In einer Gemeinschaftsausstellung treffen Angela Flaigs Naturarbeiten auf die intensiven, abstrakten Bilder von Germain Roesz. Während Flaig mit Pflanzenmaterialien meditative Muster schafft, lädt Roesz mit seinen farbgewaltigen Werken zum Nachdenken ein.
Vom 3. bis 27. Oktober 2024 zeigt der Förderverein Zeller Kunstwege die Werke von Angela Flaig im Rundofen Zell. Die Vernissage zur Gemeinschaftsausstellung mit Germain Roesz findet am Donnerstag, den 3. Oktober um 18.30 Uhr statt, musikalisch begleitet von der Musikerin Sann Liedke. Der Eintritt ist frei.
Angela Flaig: Die Natur als Ausgangspunkt
Angela Flaigs Kunst ist ein Sonderfall der südwestdeutschen Kunst. Ihre Arbeit schöpft die Kraft aus der Natur. Sie steht damit in der Tradition der künstlerischen Auseinandersetzung des Menschen mit seiner natürlichen Umgebung. Diese reicht zurück bis in die Anfänge der Kunst. Der Mensch entdeckt die pflanzliche Natur erst am Ende des Mittelalters als Bildinhalt. Besonders in der Renaissance – in einem Zeitalter, in dem der Mensch zum Maß aller Dinge wird – entdecken die Künstler die florale Natur in ihrer Vielfalt und Schönheit.
Doch die Beziehung von Kunst und Natur wurde im 19. und 20. Jahrhundert zunehmend kompliziert, als die Industrialisierung die Landschaft und das natürliche Umfeld veränderte. Die Natur wurde zunehmend als Ressource wahrgenommen, und der menschliche Blick richtete sich auf die Natur als Rohstofflieferant. Die Begriffe Natur und Landschaft münden in den Obergriff Umwelt. Diese Entfremdung von der Natur prägte auch die Kunst, die sich mit der Sehnsucht nach einer Wiedervereinigung mit der Natur beschäftigte.
Dieses Prinzip der Einfachheit in materieller als auch in konzeptioneller Sicht findet ihre populärste Ausprägung in der Landart, eine Kunst die sich nicht nur mit Natur-Materialien, sondern einer Kunst, die mit der Natur selbst arbeitet. Als Beispiel wäre hier der Künstler Andy Goldsworthy zu nennen, der in der Natur vorkommende Materialien zur Erstellung seiner meist schnell vergänglichen Werke einsetzt und diese mit Hilfe der Fotografie dokumentiert. In dieser reichen uralten Tradition der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Natur ist auch das Werk von Angela Flaig einzuordnen.
Ein Weg zur Kunst: Meditative Prozesse
Angela Flaig hat nie eine Kunstakademie besucht und hatte keine klassischen Vorbilder in der Kunstgeschichte. Ihre Kunst entwickelte sich aus ihrer eigenen Lebenswelt heraus, und schon früh begann sie, Naturmaterialien als zentrale Werkstoffe zu nutzen. Ihre künstlerische Reise begann mit flachen Papierarbeiten, bei denen sie das Raster von Stegen durch Kohlepapier sichtbar machte. Doch bald wandte sie sich den Materialien der Natur zu, fasziniert von der Schönheit und Sinnlichkeit, die sie in Blüten und Samen fand. Ihre Kunst entsteht aus dem strengen Rhythmus ihres Lebens, aus einem ganz normalen Leben.
Sie arbeitet und experimentiert mit unterschiedlichen Materialien. So entstehen Papierreibungen. Hier werden Papiere mit Sand, Steinen oder Samenkernen kreisförmig bearbeitet. Es sind meditative und ritualisierte Bearbeitungsprozesse, in denen Natur und Lebensspuren gleichermaßen eine Rolle spielen.
Auf die Reibbilder folgten Keimbilder. In diesem Bearbeitungsprozess entstanden die Spuren durch den aufkeimenden Samen. Am Ende dieser Entwicklung arbeitete sie mit Samenhüllen, Pflanzen und Pflanzensamen. Im Samen liegt das Leben, der Samen ist das Leben, so ein Zitat der Künstlerin.
Der Durchbruch – Flugsamen als zentrales Motiv
Ende der 1990er Jahre fand Angela Flaig die Freiheit, sich vollständig ihrer Kunst zu widmen. Mit über 50 Jahren entschloss sie sich, ihre Zeit und Energie ausschließlich der Kunst zu widmen – und erlebte damit ihren künstlerischen Durchbruch. Zunächst entdeckte sie die Schönheit von Distelsamen, die sie in meditativer Handarbeit zu großflächigen geometrischen Mustern zusammensetzte. Samenkorn für Samenkorn reiht sie aneinander und formt daraus kreisförmige oder quadratische Muster.
Diese Arbeiten sind Ausdruck eines meditativen Arbeitsprozesses, bei dem Sorgfalt und Geduld im Mittelpunkt stehen. Im Laufe der Jahre folgten Werke mit Samen von Pinien, Weidenröschen und vielen anderen Pflanzen. Jeder Samenstand hat dabei seinen eigenen Charakter und erzeugt eine unverwechselbare grafische und räumliche Wirkung. Besonders plastisch sind ihre großformatigen Samenkugeln, die aus Löwenzahnblüten bestehen und bis zu zwei Meter Durchmesser erreichen.
