»Schön, dass wir nach einer gefühlten Ewigkeit von drei Jahren mal wieder zusammen sein können«, freute sich Stefan Lehman am ver gangenen Freitagabend vor rund 60 Anwesenden darüber, dass sich die Corona-Klauen endlich geöffnet haben. Als Kreisteamleiter und Vorstandsmitglied des Bundes Deutscher Milchbauern e.V. hatte er zu einer Vortragsveranstaltung in den Großen Saal des Zeller Partyservice Jilg eingeladen.
Zunächst beleuchtete BDM- »Urgestein« und Pressesprecher Hans Foldenauer die aktuelle Situation eines Milchmarktes, der – nach zuvor angespannter Lage – seit rund eineinhalb Jahren von konstant hohen Preisen für konventionelle Milch geprägt ist: »Ein Nettogrundpreis von 60 Cent pro Kilogramm – keiner von uns hätte gedacht, dass das in so kurzer Zeit möglich ist«.
Basierend auf den durchschnittlichen Marktpreisen von Butter und Milchprodukten ermittelte das Forschungszentrum des Kieler Instituts für Ernährungswirtschaft (ife) für Milch gar einen bislang noch nie dagewesenen Rohstoffwert von über 65 Cent. Ob man den BDM jetzt überhaupt noch brauche«, hatte Stefan Lehmann im Vorfeld seiner Einladung ironisch-provokant gefragt..
Er könne jetzt einfach antworten »Ja« und mit einem »pfuits euch bis zum nächsten Mal« entschwinden, feixte Referent Hans Foldenauer, der Saal quittierte es mit lautem Lachen. Dann aber wurde es ernst.
Denn: Der besagte ife-Rohstoffwert war für den Anfang des Jahres 2022 festgestellt worden, inzwischen liegt er bei nur noch 45 Cent pro Kilogramm (Kg). »Da ist schon was im Busch«, warnte der BDM-Sprecher und lenkte das Augenmerk auf die Erzeugungskosten: Betrugen im Krisenjahr 2016 mit seinen extrem niedrigen Milchpreisen die variablen Kosten (Bestandsergänzung, Kraft- und Grundfutter, sonstiger Aufwand) im Bundesschnitt 27,7 Cent, so belaufen sie sich inzwischen auf 43,4 Cent. Sinken die Gesamterlöse nun auf 45 Cent, schrillen die Alarmglocken. »Man muss immer alle Zahlen anschauen«, betonte der Referent daher.
Gemäß einer Modellrechnung zur Wirtschaftlichkeit der Milchproduktion für eine deutsche Kuh mit 8.500 Kg Milch pro Jahr habe man mit 1403 Euro pro Kuh im Jahr 2022 zwar einen »gefühlt sehr guten Deckungsbeitrag«. Aus der Marge sind jedoch die Gemeinkosten wie Arbeitserledigung, Gebäudekosten und Sonstiges zu leisten. Ein wesentlich geringerer Anstieg der Erzeugerpreise für Kuhmilch war im Bio-Segment zu beobachten.
Entwicklung von Kosten und Nachfrage beachten
Dass man sich nicht blenden lassen dürfe, mahnte Hans Foldenauer, wobei man neben der Entwicklung der Kosten auch die der Nachfrage für Milch und Milchprodukte im Blick haben müsse. Und die stagniert, »Mit der Rohmilchanlieferung an Molkereien liegen wir nur leicht über dem Vorjahresniveau«. Hier verfolgt der BDM das Konzept: Weniger Angebot sorgt für höhere Erzeugerpreise. Umso mehr, als auch der Export klemmt.
