Mit nun 90 Jahren blickt Gerhard Jahnsen nicht nur auf ein erfülltes, mit Humor gewürztes Leben zurück – er hat auch noch einiges vor.
„Neunzig Jahre und kein bisschen weise“, steht auf der Einladungskarte, die Gerhard Jahnsen anlässlich seines neunzigsten Geburtstags an einen großen Kreis verteilt hat. Mit dem für ihn typischen tiefgründig-trockenen Humor hat er einen Songtext von Udo Jürgens (1934-2014) für seine Zwecke adaptiert. „Aus dem reichen Leben viel gelernt“, geht es weiter, und: „Neunzig Jahre auf dem Weg zum Greise/ aber hundert Jahr` davon entfernt.“
Entsprechend unverlegen antwortet der am heutigen Freitag frischgebackene 90-Jährige auf die Frage nach seinen Zukunftsplänen: „Die nächsten zehn Jahre will ich auf jeden Fall noch vollmachen.“ Zum Beispiel wieder nach Mexiko reisen will der nach wie vor sportlich und überhaupt vielseitig Aktive, um seine dort lebende Tochter samt Enkelkindern zu besuchen. Vor zwei Jahren ist er das letzte Mal in Mexiko gewesen, mit Stationen zwischen Pazifik und Atlantik.
Generell scheint das sich „In-der-Welt-Bewegen“ – geographisch wie körperlich – ein Thema seines Lebens zu sein. Eines Lebens, das am 19.12.1935 in Hamburg begann.
Feuersturm in Hamburg
Seine beiden Schwestern leben noch, der Bruder aber ist im Zweiten Weltkrieg in Russland gefallen, in Stalingrad. „Seine ganze Klasse hatte damals das Notabitur gemacht und ist dann für Blödsinn in den Krieg gezogen“, erzählt Gerhard Jahnsen. Er selbst blieb als sogenannter weißer Jahrgang vom Wehrdienst verschont: „Für den Adolf war ich noch zu jung, für den Adenauer dann zu alt.“
Dennoch erlebt er Schlimmes, überlebte den Feuersturm in Hamburg. „Alles hat gebrannt – die Straßen, das Wasser, die haben ja Phosphorbomben geworfen.“ Seine Familie wurde ausgebombt. „Da sind wir nach Schleswig-Holstein gegangen, und da kamen die Tiefflieger und haben uns mit dem Maschinengewehr gejagt. Auch keine lustige Zeit“, konstatiert der ansonsten gern zum Scherzen Aufgelegte. „Aber wir hatten Glück – wir kamen in ein kleines Dorf, alle meine Freunde waren Bauern, dort gefiel es mir, und da gab es auch was zu essen.“
Die Hamburger Verwandtschaft hingegen musste hungern, „die kamen dann immer mal zu uns zum Hamstern. Das heißt, die haben bei uns genächtigt und sind dann mit dem Rucksack rumgezogen, um ihre letzten Habseligkeiten gegen was zu essen einzutauschen.“ Doch selbst das Wertvolle sei nichts wert gewesen, blickt der heutige Wahlzeller zurück und verbildlicht, „die Bauern hatten schon fünf Teppiche, was sollten sie mit einem sechsten?“
Nach der Mittleren Reife besuchte er die Technikerschule, kehrte als Erster aus seiner Familie nach Hamburg zurück. Im Zuge der Familienzusammenführung „haben wir als Budden-Hamburger eine schöne Wohnung in der Nähe der Alster erhalten, das war toll“, erinnert er sich. Budden-Hamburger? Das waren Ausgebombte, die die Stadt verlassen mussten – sie erhielten bevorzugt eine Wohnung. Auch der Vater kehrte zurück, „er hatte zwei Weltkriege als Soldat mitgemacht, zwei Frankreich-Feldzüge. Und er hatte zwei Inflationen erlebt, für seine Generation damals war das Standard.“
Systemspezialist
Mit Beendigung seiner Lehre als Techniker ging Gerhard Jahnsen auf Wanderschaft. Er arbeitete in verschiedenen Bereichen wie der Wasseraufbereitung, war Betriebsleiter in einem kleinen Niederfrequenzbetrieb, der beispielsweise Kinolautsprecher baute. Als er sich für IT interessierte, wechselte er von Hannover nach Köln, zu einer französischen Computerfirma. Von der wurde er zum Systemspezialisten ausgebildet.
