»Die Welt ist für die meisten Menschen im Kinzigtal noch in Ordnung.« Das sagt Simeon Springmann, Leiter des Forstbezirks Offenburg. Wie sehr der Eindruck zumindest in Bezug auf den Wald täuscht, machte er mit seinen Kollegen Klaus Pfundstein, Phillipp Glanz und Markus Maise gestern am Beispiel des Badwalds deutlich.
Der Wald hat Durst. Viel Durst. Viel zu wenig hat es im letzten Jahr geregnet, tief sind die Böden ausgetrocknet, die Wasserreserven erschöpft. »Die Wälder des Ortenaukreises sind in einem kritischen Zustand«, informierte das Amt für Waldwirtschaft im Landratsamt Ortenaukreis gestern bei einem Vor-Ort-Termin. »Auch wenn die Schwarzwaldhänge beim ersten Blick in sattem Grün zu stehen scheinen, finden sich in den tieferen Lagen des Schwarzwaldes rötlich verfärbte Tannen, Fichten und Laubhölzer«, so Simeon Springmann, Leiter des Forstbezirks Offenburg.
Vom Wetter durfte man sich gestern nachmittag nicht täuschen lassen: Ausgerechnet für die Zeit des Vor-Orts-Termins fiel ein wenig von dem ersehnten Regen vom Himmel. Geschwächt durch die extreme Hitze und Trockenheit im letzten Jahr kämpfen jedoch viele Bäume in diesem Sommer ums Überleben. Dazu kommt ein starker Befall an Borkenkäfern bei den Nadelgehölzen, der den ohnehin geschwächten Bäumen arg zusetzt. Der milde Winter hat auch nicht dazu beigetragen, den Bestand an den lästigen Krabblern zu dezimieren.
Ganze Hänge drohen abzusterben, so der Forstamtsleiter. Nicht nur Fichten sind betroffen. Auch die eigentlich als robust geltende Weißtanne und heimische Buchen leiden. Die Folgen des Trockenjahres werden wohl, selbst wenn es ab sofort wieder ausreichend regnet, über Jahre zu spüren sein. Die Bäume müssen erst wieder Feinwurzeln bilden. Mit ihnen nehmen sie das Wasser aus dem Boden auf.
Einschlag läuft auf Hochtouren
Zum Pressetermin geladen hatten die Förster beim Keramik-Parkplatz am Zeller Ortseingang. Der Wald dort ist ein Schonwald, ein geschütztes Waldreservat, in dem die wirtschaftliche Nutzung zwar erlaubt ist, aber Beschränkungen unterliegt. Wie es ohne den Einsatz der forstlichen Kräfte, die dem Käfer den Kampf angesagt haben, flächenhaft aussehen würde, lässt sich dort gut nachvollziehen. In dem Laubmischwald in Südhanglage sind viele Tannen aufgrund von Trockenheit und Käferbefall bereits abgestorben. Solch ein Ausmaß auf großer Fläche soll andernorts verhindert werden. Der den Schonwald umgebende Nutzwald wird daher intensiv überwacht. Förster, Waldarbeiter und Waldbesitzer sind seit letztem Herbst ständig im Einsatz. Sie schlagen Bäume, die vom Käfer befallen sind und solche, die deutlich geschwächt sind. »Geschädigtes Holz ist die ideale Brutstätte für die Käfer«, erläutert Springmann. »Es muss entfernt werden, bevor sich die Tiere vermehren, ausfliegen und weitere Bäume befallen.« Ein weiterer Aspekt ist der Schutz der Waldbesucher. Abgestorbene Bäume werden in kurzer Zeit brüchig und stellen vor allem entlang von Wegen ein großes Risiko dar. Besonders heikel sind die ausladenden Kronen von Laubbäumen.
»Die umfassenden Maßnahmen täuschen momentan noch über das Schadensmaß hinweg«, fasst Springmann zusammen, nicht ohne auch ein wenig zu beruhigen: »Die großen Mengen an eingeschlagenem Holz am Wegesrand bedeuten nicht, dass der Wald übernutzt wird.« Anstatt der geplanten Ernte werden momentan fast ausschließlich geschädigte Bäume entnommen. Etwas höher als normal sei der Einschlag, berichtet Revierförster Klaus Pfundstein. Etwa das ein- bis eineinhalbfache. Eine Menge, die wieder nachwachsen kann. Markus Maise, Sachgebietsleiter Staatswald beim Amt für Waldwirtschaft, berichtet, dass im Staatswald jetzt schon zwei Drittel des Gesamteinschlags vollzogen sind.
Population explodiert
»Die Käfer stehen in den Startlöchern, um die Bäume zu befallen«, erklärt Springmann die aktuelle Lage. Gleichzeitig ist durch den Wassermangel die »Abwehrkraft« der Gehölze geschwächt. Beim Menschen meint man mit Abwehrkraft das Zusammenspiel von Zellen, Gewebe und Botenstoffen. Beim Baum ist es vor allen Dingen das Harz, das fließt, und die Käfer unter der Rinde vertreibt. Ein bisschen geholfen habe der kühle, niederschlagsreiche Mai, sagt Springmann. Die Käfer fliegen nämlich nicht bei Regen, was in feuchten Jahren dazu führen kann, dass sich nur zwei, statt zuletzt häufig drei Generationen entwickeln. Ein Käfer bekommt durchschnittlich etwa 100 Nachkommen. Mit drei Jungkäfergenerationen und zwei Geschwisterbruten kann also ein einziges Weibchen mehr als 100.000 Nachkommen erzeugen. Sechs bis sieben Wochen dauert die Entwicklung vom Ei zu einem fertigen Käfer. Pheromoneinsatz als Verwirrtaktik eignet sich nicht zur Bekämpfung. Die Botenstoffe werden aber zur Bestandskontrolle eingesetzt.
