In den Akten zur Pferdezucht in Zell stößt man auf Lotterien für Hengste, streng geheime Musterdaten und ein Pferd, das angeblich blind war. Und manchmal war der Rotz nicht nur im Stall kaum zu übersehen…
Wenn heute in Zell ein Pferd durchs Ortszentrum trabt, zücken Kinder ihre Handys und Autofahrer treten auf die Bremse. Vor 100 Jahren war das anders: Pferde gehörten zum Alltag wie Mistgabel und Milchkübel. Und wer züchten wollte, musste mehr können als die Mähne kämmen – vor allem musste er Papierkrieg führen. Teil 4 unserer Serie über Landwirtschaft und Veterinärwesen beleuchtet die Höhen und Tiefen der Pferdezucht in Zell und Umgebung.
Mit Lotterie zur Beschälstation
1885 will Zell eine eigene Beschälstation einrichten – also einen Ort, an dem ein staatlich unterstützter Zuchthengst („Beschäler“) für die lokale Pferdezucht bereitsteht. Die Voraussetzungen sind gut: Zell ist Bezirkstierarztstelle, der zuständige Bezirksveterinär Dr. Merkle gilt als ausgezeichneter Pferdefachmann. Zur Finanzierung wird sogar eine Lotterie zur Förderung der Pferdezucht eingerichtet. Der Hengsthalter des Schwarzwälder Kaltbluts war seit ca. 1920 Willmann in Unterentersbach.
Auch Pferde haben Grippe
1889 war Heinrich Fischer (1880-1892) Bürgermeister in Zell. 1897 grassiert in der Region Pferde-Influenza. In früheren Jahrhunderten hatte die Pferdegrippe gravierende Auswirkungen: Fuhrwerke blieben stehen, Ernten verzögerten sich, militärische Transporte kamen ins Stocken – und nicht selten mussten ganze Zucht- und Beschälstationen vorübergehend schließen. Viele Tiere verendeten. Die behördliche Information unterschrieb „Franz Hackel, Aptecker“ – der örtliche Abdecker.
Der Staat interessiert sich für alles mit vier Beinen
1913 gibt es in Altenheim eine staatlich unterstützte Fohlenweide. Die Weidetaxe beträgt 65 Mark, der Staat steuert 50 Mark zu – allerdings nur für „Badener“. Die Bedingung: Stuten und Fohlen müssen die gesamte Weidesaison nutzen. Parallel steigt der militärische Bedarf. In Vorbereitung auf einen möglichen Krieg lässt das Deutsche Kaiserreich systematisch den Bestand kriegstauglicher Tiere erfassen. Gesunde, kräftige Zug- und Reitpferde werden reserviert oder direkt beschlagnahmt. Ab 1913 werden sie zunehmend eingezogen.
Versailler Vertrag und schlaue Tricks
Nach dem Ersten Weltkrieg greift der Friedensvertrag von Versailles tief in die Stallungen: Einsatzfähige Pferde müssen an den sogenannten Feindbund – die Siegermächte – abgegeben werden. Staatlich angeordnete Musterungen folgen. Die Zeller Bauern versuchen, das eine oder andere Tier aus der Liste zu mogeln – mit eher mäßigem Erfolg. Wird ein Versuch aufgedeckt, drohen empfindliche Strafen. Das Problem: Mit den abgegebenen Pferden fehlt es an Zugtieren. Das Militär reagiert, indem es Arbeitspferde zeitweise verleiht – eine ironische Wendung im Nachkriegseuropa.
Haare fürs Sofa, Zugkraft fürs Holz
1928 will man es wieder wissen: Zell kauft reine Oldenburger Stuten, die Preise reichen von 500 Mark für einjährige Fohlen bis zu 1.200 Mark für dreijährige und ältere Tiere. Der Aufbau einer starken Zuchtbasis wird ernst genommen – zumindest bis zum nächsten Einschnitt.
Denn nach dem Zweiten Weltkrieg wird selbst das, was am Pferd nicht wiehert, als Ressource betrachtet: 1945 werden Pferdehaare für die Industrie eingezogen. Vom Sattel zum Sofa – das Haar wird verarbeitet, während die Tiere für Transportleistungen gebraucht werden. Wilhelm Nauwerck vom Landwirtschaftsamt Wolfach ordnet an: einsatzfähige Pferdegespanne müssen gemeldet werden. Zell protestiert: „Gespann Burger (Pflanzen-Burger) ist das einzige Gespann, das zur Holzabfur zur Verfügung steht. Eine Wegnahme oder anderweitige Verwendung würde Lahmlegung der Sägewerke bedeuten.“ Und weiter: „Die beiden Pferde Beck und Bauer sind alt. Das Pferd Meier ist erblindet.“
Rotz war meldepflichtig
Wegen der Verbreitung von Rotz und Beschälseuche – Krankheiten, die durch Wehrmachtspferde grassieren – ordnet der Staat im November 1945 eine flächendeckende Erhebung an. Erfasst werden Pferde, Maultiere, Maulesel und Esel. Der Handel mit diesen Tieren darf nur noch mit Genehmigung erfolgen.
Ein mittelloser Schmied will lernen
Nicht nur Pferde, auch deren Pflege war reglementiert. Wer Hufe beschlagen will, muss die Prüfung der Hufbeschlagschule Meßkirch bestehen. Das kostet. Albert Krämer, Schmied aus Zell, ist völlig mittellos – doch er bekommt einen Zuschuss zum Lehrgang. Der Landwirtschaftliche Verein in Gengenbach lehnt eine Beteiligung höflich ab.
Hintergrund: Was ist Rotz?
Rotz, auch Malleus genannt, ist eine gefährliche und sehr ansteckende Krankheit, die vor allem Pferde, Esel und Maultiere betrifft. Typische Anzeichen sind eitriger Nasenausfluss, Husten und geschwollene Lymphknoten. Außerdem können sich schmerzhafte Geschwüre auf der Haut bilden. Die Krankheit wird durch Bakterien ausgelöst und verläuft oft tödlich.
Auch für Menschen ist Rotz gefährlich, wenn sie engen Kontakt zu erkrankten Tieren haben. Besonders nach dem Zweiten Weltkrieg sorgte Rotz für Angst, weil viele Pferde der Wehrmacht das Bakterium wieder nach Europa brachten.
Heute müssen sich Pferdehalter in Europa zum Glück keine Sorgen mehr machen: Durch strenge Kontrollen und Maßnahmen gilt Rotz hier als ausgerottet.
Quellen:
Stadtarchiv Zell am Harmersbach
VII. Landwirtschaft, Tierzucht, Veterinärwesen
Akten: 3, Tierzucht №1
(1885-1930)ff