Schautrotten: Ein alter Brauch war auf dem Wochenmarkt erlebbar

Aus alten Apfelsorten entstand köstlicher, frisch gepresster Apfelsaft, den viele Zuschauer sich gleich munden ließen.

 

Ein neugierig machendes Rattern und Knattern hallte von den Hauswänden in der Turmstraße gleich neben dem Kanzleiplatz wider, dazu Akkordeonklänge und der Gesang von Volksliedern. Der Duft großer Mengen frisch zerkleinerter Äpfel tat sein Übriges: Immer wieder blieben die Menschen am vergangenen Samstagvormittag vor einer wie in vergangenen Zeiten genutzten Trotte stehen, bildeten teils große Trauben.

Ein Elternpaar aus dem hessischen Wetzlar unterhielt sich mit Einheimischen, während ihre knapp sechsjährige Tochter mit großen Augen zuschaute: „Trotten heißt das bei Euch hier? Bei uns nennt man das `Keltern´, wenn Saft gemacht wird.“ Eigentlich hatten die in Biberach zu Besuch Weilenden bloß den Zeller Wochenmarkt in Augenschein nehmen wollen. „Da haben wir aber Glück gehabt mit dem Mostfest hier“, freuten sie sich.

Aromatische Äpfel von der Streuobstwiese

Dereinst von der Zeller Werbegemeinschaft zur Belebung des Marktgeschehens initiiert, findet das kleine Fest seither alljährlich zur Zeit der Apfelernte im Rahmen des samstäglichen Wochenmarktes statt. „Zum 17. Mal jetzt schon, aber zwischendurch gab´s mal Pause, wegen Corona“, erklärt Klaus Kienzle, seines Zeichens Chef der Neuhausener Fasendgemeinschaft mit dem bezeichnenden Namen „Neuhuser Mostbuebe und Mostmaidle“. Die nämlich veranstalten das Mostfest. „Bei uns wachsen halt viele Äpfel“, so Klaus Kienzle, die zu verarbeitenden Äpfel kommen denn auch allesamt von einer Zell-Neuhausener Streuobstwiese, „die gehört mehreren Leuten gemeinsam.“

Um eher ältere Sorten handelt es sich – hauptsächlich Boskop, Bohnäpfel und Brettacher. Am Donnerstagabend vergangener Woche waren über zehn Mitglieder der Fasendgemeinschaft etwa drei Stunden lang damit beschäftigt, säckeweise Äpfel einzusammeln, insgesamt geschätzte 500 Kilogramm.

Am Samstagmorgen um sieben Uhr dann schon waren Vereinshelfer mit dem Aufbau beschäftigt. Das galt beispielsweise für die mindestens ein halbes Jahrhundert alte Mahlmaschine, die das – vor Ort zunächst in einem Zuber gewaschene und dann vor aller Augen Korb für Korb eingefüllte – Streuobst zerkleinerte. Das in einer Plastikwanne aufgefangene Gut wurde anschließend in die Trotte gefüllt – ein runder Presskorb, der aus senkrechten und von Eisenbändern zusammengehaltenen Holzlatten besteht und der in einer eisernen Wanne mit drei Beinen steht.

Nichts geht ohne Muskelkraft

Nun war endgültig Muskelkraft mit obendrein entschiedenem Einsatz angesagt: Arm- und Beinarbeit wie anno dazumal, bevor motorisierte Gerätschaften zum Einsatz kamen (sofern die Bauern sich solcherlei überhaupt leisten konnten). Einen langen Hebel galt es vor- und zurückzubewegen, mit dessen Hilfe und dank der Nutzung des Hebelgesetzes eine hölzerne Platte die gehäckselte Fruchtmasse zusammenpresst. Der entstehende Saft wird von der Eisenwanne aufgefangen, in dunklem Bernsteinton läuft er in ein Gefäß.

Immerhin besteht der Hebel aus Eisen und ist somit leichter und gängiger zu handhaben als einstige hölzerner Hebel noch älterer Bauweise. Wie viel Apfelsaft die Neuhausener in diesem Jahr wohl gewinnen werden? Klaus Kienzle wiegt den Kopf abschätzend hin und her, „man sagt, dass 50 Kilo Äpfel circa 30 Liter Apfelsaft ergeben, also werden es bei uns heute wohl zwischen 250 und 300 Liter geben.“

Durchschnittliches Apfeljahr wegen Hagelschaden

Wobei das laufende Jahr von der Ernte her ein durchschnittliches Apfeljahr für die Fasendgemeinschaft gewesen ist. Im Frühjahr hatten die Besitzer der Streuobstwiese das Glück, dass weder Blüte noch Fruchtstände erfroren. Der heftige Hagel im Sommer allerdings schlug viele der jungen Früchte vom Baum oder beschädigte sie so stark, dass sie nicht reiften und später abfielen. „Die Felder Richtung Nordrach hatten wohl nicht so viel vom Hagel abbekommen, aber bei uns direkt hier in Neuhausen war es ein bisschen mehr.“

Bleibt noch die Frage, was mit dem gewonnenen Saft passiert. Ein Teil wurde direkt beim Mostfest verkauft: Die einen ließen sich die Köstlichkeit gleich vor Ort schmecken, unter Umständen mit von
der Fasendgemeinschaft frisch gebackenem Zwiebelkuchen oder auch süßen Kuchen. Oder man ließ sich einen „Apfel Royal“ schmecken, sprich Sekt mit Apfelsirup. Die anderen versorgten sich mit dem frischen Apfelsaft literweise für zu Hause.

Einen Teil verarbeitet die Fasendgemeinschaft zu Apfelgelee, alles Übrige wird schließlich vergoren. Das würzig-herbe Gebräu, das die eingangs erwähnten Wetzlarer in gut hessischer Manier als „Ebbelwoi“ bezeichnen würden, als Apfelwein also, wird dann entweder als heißer Glühmost beim Nikolausmarkt verkauft, oder das Getränk wird von den Neuhausenern während der Fasend konsumiert.