Diese Kunstwerke, die durch ihre schlichte, aber kraftvolle Ästhetik bestechen, haben bis heute ihre zeitlose Gültigkeit bewahrt. Angela Flaigs Arbeiten stehen in einer langen Tradition, sind aber zugleich vollkommen eigenständig und abseits der akademischen Kunstwelt entstanden. Ein Werk, das auch Resonanzen der zeitgenössischen Kunst in sich aufgenommen hat. Ihre Kunst ist, wie sie selbst sagt, ganz normales Leben.
Germain Roesz: Kunst als Dialog zwischen Farbe und Form
Germain Roesz, geboren 1949 in Colmar, gehört zu den vielseitigen Künstlern unserer Zeit. Nach einem Studium der Kunst und Kunstwissenschaft an der Universität Straßburg (1970–1975) war er in den 1980er Jahren Professor an seiner Alma Mater, wo er Kunsttheorie, Kunstpraxis und Kunstwissenschaft lehrte. Doch trotz seiner akademischen Laufbahn entschied sich Roesz, sich ganz auf seine eigene Kunst zu konzentrieren: „Ich will nur noch Künstler sein“, so seine Zukunftsperspektive.
Kraftvolle Striche und intensive Farben
Roesz‘ Malerei ist geprägt von starken Pinselstrichen und leuchtenden Farben. Seine Bilder haben eine unmittelbare Wirkung auf den Betrachter – sie springen ins Auge, fangen die Aufmerksamkeit ein und fordern Zeit, um vollständig erfasst zu werden. „Die Besucher brauchen Zeit zum Anschauen und Erfassen meiner Bilder. Ich selbst arbeite auch langsam“, erklärt Roesz.
Sein Schaffensprozess ist ein komplexer Aufbau von Farbschichten. Er beginnt oft mit einer Ausgangsfarbe und setzt dann Schritt für Schritt weitere Farbtöne hinzu. Dabei entsteht eine vielschichtige Komposition, die schwer zu durchdringen ist. „Am Ende ist es schwierig zu enträtseln, wie viele Farbnuancen tatsächlich in dem Bild stecken und welcher Strich über oder unter den anderen verläuft“, beschreibt der Künstler. Die Malerei entwickelt sich während des Prozesses, die Idee wird angepasst und verändert: „Das Leben ist nicht so festgelegt, meine Malerei auch nicht.“
Germain Roesz ist bekannt für seine Experimentierfreude, die sich nicht nur in der Farbpalette, sondern auch in den Bildformaten widerspiegelt. Er arbeitet nicht nur auf rechteckigen oder quadratischen Leinwänden, sondern verwendet auch trapez- oder kreisförmige Formate. Seine Werke können sogar skulptural werden, wie etwa bei bemalten Blechvorsprüngen, die er „Häuser“ nennt, oder seitlich offenen Holzrahmen, die Fenster symbolisieren.
Obwohl seine Werke oft Titel tragen, möchte Roesz den Betrachter nicht zu einer festen Interpretation zwingen. Vielmehr lädt er dazu ein, eigene Bedeutungen zu finden, während er subtil Hinweise gibt. So steht etwa das Werk „Die enge Pforte“ für Zwischenstadien des Lebens, das „Zwischendrin“.
Suche nach dem Wesen der Dinge
Roesz’ abstrakte Kunst widmet sich dem Wesen der Dinge, ohne die Natur direkt abzubilden. „Die Natur muss nicht gemalt werden, sie ist so schon schön“, sagt der Künstler. Ihn interessiert, was mit der Natur passiert – im Regen, bei Hitze oder Kälte. Diese Veränderungen und Spannungen fängt er in seinen Bildern ein, indem er chaotische, zerfließende Farbflächen mit strengen Linien und Strukturen kombiniert.
Für Roesz ist Malerei kein stiller Akt, sondern ein Objekt des Wissens, zum Konstruieren und zum Dialog mit anderen. Dabei stellt er sich der Herausforderung, seine Kunst nicht den aktuellen Trends oder Zwängen des Kunstmarktes zu unterwerfen.
Kunst als ganzheitliches Erlebnis
Neben der Malerei betätigt sich Germain Roesz auch als Zeichner, Dichter und Performer. Seine ganzheitliche Auffassung von Kunst zeigt sich beispielsweise in einer Ausstellung, bei der er großformatige Bildtafeln als Hintergrund für eine Lesung schuf. Gestützt auf seine Forschungen und seine poetische Suche beschreitet sein Werk ein Gebiet zwischen Strenge und Chaos, zwischen Organischem und Mineralischem, zwischen der Geschichte der Malerei und dem zeitgenössischen Ansatz. Er teilt seine künstlerischen Perioden in zehnjährige Abschnitte ein, ähnlich wie in der Musik, wo sich Muster und Wiederholungen allmählich in etwas Neues verwandeln.