Zudem befinden sich die Weltmarktpreise auf Talfahrt: Der Durchschnittspreis aller gehandelten Produkte ist gemäß GlobalDairyTrade von zuvor unerreichten 5.065 Dollar im Mai 2021 um rund 1700 Dollar auf 3.365 Dollar Anfang Januar 2023 abgestürzt. »Im Grunde ist die Nachfrage überall rückläufig«, belegte Hans Foldenauer mit Zahlen, »die Leute kaufen bewusster ein«. Was vor dem Hintergrund, dass in Europa durchschnittlich 30 Prozent aller Lebensmittel weggeworfen werden, durchaus Sinn mache: »Wenn etwas Geld kostet, geht man anders damit um.«
Was jedoch angesichts stockenden Absatzes tun? Es brauche andere Marktrahmenbedingungen zur Beeinflussung der Marktstellung, unterstrich der Referent. Dazu gehörten Vertragslösungen mit den Akteuren der Wertschöpfungskette sowie gesetzliche Vorgaben, die den Verkauf unter Produktionskosten verböten. »Letzteres wäre eine angenehme Situation für uns«, so Hans Foldenauer, »dazu benötigt man aber ein Mengenmanagement im Rahmen marktwirtschaftlicher Überlegungen.«
Verantwortung übernehmen
Allerdings solle man hier nicht an die Einführung einer neuen Quote denken. »Bisher war Agrarpolitik bloße Geldverteilung«, kritisierte er. Stattdessen müsse Agrar politik die Agrarmärkte und Marktrahmenbedingungen gestalten, damit Landwirtschaft Marktverantwortung übernehmen könne, statt entmündigt zu werden. »Wir haben Milch schon wieder im Überfluss und bräuchten schon jetzt längst ein Krisenmanagement – bereits im September hätten wir sagen müssen: Wer jetzt zu viel produziert, muss die Verantwortung dafür übernehmen.«
Bei alledem sei zu berücksichtigen: Der Markt ist die Summe aller Einflussnahmen. So existierten neben dem Marktgeschehen die Tierwohldebatten mit sich ständig verschärfenden Vorgaben für die Landwirte. Deren Erfüllung müsse honoriert werden, damit die Tierwohlfrage nicht zu Mehrkosten ohne Mehrgewinn führe.
Folgeabschätzung »Farm to Fork«
»Wir müssen davon wegkommen, dass wir von Tier, Boden und Mensch den letzten Krümel rausholen«, forderte Hans Foldenauer, »das ist kein Versagen eines Einzelnen, sondern damit müssen wir uns alle befassen.« Im Rahmen des kostenverursachenden Klima-, Natur- und Umweltschutzes sei die Landwirtschaft bislang mehr als alle anderen Bereiche belastet worden, monierte er. Unbestritten sei, dass die Landwirtschaft für Umweltkosten sorge. Von dem diesbezüglich im Raum stehenden Betrag in Höhe von jährlich 90 Milliarden Euro entfielen jedoch über zwei Drittel auf die Verarbeitungsindustrie.
Mit dem Europäischen Green Deal« wollen die EU-Mitgliedstaaten bis 2050 klimaneutral werden. Für die Landwirtschaft greift hier die »Farm to Fork«-Strategie (F2F) – ein umfassender Zehnjahresplan der Europäischen Kommission, um den Übergang zu einem fairen, gesunden und umweltfreundlichen Lebensmittelsystem in Europa voranzutreiben.
Einem Folgeabschätzungs-Gutachten der Kieler Universität gemäß soll F2F zu einem signifikanten Produktionsrückgang bei Rindfleisch, Milch und Getreide und damit zu entsprechenden Preissteigerungen führen – wobei einer Senkung der Milchmenge um sechs Prozent und der Zahl der Milchkühe um 13 Prozent eine Erhöhung des Rohmilchpreises um 36 Prozent gegenüberstehen werde. Während man eine Einkommenssteigerung der Landwirtschaft insgesamt mit 35 Milliarden (Mrd.) Euro berechnet, erwarte man einen Wohlfahrtsverlust für Konsumenten von 70 Mrd. und damit 157 Euro pro Person, und auf die Milchindustrie komme ein Gewinnrückgang von vier Mrd. Euro zu. Eine Klimawirksamkeit von F2F sieht das Gutachten nicht.
»Ob das alles so eintrifft, weiß man nicht«, relativierte Hans Foldenauer, zumal es mehrere Gutachten gebe, teils mit gegenteiligem Ergebnis. Entschieden jedoch trat er der Behauptung entgegen, F2F führe dazu, »dass wir uns in Deutschland nicht mehr selbständig ernähren können.« Zwar liege hier eine Unterversorgung vor allem bei Obst und Gemüse vor, ebenso bei Honig, Hülsenfrüchten und Eiern. Aber der durchschnittliche Selbstversorgungsgrad bei Getreide, Milch, Fleisch, Zucker und Kartoffeln betrage zwischen 101 bis 145 Prozent.
Hans Foldenauers Fazit in Bezug auf den Beitrag von Bauern und Bäuerinnen zu Tierwohl, Klima,- Natur- und Umweltschutz: »Die diesbezüglich erforderliche Transformation der Landwirtschaft ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und der Markt muss auch über den Preis dafür sorgen, dass diese Transformation möglich ist .«