Suche nach der Nadel im Heuhaufen
Was also tun, um dem Wald zu helfen? Revierförster Philipp Glanz weiß: »Unser Schwerpunkt ist es, befallene Bäume zu finden und zu entfernen, um eine weitere Ausbreitung einzudämmen.« Dafür sind seit Monaten alle Kräfte in Einsatz – sowohl die Forstarbeiter der Ortenau Waldservice als auch die Privatwaldbesitzer. Die Suche gestaltet sich nicht immer leicht und gleicht oftmals der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel – respektive des Nadelbaums – im Heuhaufen. Meistens schauen die Experten vom Gegenhang nach auffälligen Stellen. Technische Unterstützung in Form von Drohnenflügen werden nur zum Monitoring eingesetzt. Zu schwierig ist es, einen einzelnen Baum im Wald später aufgrund einer Luftaufnahme ausfindig zu machen.
Sind die Bäume lokalisiert, bremst oft schon die nächste Knappheit die Arbeiten aus. Arbeiter und Maschinen sind im Dauereinsatz und können nicht überall gleichzeitig sein. Nicht wenige Stellen sind schwer zugänglich. Dort kann das Holz nur mit erheblichen Einsatz von Spezialmaschinen überhaupt geborgen werden.
Trockenlager weit weg vom Wald
Auf die Behandlung mit chemischen Mittel im Bestand wird verzichtet, was zwar etwas mehr Arbeit macht, aber der Natur zugute kommt. Stattdessen versuchen die Verantwortlichen das Käferholz so schnell wie möglich aus dem Wald zu schaffen – bevor eine neue Generation Borkenkäfer ausfliegt. Die Stämme werden dann in ein Trockenlager gebracht. Eines davon ist vor den Toren Biberachs zu finden. Die Standortsuche gestaltet sich schwierig, denn mindestens 500 Meter weg vom Wald muss der Lagerplatz sein, damit den ausfliegenden Käfern bei der Suche nach einer neuen Kinderstube rechtzeitig die Puste ausgeht.
Preisverfall
Die aktuelle Waldsituation hat nicht nur ökologische Aspekte. Auch wirtschaftliche Folgen für die Waldbesitzer bleiben nicht aus. Dabei war der Wald lange Zeit eine sichere Einnahmequelle und trug bei so manchem Landwirt in nicht unerheblichen Maßen zum Einkommen bei. Jetzt ist das Holz in der Qualität gemindert und gleichzeitig mehr Ware auf dem Markt. Der Preis hat sich halbiert. Waren früher etwa 90 Euro pro Festmeter Tanne zu erzielen, gibt der Markt heute oft nicht mehr als 45 Euro pro Festmeter her. Gleichzeitig sind die Erntekosten durch den Einzelschlag gestiegen. »Die Waldbesitzer sind frustriert«, berichtet Klaus Pfundstein von der schwierigen Situation. Philipp Glanz ergänzt, dass etliche Hiebe nicht mehr kostendeckend sind. Glück im Unglück hat, wer Wald in Nord- oder Ostlage bewirtschaftet. Die schattigen Lagen sind deutlich weniger betroffen.
Maghreb und Amerika als Lösung?
Bei Neupflanzungen steigt das Ausfall-Risiko. Deshalb sollen den sich veränderten Gegebenheiten angepasste, standortgerechte Bestände aufgebaut werden. Die Douglasie könnte ein Kandidat sein, die man vielleicht in Zukunft häufiger antrifft. Vielleicht auch Atlas-Zedern oder Rot-Eichen. Ob sich diese Arten bewähren oder nicht, ist ein bisschen wie ein Blick in die Glaskugel. Ob es geklappt hat oder nicht, zeigt sich erst in 100 bis 200 Jahren. Versuchen muss man es trotzdem, in Hinblick auf die nächste und übernächste Generation. Sicher scheint zu sein, dass Mischbestände anzustreben sind. Wenn eine Art Probleme macht, können die anderen ausgleichen.
Entscheidend für die in Waldzeiträumen gedachte kurzfristige Entwicklung in den nächsten Jahren wird das Wetters sein. Der Regen ist des Försters Freund.
Lebenszyklus der Borkenkäfer
Zunächst befallen Männchen die Bäume und locken dann die Weibchen zum Brutgeschäft. Die Entwicklungsdauer vom Ei bis zum Ausschwärmen der Jungkäfer ist stark temperaturabhängig und erstreckt sich über sechs bis zehn Wochen. Der Schwärmflug der Borkenkäfer beginnt im April und dauert bis August. Abhängig ist der Start zum einen von der Temperatur. Zum anderen ist er abhängig von der Tageslichtlänge. Innerhalb der Vegetationsperiode können unter günstigen Witterungsbedingungen mehrere Generationen und Geschwisterbruten angelegt werden, was eine Massenvermehrung zur Folge haben kann. Die Brutaktivität der Käfer ist in der Regel Mitte September abgeschlossen. Bei entsprechend hohen Temperaturen kann sich die Flugaktivität vereinzelt bis in den Oktober hinein erstrecken. Diese spät schwärmenden Käfer suchen Überwinterungsquartiere auf. Bei nasskalter Witterung verbleiben die Jungkäfer bereits ab August zur Überwinterung im Brutbild.
Foto: Bayerische Landesanstalt fü̈r Wald und Forstwirtschaft
Quelle: Bayerische Landesanstalt fü̈r Wald und Forstwirtschaft