Die Skulptur „Dame mit dem Abendkleid“ gesellt sich seit kurzem zur Skulptur „Das Paar“ im Oberen Park in Zell. Beide sind eine Schenkung des Bildhauers Walter Haaf an die Stadt Zell. Zwischen der Herstellung der beiden Kunstwerke liegen 60 Jahre. Der Förderverein Zeller Kunstwege hat die Aufstellung der neuen Skulptur koordiniert und begleitet. Und Wolfgang Hilzensauer hat den Künstler getroffen.



Der in Zell bekannte Bildhauer Walter Haaf, Jahrgang 1935, wurde in Zell geboren. Seine Frau starb im letzten Jahr. Nun meistert er allein seinen Alltag in seinem Haus in Zell. Hin und wieder besuchen ihn seine beiden Töchter (Zwillinge), die jedoch nicht in Zell wohnen. Haaf ist stolzer Opa von fünf Enkelkindern (vier Jungen, ein Mädchen).
Von seinem Wohnhaus zu seinem Atelier ist es nur ein Katzensprung. Der Weg durch den Garten führt an einigen größeren Skulpturen vorbei. Seine letzte Skulptur, „Die Dame mit dem Abendkleid“, die in Bronze gegossen wurde, ist nun fertig und wurde im Dezember 2024, ohne öffentliche Ankündigung, in der Nähe seiner Skulptur „Das Paar“ im Oberen Park aufgestellt. Im Frühjahr 2025, nach dem Wechsel der Skulpturen am Zeller Kunstweg, wird es zusammen mit der Stadt und den Künstlern der neuen Skulpturen eine Eröffnungsfeier geben.
Gespräch mit Walter Haaf
In meiner Funktion als Vorsitzender des Fördervereins treffen wir uns, auf seinen Wunsch hin, in seinem Stammcafé zu einem Gespräch. Wir wollen über den Abschluss der Aufstellung seiner neuen Skulptur im Park sprechen und auch eine kleine Rückschau auf seinen Weg als Bildhauer halten.
Walter Haaf hatte in seinem 90. Lebensjahr noch Glück im Unglück: Auf dem Kanzleiplatz in Zell wurde er von einem Radfahrer angefahren. Dabei brach er sich eine Hüfte. Es folgte eine lange Behandlung bis zu seiner vollständigen Genesung. Über diesen Vorfall wurde bereits in der Presse berichtet. Bei Kaffee und einer Brezel beginnen wir unser Gespräch.
Glück gehabt
„Wissen Sie, ich bin viel in der Welt herumgekommen, und mir ist nichts passiert. Dann dieser Zwischenfall auf dem Kanzleiplatz. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich so schnell wieder erhole und ohne Gehstütze wieder laufen kann.“ Sein Blick schweift merklich auf eine Tüte mit Büchern. Ich ahne, dass dies sein Anschauungsmaterial ist. Er freut sich, dass die neue Skulptur nun steht. Dann die Anmerkung: „In meinem Alter weiß man nicht, was der nächste Tag bringt.“ Es scheint ihm wichtig, die Aufstellung noch selbst zu erleben. Dazu passend sagt er: „Jetzt bin ich wieder entspannter und kann besser schlafen.“ Unser Gespräch fokussiert sich auf die Skulptur mit dem Titel „Donna con Abito Lungo“ (Die Dame mit dem Abendkleid).
Italienische Inspiration
Ich erinnerte mich an meinen Besuch im Juni 2023 in seinem Atelier. Seine letzte Skulptur „Donna con Abito Lungo“ wurde gerade in Ton modelliert. Bis zur Fertigstellung in Bronze waren noch viele Bearbeitungsschritte notwendig. Wie muss man sich fühlen, wenn man als Bildhauer an seinem letzten Werk arbeitet? Ich dachte in diesem Moment an den Spruch des Zarathustra (7./6. Jh. v. Chr.): „In jedem Anfang liegt schon das Ende.“
Ich stelle Haaf die Frage, warum die Skulptur einen italienischen Titel trägt. „Wissen Sie, in früheren Jahren war ich ein leidenschaftlicher Schwimmer und Segler. Einer meiner Lieblingsorte ist das Dorf Manerba am Gardasee (Provinz Brescia in der Lombardei). Ich habe noch viele Erinnerungen an meine Aufenthalte dort. Die Idee zum Titel der Skulptur entstand, als ich eine italienische Zeitung betrachtete, in der Damen mit Abendkleidern abgebildet waren.“
Von Holz zu Stein
Mit meinen Fragen steuere ich nun auf seinen beruflichen Werdegang zu. „Wissen Sie, die Lehre als Holzbildhauer mit Gesellenbrief hatte mich nicht zufriedengestellt. Mich störte dabei die Serienarbeit; es gab mir zu viele Wiederholungen. Daraufhin wandte ich mich vom Holz ab und besuchte die Fachschule für Bildhauerei in Freiburg. Mein Wunsch war, Steinbildhauer zu werden. Meine Qualifikationen zum Steinmetz und Steinmetztechniker absolvierte ich an der Münsterbauhütte in Freiburg. Mit diesen Grundlagen bewarb ich mich an der Staatlichen Kunstakademie in Düsseldorf bei Professor Mages, einem deutschen Bildhauer. Er war bis 1961 Professor für Bildhauerei. Nach einigen Semestern verließ ich die Akademie als Meisterschüler. Danach begann ich, mit Hammer und Meißel Skulpturen zu erschaffen. Meine Vorstellung war, eine Vereinfachung in der Formensprache zu finden und die Ausdruckskraft zu verstärken. Dies realisierte ich mit fünf übergroßen Granitplastiken.“
Im nächsten Schritt bewarb er sich an der Kunstakademie in München bei dem international bekannten italienischen Bildhauer Emilio Greco. Doch Auftragsarbeiten führten dazu, dass er die Weiterbildung abbrach und nach Zell zurückkehrte. Dort entstanden weitere beeindruckende Plastiken, etwa drei bis vier Meter hohe Werke aus Granit.
