Neuntklässler des Bildungszentrums Ritter von Buss geben Bewohnern des St. Gallusheims Unterricht, vor allem bei der Nutzung von Smartphones und Internet helfen sie.





Neun SeniorInnen haben sich in der Cafetería des St. Gallusheim-Altbaus versammelt. In ihren 70er und 80er Jahren sind die Herrschaften. Auf der Tischplatte vor ihnen liegen ihre persönlichen Smartphones – jene Geräte also, deren sie mithilfe 14- und 15-jähriger Ritter-von-Buss-Schüler Herr werden wollen.
„Den Kurs mach´ ich, weil er mir Spaß macht. Und weil meine Kinder und die Enkelkinder auch gesagt haben: Die Oma muss noch was lernen“, erzählt beispielsweise Anneliese Schöller (72). „Die Jugendlichen sind ja aufgeweckt heutzutage“, fährt sie fort, „die erklären uns das wirklich schön und haben Geduld, das muss man wirklich sagen.“
Stefanie Fritsch vom Sozialdienst des St. Gallusheims war an der Organisation des Projekts beteiligt. Die Initiative sei zustande gekommen, weil man heutzutage nicht mehr viel in Papierform machen könne, erklärt sie: „Vieles läuft über Smartphone, Handy, Tablet – also über Technik, auch bei den Krankenkassen. Unsere Senioren haben dadurch zunehmend Probleme, denn viele wissen gar nicht, wie das geht.“
Hilfe, Arzttermin per Handy?!
Wobei sie sich auf SeniorInnen des ambulanten Bereichs im St. Gallusheim bezieht. Im Gegensatz zum stationären Bereich wohnt man im ambulanten Bereich selbstständig. „Die Kinder sind aber oft in der Welt verteilt und können nicht helfen“, weiß Alexandra Wussler, die für das Qualitätsmanagement im ambulanten Bereich zuständig und ebenfalls in der Organisation des Schülerprojekts involviert ist: „Wenn unsere Senioren dann per Handy einen Arzttermin ausmachen oder über QR-Code den Zählerstand in ihrer Wohnung ablesen sollen, sind sie überfordert.“
Also machte man sich im St. Gallusheim Gedanken, was sich auf den Weg bringen ließe. Schließlich wandte die Einrichtung sich an das Zeller Bildungszentrum Ritter von Buss (RVB). Die Schulleitung fragte im Lehrerkollegium nach, wer Interesse an einem Projekt hätte, bei dem Schüler hilfesuchenden Senioren den Umgang mit der modernen Kommunikationstechnik beibringen. Christian Schober meldete sich.
Freiwilliges soziales Projekt
Der Realschullehrer für die Fächer Kunst, Geografie und Geschichte erläutert: „Ich fand´s interessant, weil meine Mutter in einem Pflegeheim in Offenburg ist, und ich weiß, wie wichtig es ist, dass was läuft, dass Kontakt da ist.“ Er fragte in allen drei neunten Klassen der Zeller Realschule nach und fand zwölf Jugendliche, die sich in ihrer Freizeit freiwillig engagieren wollten. „Es gibt keine Note dafür, das Ganze ist rein sozial. Und es macht ihnen anscheinend auch Spaß, denn bislang ist keiner der zwölf Schülerinnen und Schüler abgesprungen, auch wenn sie das jederzeit dürfen, ganz gleich aus welchen Gründen.“ Dass das St. Gallusheim zum Dank den Klassenkassen etwas zukommen lassen wird, wussten die Jugendlichen zu dem Zeitpunkt noch nicht.
Vier Kurstermine
Im nächsten Schritt fand eine Vorbesprechung im St. Gallusheim statt, gemeinsam mit den SchülerInnen. „Wir waren ziemlich offen für das, was jetzt überhaupt passiert“, erzählen die Projektorganisatoren. Da man auf keinerlei Erfahrungen zurückgreifen konnte, wurde zunächst einmal geschaut, „was die Schüler überhaupt leisten können“. Das Thema „Sicherheit im Internet“ im Zusammenhang mit beispielsweise digitalem Datenklau und Betrugsmaschen musste daher ausgeklammert werden.
Die Dauer eines Kurses wurde auf eine Stunde begrenzt. Und tatsächlich hat die Erfahrung gezeigt: „Nach einer Stunde beginnen die Rentner zu gehen, Konzentration und Aufmerksamkeitsspanne lassen nach.“ Wichtig war zudem, zwischen den Kursen nicht zu viel Zeit vergehen zu lassen, „sonst verlernt man wieder viel.“
Insgesamt vier Termine mit jeweils vier unterschiedlichen Schwerpunktthemen wurden festgelegt, kurz vor Weihnachten fand der erste Kurs statt. Er diente dem gegenseitigen Kennenlernen zwischen SchülerInnen und SeniorInnen und dem Herantasten für allgemeine Fragen, weil manche der Senioren ihr Handy neu oder zumindest noch nicht so lange hatten. Zum Beispiel ging es darum, die Bildschirmsperre zu entsperren, Telefonlisten anzulegen, aber auch um grundlegende Fragen der Sicherheit.
Individuelle Anliegen
Die persönlichen Anliegen der SeniorInnen sind dabei sehr verschieden: Der eine will den Bildschirm aufgeräumt haben, der Nächste will etwas über´s Fotografieren wissen. Und es gibt veraltete Handys, wo etwas zum Laufen gebracht oder ein Update gemacht werden muss.
