»Das Thema ›Schmerz‹ ist kein einfaches«, begann Anna Niederberger ihren Fortbildungs-Vortrag in den Zeller DRK-Räumlichkeiten, »jeder hat sie schon einmal gehabt und will sie so schnell wie möglich wieder loswerden.« Vor allem aber sind Schmerzen eines: Eine ganz persönliche Sache.
Akut oder chronisch kann er sein, der Schmerz in seinen unterschiedlichsten Formen. Als da beispielsweise wären: Entzündungs-, Fraktur-, Torsions-, Gelenk- oder Muskelschmerzen. Sowie Schmerzen nach Operationen.
Aber auch ihn gibt es: den körperlich-seelischen Schmerz. Jenen schweigenden Schmerz als vielleicht lautesten Schrei, der aber nicht gehört wird beziehungsweise nicht gehört werden kann. In diesem Fall gibt es keinen real akuten, körperlichen Schmerz. Vielmehr werden unbewältigte Probleme unbewusst als Schmerz erlebt, respektive früher erlebte Schmerzen werden wieder »zum Leben erweckt«. Wobei der körperlich empfundene Schmerz von der seelischen Ursache ablenkt.
»Beide Schmerzarten können sich abwechseln oder ergänzen«, erklärt Anna Niederberger, die wie üblich den Fortbildungsabend des Zeller Deutschen Roten Kreuzes bestreitet, ehrenamtlich und nach umfangreicher Vorbereitung.
»Schmerzen sind ein wichtiges Warnsignal«, fasst die promovierte Internistin im Unruhestand zusammen: »Irgendwo ist etwas mit mir oder meinem Körper nicht in Ordnung.« Und weil sie eine Pragmatikerin ist, die um die Wirkung persönlicher Erfahrung weiß, weist sie ihr Publikum denn auch gleich in eine Übung zur Annäherung an den körperlich-seelischen Schmerz ein. Jeder schließlich kenne die Redensart, dass einem etwas im Magen oder im Nacken oder auf den Schultern liege. »Drücken Sie ihrem Nachbarn mal fest auf die Schulter«, bittet Anna Niederberger daher, »und jetzt stellen Sie sich vor, das lastet auf Dauer auf Ihnen. Vielleicht über Jahre oder sogar Jahrzehnte hinweg.«
Schmerzgedächtnis
Schmerzen entstehen gemeinhin durch Reize, die von Nerven über das Rückenmark an das Gehirn weitergeleitet werden. Bei einem neuropathischen Schmerz hingegen sind die Nerven selber gestört. »Sie werden geärgert«, so die Medizinerin, »und zwar zum Beispiel durch hohe Dosen an Alkohol, Zucker oder Nikotin, die man längere Zeit zu sich genommen hat.« Dieser neuropathische Schmerz wird an »ganz, ganz viele Stellen im Körper gesendet« und besteht auch dann noch, wenn keine Gewebeschädigung mehr vorliegt.
Und dann ist da noch die Sache mit dem Schmerzgedächtnis. Das bildet sich, wenn der eigentliche, akute Schmerz nicht sofort adäquat behandelt wird. »Dann ist der Schmerz auch noch da, wenn der Auslöser schon weg ist«, erklärt die Ärztin und warnt: Wenn aus einem akuten – also kurz anhaltenden – Schmerz ein chronischer Schmerz wird, kann sich aus diesem eine Depression entwickeln.
Gute Lebensqualität trotz chronischer Schmerzen
Als chronisch werden Schmerzen bezeichnet, die länger als drei Monate anhalten respektive immer wiederkehren. Gemeinerweise ist die Ursache oftmals nicht mehr klar. Klar hingegen ist: Die Nervenzellen lernen und bilden ein Gedächtnis. Das Ergebnis: Bei Wiederholung reagieren sie auf den gleichen Reiz stärker als beim ersten Mal – die ursprüngliche Warnfunktion des Schmerzes geht verloren.
Aber die Zellerin hat eine unbedingt positive Nachricht auf Lager: »Ich kann den Umgang mit Schmerz lernen und auch bei chronischem Schmerz eine gute Lebensqualität haben.«
Hierbei lässt sich zunutze machen, dass in den unterschiedlichen Regionen des Gehirns unbewusst passiert, was der einzelne Mensch jeweils aus dem Schmerz macht – welcher Art dieser auch sei. Das beginnt damit, dass jeder Mensch eine andere Schmerzschwelle besitzt. Wobei zum Beispiel Faktoren wie Erschöpfung, Angst, Sorgen, Einsamkeit und Schlaflosigkeit, aber auch soziale, wirtschaftliche oder körperliche Abhängigkeit den Schmerz verstärken.
Lernen, lernen, lernen
Einfachstes Beispiel: Wer gerne läuft, wird Schmerzen im Bein unter Umständen stärker empfinden als jemand, der weniger bewegungsfreudig ist. Umso besser, dass sich mit Hilfe von Schmerzbewältigungsstrategien beispielsweise lernen lässt, die Aufmerksamkeit nicht auf den Schmerz zu fokussieren.
Auch gilt es im Rahmen der Schmerzpsychologie zu lernen, im Falle chronischer Schmerzen Schmerzmittel regelmäßig zu nehmen. »Denn wenn der Schmerz erst mal ganz oben ist, braucht man mehr Schmerzmitttel, als wenn man geringere Dosen über den ganzen Tag verteilt nimmt«, unterstreicht Anna Niederberger.
Die Liste der Möglichkeiten einer Schmerzbehandlung ist jedoch lang. Glücklicherweise. Neben Medikamenten sowie Akupunktur oder Akupressur gehört vieles andere dazu, wie unter anderem Entspannungsverfahren, Wahrnehmungsschulungen, körperliche Aktivierung, Atemtherapie, das Training gesunden Verhaltens, Schmerz-Informationsgruppen – um einmal, bunt durcheinander gewürfelt, einige mögliche Aspekte zu nennen.
Den eigenen Weg finden
»Gerade bei chronischen Schmerzen sind viele Menschen an der Behandlung beteiligt«, betont die Referentin, »vom Arzt über Physio- und Ergotherapeut bis hin zum Psychologen, da ist eine gute Kommunikation aller untereinander erforderlich.«
Vor allem aber muss der Patient den Schmerz und dessen Ursache verstehen. »Seid dem Doktor gegenüber bitte nicht so hörig«, mahnt die vielfach ausgebildete Ärztin ihre Zuhörer, »wehrt euch, fragt nach.« Mit einem Lachen sagt sie das, »jetzt werde ich die nächste Zeit wahrscheinlich wütende Anrufe von Kollegen kriegen.«
Das möglichst umfängliche Informiertsein eines Schmerzpatienten ist umso wichtiger, als unterm Strich ein jeder für sich selbst herausfinden muss, was ihm gut tut. »Ich kenne jemanden, der hat mit konsequenter Yoga seine Schmerzen in den Griff bekommen und inneren Frieden mit dem Körper geschlossen«, berichtet Anna Niederberger.
So oder so: »Halten Sie sich an den Satz: Der Schmerz muss für mich gut erträglich sein«, lautet ihr eindringlicher Rat an die mehr als aufmerksame Zuhörerrunde.