Künstlerische Philosophie
„Das Material sucht den Künstler“, erklärt Haaf, als ich ihn auf seine verwendeten Materialien anspreche. „Meine Kunstwerke bestehen aus Stein, Bronze und Holz. Meine Auftraggeber waren Kommunen und Privatpersonen. Ich erschuf religiöse Plastiken mit biblischen Motiven.“ Die meisten seiner Skulpturen stehen im öffentlichen Raum.
Auf die Frage nach Vorbildern antwortet er: „Meine Vorbilder stammen aus der ägyptischen und romanischen Kunst. Ihre Magie habe ich in meine Skulpturen übertragen, allerdings in zeitgenössischer Sprache. Allen Strömungen, die mit ‚-ismus‘ enden, bin ich jedoch bewusst aus dem Weg gegangen, denn der „-ismus“ befördert meist eine vernünftige Idee ins Unvernünftige.“
Wir sprechen weiter. Wie sehen Sie selbst und andere Ihre Kunst? Nicht bei allen Menschen fand ich Zuspruch, aber die meisten standen auf meiner Seite.
Hat Sie ihr Beruf erfülllt? „In meiner Rückschau bescherte mir der Beruf als Bildhauer meine Aufträge, die Energie zur Realisierung meiner Aufträge. Ich empfand auch viel Freude in meinem Beruf und meiner Arbeit.“ Stehen in Zell weitere Arbeiten von Ihnen? „Bekannte Arbeiten in Zell sind zum Beispiel der Narrenbrunnen, der Historiker-Brunnen, der Nikolaus-Brunnen in Unterentersbach und den Gallusbrunnen in Unterharmersbach.“ Sie sind Bildhauer, spielte das Malen auch eine Rolle? „Das Zeichnen und Malen erlernte ich als Autodidakt. Zeichnungen sind die Grundlage zur Planung und Fertigung meiner Skulpturen.“
Auch in Biberach präsent
In seiner mitgebrachten Tüte befand sich Anschauungsmaterial in Form publizierter Bücher und Zeitschriften. Haaf zeigte mir viele Beispiele seiner Arbeiten.
In den vergangenen Jahren entstanden zahlreiche Werke, basierend auf unterschiedlichen Themen und Botschaften. Die Ausführungen variierten sowohl in den verwendeten Materialien als auch in der künstlerischen Gestaltung. Zu fast jedem Beispiel gehörte auch eine Anekdote. Einige seiner Werke befinden sich in der Nachbargemeinde Biberach.
Mir fiel schnell auf, dass seine Anekdoten zu seinen Arbeiten einen besonderen Stellenwert einnehmen. In diesen „menschelt es in Gottes Garten“, wie man sagen könnte. Für mich schienen seine Anekdoten auch in seinen Arbeiten mitzuschwingen. Man hört sie nicht direkt, kann sie aber spüren, wenn man sich darauf einlässt.
Zum Abschluss unseres Treffens besichtigten wir noch einige seiner Arbeiten in Biberach. Besonders beeindruckend waren die ausdrucksstarke Bronzeplastik des Kirchenportals sowie die Plastiken des Kreuzweges in der Kirche St. Blasius. Außerdem betrachteten und besprachen wir die Brunnen vor der Kirche und das Friedensdenkmal beim alten Kirchenturm in Biberach.
Nach dem Ende des Treffens, wieder zu Hause angekommen, reflektierte ich unsere Begegnung. Für mich war es eine Begegnung mit einem einfühlsamen, selbstbestimmten, zielstrebigen, strukturierten und noch vitalen Künstler. Mit gutem Auge und einem ausgeprägten Sinn für Ästhetik hat er seinen Weg als Bildhauer gemacht.
Geleitet von seinem inneren Bild schuf er mit seiner unverkennbaren Handschrift einzigartige Formen und Botschaften. Er hämmerte diese in Stein, modellierte sie in Ton und ließ sie anschließend in Bronze gießen. Sein Vermächtnis ist in Stein gehauen oder in Bronze gegossen.
Wenn Sie Herrn Haaf demnächst auf der Straße oder in einem der Cafés in Zell begegnen, sprechen Sie ihn doch einmal an. Er wird Sie mit Sicherheit mit spannenden Geschichten und Anekdoten aus seinem Leben als Bildhauer belohnen.