vor Ostern als sechstem und letztem Sonntag der Fastenzeit wird des Einzugs Jesu Christi in Jerusalem gedacht. Dem auf einem Esel Einreitenden streute das jubelnde Volk Palmzweige. Denn Palmen wurden vielerorts als heilige Bäume verehrt, sie galten als Symbol des Lebens und Sieges. Ganz früher stellte die Palmweihe einen heidnischen Osterbrauch dar: Die geweihten Zweige sollten das Haus vor Blitz und Feuer schützen und die Felder fruchtbar machen.
Bedingung: genügend Palmen
Voraussetzung dafür, dass in Unterentersbach wieder
eine Palmweihe stattfand, waren allerdings genügend Exemplare. Eben die gibt es seitdem. Und wie! Denn zwischen 40 und 50 der liebevoll erstellten Prachtstücke werden nun Jahr für Jahr zur Dorfkirche – der Nikolauskapelle – getragen, in einer Größe von etwa einem Meter bis zu sieben und mehr Metern, »die ganz kleinen haben wir nicht mit gezählt.« Etwa 20 davon entstehen im Keller der Familie Sum. Wobei das gemeinschaftliche Palmbinden nicht nur einen geselligen, sondern auch einen pragmatischen Mehrwert hat. Das betrifft zum einen die Logistik und Organisation. Zum anderen: »Wenn man den Palmen zu zweit bindet, geht es schneller: der eine reicht an oder hält, der andere bindet oder klebt.«
Jene, die das im Sum’schen Keller tun, befinden sich im vierten bis siebten Lebensjahrzehnt. Weil die älteren Frauen überwiegen, freuen diese sich um so mehr über die Teilnahme von Jüngeren. Und darüber, dass die Organisation in diesem Jahr von der 65-jährigen Claudia Feuer auf die 34-jährige Anette Erdrich übergegangen ist.
»Jede Region hat ihren eigenen Stil beim Binden der Palmen«, erklärt Claudia Feuer, sowohl von der Form als auch von den verwendeten Materialien her. »In Zell-Weierbach zum Beispiel – da, wo ich herkomme – nehmen sie Beeren und kein Papier, da sehen die Palmen ganz anders aus.«
In Unterentersbach stellt die Grundform ein Kreuz dar, dessen Gerüst ein kahl geschlagener Fichtenstamm bildet. Wichtig dabei: Dort, wo der Stamm unbedeckt bleibt, »muss er ganz hell«, also geschält sein. Der Optik wegen, »und auch vom Griff her, beim Tragen.« Unter dem Querbalken werden an einer passenden Stelle Zweige am Stamm belassen und zu vier Bögen gebunden, die wie eine Krone wirken. Soll der Palmen jedoch an einer Wand stehen, dann kann es aus Platzgründen nur zwei Bögen geben, ein wenig wie ein Herz sehen sie aus. »Diese Zweige werden oft zur Verstärkung mit Zeitungspapier beklebt, damit es nicht so mager aussieht«, erklären die Frauen und zeigen, wie mit Hilfe von Draht Immergrün auf das Gerüst gebunden wird.
Geweihtes nicht in den Müll
Auch erzählen sie, dass sie im Gegensatz zu früheren Gebräuchen die alten Stangengerüste jedes Jahr auf’s Neue verwenden, indem sie von diesen das über die Monate verblichene Grün und Papier entfernen. Das aber sollte – da geweiht – keinesfalls in den Mülleimer geworfen, sondern beispielsweise im heimischen Ofen verbrannt werden.
Für das Binden frischer Palmen wird Immergrün jeglicher Art verwendet. »Früher war es ganz viel Buchs, aber davon haben wir jetzt kaum noch was, wegen dem Buchsbaumzünsler«, bedauert die Runde, denn der vor einigen Jahren eingeschleppte Schädling hat viele der in Haus- und Bauerngärten beliebten Sträucher vernichtet. Umso mehr Thujenzweige kommen zum Einsatz. In unterschiedlichen Tönungen gibt es diese, und wenn die hellen Fruchtstände an ihnen hängen, dann sieht das besonders hübsch aus.
Das gemeinsame Tun der Frauen bietet überdies den Vorteil der Arbeitsteilung: Während jeweils zwei Frauen an zwei Palmen werkeln, werden beim großen Arbeitstisch Zweige zurechtgeschnitten und unzählige Bögen von Seidenpapier vorbereitet. Nicht nur in liturgischen, sondern in allen Farben des Regenbogens leuchtet das. »In der Regel nimmt man zwei bis fünf Farben pro Palmen, das kann jeder entscheiden, wie er will«, betonen die Palmbinderinnen, »da gibt es bei uns keine Vorschriften.«
Abschlusstreffen
Damit aus dem zart glänzenden Papier beim Umwickeln des Palmen Rosetten entstehen können, werden auf eine bestimmte Größe zugeschnittene und in schmalen Streifen eingeschnittene Seidenpapierbögen der Länge nach eingeklappt, am Rand mit Holzleim geklebt und zu dessen Trocknung dann vorsichtig über Stäbe gehängt.
»Das ist nicht schwierig, man muss nur wissen wie´s geht«, erklären die Palmbinderinnen ein Prozedere, das über einen längeren Zeitraum hinweg zu einer durchaus anstrengenden Arbeit ausartet. So wie in den ersten Jahren, als man sich lediglich in der Woche direkt vor Ostern traf, sich dafür aber »bis in die Nacht um eins« abrackerte, mit schmerzenden Fingern und Rücken. Deswegen wird inzwischen zwei Wochen vor Ostern mit dem Palmbinden angefangen, »am Mittwoch vor Gründonnerstag sind wir dann meistens fertig.«
Zum Abschluss trifft sich die Runde, um »gemeinsam etwas Nettes zu machen.« Kaffeetrinken oder Essengehen steht dann an, »aber nur ein- oder zweimal, wir sind ja kein Verein.«