Schmunzelnd erinnert er sich: „Anfangs hatten die Rechner noch Zahnräder und es gab die Lochkarte“, auch von Lochersälen erzählt er, in denen 50 Frauen mit dem Lochen beschäftigt waren. Weil es ihn in südlichere Gefilde zog, ließ er sich zunächst nach Frankfurt versetzen, dann nach Offenburg. Bei einem dreimonatigen Zwischenaufenthalt in Trier lernte der damals 29-Jährige mit Ingeborg Jahnsen, geborene Lübeck, seine zukünftige Ehefrau kennen – beim Tanztee, wie es damals üblich gewesen sei. „Nach dem dritten Tanz hat sie mit ihrer Freundin darauf gewettet, dass ich um ihre Hand anhalten werde“, lacht er.
Die Hochzeit fand anno 1966 statt. „Da Ingeborg erst 18 Jahre alt war, brauchten wir das Einverständnis ihrer Mutter – die war alleinerziehend, der Vater war im Krieg gefallen.“ Dass er als Protestant im katholischen Trier zunächst nicht als der ideale Schwiegersohn gegolten habe, erzählt Gerhard Jahnsen feixend, „nachher hat das aber gut geklappt.“
Gelebte Ökumene
In Offenburg betreute der IT-Fachmann Großrechner von Kunden wie Burda. Im Jahr 1969 schließlich bauten die Jahnsens in Zell ein Haus, auf dem Lupfen. Hier zogen sie die 1973 und 1981 geborenen Kinder Mirjam und Tobias groß. Mit Hilfe des katholischen Familienkreises seien er und seine Frau schnell in Zell heimisch geworden, ist Gerhard Jahnsen dankbar: „Ich war der einzige Protestant in dem Kreis, aber das hat sehr gut funktioniert. Ich durfte sogar am Abendmahl teilnehmen.“
Einen großen Freundeskreis fand das Ehepaar auch im Kneipp- und im Schwarzwaldverein, sowie im TSC Harmersbachtal. „Schon damals in Hamburg habe ich getanzt“, schmunzelt der Senior und schwärmt von den Tanzbällen im Hotel Atlantic, heutzutage unter anderem berühmt als Domicil des „Panikrockers“ Udo Lindenberg. Und Gerhard Jahnsen erzählt, dass er in seiner Frankfurter Zeit das Tanzen als Turniersport in den Disziplinen Standard und Latein betrieben habe. Zu dem ausgefüllten Leben mit seiner Frau gehörten zudem Konzert- und Theaterbesuche.
Frankophil und reisefreudig
Seit 30 Jahren befindet sich der nun 90-Jährige im Ruhestand. Die Firma habe ihn nicht mehr gebraucht, erklärt er: „Die Rechner konnten da inzwischen selber Bescheid sagen, wo es ihnen weh tut.“ Von der Abfindung kaufte sich das Ehepaar einen Kleinbauernhof in den Vogesen. Warum in Frankreich? Er sei halt frankophil, lautet die Antwort des Mannes, der mindestens zwei Berufsjahre in Paris verbracht und sich auch zu Weiterbildungsmaßnahmen seines französischen Arbeitgebers immer wieder im Nachbarland aufgehalten hat.
Doch auch sonst hat er die Welt viel bereist. Besuchte überdies regelmäßig mit seiner Frau die Tochter, die mit ihrer Familie in China und in den USA lebte, bevor sie sich in Mexiko niederließ. Umgekehrt weilt die Tochter zweimal im Jahr in Zell – so wie nun auch wieder anlässlich des so besonderen runden Geburtstags -, der Sohn wiederum wohnt mit seiner Familie im nahen Schuttertal.
„Ja!“ zum Leben trotz Schicksalsschlag
Vierfach-freudiger Großvater ist der Jubilar inzwischen. Seine Frau aber hat er 2024 im Alter von 77 Jahren an eine Krebserkrankung verloren, gegen die sie drei Jahre lang gekämpft hatte. Und doch meint das Leben es wieder gut mit ihm: In der ebenfalls verwitweten Dagmar Beck (79) hat er wieder eine Lebensgefährtin gefunden. Gemeinsam tanzen und reisen sie. Zudem gehören nach wie vor das Schwimmen (früher tauchte er auch, bis zu 60 Meter tief), Qigong, Pilates, das „Montagsturnen“ sowie das Gärtnern zu Gerhard Jahnsens regelmäßigen Aktivitäten, „und meine Kinder und Enkelkinder sind mir sehr, sehr wichtig.“
Seinen 90sten Geburtstag begeht er am heutigen Freitag zuhause im großen Freundeskreis, auch Bürgermeister Günter Pfundstein gehört zu den Gratulanten. Am morgigen Samstag dann wird im Familienkreis gefeiert. Die Schwarzwälder Post gratuliert sehr herzlich.