Der zweite Kurs Mitte Januar behandelte die Informationsbeschaffung über das Internet, hauptsächlich mit Google. Wie finde ich die Adresse von einem Arzt? Wie kann ich mir eine Bahnauskunft einholen? Dies und Weiteres vermittelten die SchülerInnen den wesentlich älteren Semestern. Ein Gallusheim-Bewohner wollte die Bundesliga-Ergebnisse einsehen können. Und ein weiterer wollte gerne die Tageszeitung online lesen, aber das WLAN lief auf seinem Ipad nicht. Also begleiteten ihn zwei der Schüler in seine Wohnung, wo sie das Ipad mit dem WLAN koppelten.
Unterrichten in Eigenregie
„Hallo zusammen, schön, Euch alle zu sehen, wir freuen uns Euch unterrichten zu dürfen.“ Diesmal sind es Lea und Lilli, die ihre betagten Schüler begrüßen, zum diesmal dritten Kurs Ende Januar. Und diesmal ist es Björn, der an einem großen – mit seinem Smartphone gekoppelten – Bildschirm in das heutige Thema einführt: Whats App. Alle Drei agieren erfrischend locker und in freier Rede, das Präsentieren haben die Neuntklässler längst in der Schule gelernt.
Nachrichten schreiben, Gruppen anlegen, Fotos und Sprachnachrichten verschicken – das wollen sie heute den „Alten“ vermitteln. Nicht immer können alle zwölf der an dem Projekt teilnehmenden SchülerInnen zu dem jeweiligen Kurstermin erscheinen, wegen Krankheit oder Klassenarbeiten beispielsweise. Die acht, bei denen es heute geklappt hat, hatten sie sich im Vorfeld kurz untereinander abgestimmt, wer die Begrüßung und wer die Einführung übernimmt. Alles in Eigenregie. Auf Fragen, die Björn während seines Vortrags gestellt werden, geht er bereitwillig ein, teils ad hoc unterstützt von den SchulkameradInnen.
Eins-zu-Eins-Betreuung
Alle miteinander und ohne jede Kontaktscheu teilen sie sich auf die SeniorInnen auf, sobald die Einführung beendet ist. Rasch füllt lebhaftes Stimmengewirr den großen Raum. Jung und Alt sitzen in Paaren beieinander – es herrscht Eins-zu-Eins-Betreuung, weil die Fragestellungen sehr individuell sind und jedes Handy anders ist.
Einige der Jugendlichen haben bereits den eigenen Großeltern beim Umgang mit modernen Kommunikationsmittel geholfen. Als Vorbereitung für den Kurs etwas lernen brauchte keiner der 14- und 15-Jährigen. „Wir sind da einfach hingegangen und haben losgelegt, weil wir das alles ja täglich anwenden“, erklären Sofie und Summer dazu: „Wir sind ja anders aufgewachsen als die Älteren, wir haben von früh auf den Umgang mit dem Handy und so gelernt.“ Die Motivation für den Einsatz ihrer Freizeit für dieses freiwillige soziale Engagement erklären sie im Namen auch ihrer MitstreiterInnen wie folgt: „Wir haben das Wissen, und wenn wir das weitergeben und damit anderen helfen können, dann machen wir das gern.“
Beidseitige Freude
Dem pflichten die übrigen Jugendlichen bei. „Ich kenn’ das einfach auch alles von meiner Oma: Sie will die Bilder von ihrem Nachwuchs sehen, auch von ihren Urenkeln – da ist es wichtig, dass sie weiß, wie das auf dem Handy geht, oder wie man eine Nachricht schreibt, oder wie man das Handy als Telefon nutzt. Weil sich alles so erneuert hat, ist es wichtig, dass alte Menschen wissen, dass alles mehr übers Handy läuft“ – Aussagen wie diese sind von den jungen Leuten zu hören.
Auch immer wieder lustige Momente gebe es beim Unterrichten der Senioren, erzählen sie. Schön sei es überdies, wie diese sich darüber freuen, mit dem Handy fotografieren zu können. Oder sich überhaupt freuen, wenn sie etwas Neues dazulernen. Und da war jene Seniorin mit neuem Handy: „Wir haben ihr ihre Kontakte installiert und dann hat ihre Enkelin ihr geschrieben und das hat sie so glücklich gemacht!“
Beidseitiges Lernen
Ganz nebenbei lernen die Jugendlichen bei diesem Projekt auch selbst einiges. „Auf jeden Fall Geduld und Konzentration“, stellen sie unisono fest, denn man müsse beim Erklären öfter wiederholen. Oder versuchen, einen Sachverhalt anders zu erklären, wenn das Gegenüber nicht versteht.
Auch die Erfahrung an sich sei wichtig, in Bezug auf die Kommunikation mit Älteren. „Man muss mit ihnen anders sprechen, als wir es untereinander tun oder auch mit Lehrern: viel langsamer, deutlich, ohne Jugendsprache, einfach auch höflicher.“ Einen weiteren Punkt bringt Max ins Gespräch: „Was man auf jeden Fall immer mitnehmen kann, sind neue Menschenkenntnisse, und wie man mit den alten Leuten ins Gespräch kommt und im Gespräch bleibt.“
Der vierte und vorläufig letzte Kurs findet am 11. Februar statt, dann steht die OK-App (Ortenau-Klinikum-App) auf dem Programm, sowie das nochmalige Eingehen auf individuelle Fragen. „Das war jetzt einfach mal ein Versuch“, resümiert Lehrer Christian Schober in Bezug auf das gesamte Projekt, „wir schauen mal, wie es dann weitergeht.“ Gedanken dazu hat er sich bereits gemacht, wenngleich noch nichts spruchreif ist.