Dass man Überraschendes erwarten konnte angesichts des angekündigten Pianisten, stand außer Frage. Und nach Ende des Konzerts war klar: Der zweifache Gewinner des »German Blues Award 2015« namens Thomas Scheytt ist mit allen Fähigkeiten ausgestattet, eine Ausnahmeerscheinung in der Welt des Blues- und Boogie-Pianos zu sein. Beim 2. Konzert der »Sommermusik« in der evangelischen Kirche präsentierte er sich als technisch beschlagener, gänzlich uneitler Musiker, der den Dingen auf den Grund geht.
Und der dem Publikum erklärt, welche persönliche Geschichte er mit den Werken verbindet: Dass er als Jugendlicher die ersten Stücke mit dem Kassettenrecorder aufzeichnete, sie nachzuspielen begann, um sich Stil und Feeling der Meister des Boogie-Woogie anzueignen, die in den 1920er und -30er Jahren in Chicago wirkten. Deutlich zu hören bei Albert Ammons »Mecca Flat Blues« oder dem »Suitcase-Blues«, die Scheytt mit jazzigen Improvisationen und perlenden Arpeggien adelte.
Immer wieder verziert der Künstler die simplen Blues-Zwölftakter mit pianistischen Finessen, vergisst aber selbst bei spektakulären Figurationen nie die melodische Linie. Hinreißend seine Staccati mit der rechten Hand, während die linke beim Herausarbeiten der Basslinien Außergewöhnliches leistet. Eigenkompositionen, etwa »Hirams Boogie«, beginnen mit einem an Fats Dominos Pianospiel erinnernden Walking Bass, der stetig forciert wird und bei den Zuhörern unwillkürlich zu rhythmischem Kopfnicken und Fußwippen führt. Am Mittwochabend klatschte das Publikum bereits nach dem dritten Stück anhaltend mit. Aufbrandender Zwischenapplaus war da inbegriffen. Was manchen störte, nahm der Künstler gelassen und freute sich sichtlich über die Begeisterung der Zuhörer.
Unglaubliche Ausdrucksvielfalt
Als versierter Profi weiß der Musiker natürlich, wie er sein Publikum zu nehmen hat und seine launigen Ansagen brachten die Leute mehrfach zum Schmunzeln. Doch Showeffekte und Koketterie sind dem in einer schwäbischen Kleinstadt aufgewachsenen Pfarrerssohn fremd und man ist beeindruckt, wenn er vom Ursprung des Blues und der Gospel-Songs erzählt und welche Bedeutung die sakrale Musik der Afro-Amerikaner für ihn hat.
Als ehemaliger Kirchenorganist hat Scheytt versucht, die Klangvielfalt des Instruments auf das Klavier zu übertragen: »Out oft the Dark« – inspiriert vom Sonnenaufgang – erklang als Slow-Blues mit Pop-Einsprengseln, Takt für Takt expressiv aufgeladen. Eine beseelte Interpretation. Einfühlsam und ausdrucksstark spielte Scheytt »Morning Dance«, mit swingenden Rhythmen, die den Einfluss der Dance Hall-Music nicht verleugnen. Ein weiblicher Fan habe ihm einmal geschrieben, allmorgendlich zu dem Stück zu tanzen, kommentierte der Künstler seine Eigenkomposition.
Thomas Scheytt verbinde als einer der besten zeitgenössischen Boogie- und Blues-Pianisten »hohes pianistisches Können mit einer unglaublichen, tief empfundenen Ausdrucksvielfalt« schrieb die Zeitschrift »Jazzforum«. Dem kann man sich vorbehaltlos anschließen, doch der so Gelobte hat neben Uptempo-Boogie und Blues-Balladen weitaus mehr zu bieten. »Karussell«, ein moderner Ragtime aus der Feder des Jazz-Pianisten und Komponisten Hans Jürgen Bock lebt von Scheytts stupender Technik, musikalische Details auszugestalten und mit rhythmischen Nuancierungen einen weiten Spannungsbogen zu formen.
Als Freund von Beziehungs- und Anspielungsreichtum verleiht er seinem Pianospiel eine besondere Note, wenn er Kontraste schärft wie in der Eigenkomposition »Flower Street-Express« (seinem Zuhause in der Freiburger Blumenstraße gewidmet): harter Diskant und stark betonter Bass, spannungsfördernd zelebriert. Tosender, anhaltender Beifall des Publikums.
Der Interpret als Melodienzauberer
Nach einer viertelstündigen Pause, bedingt durch die schweißtreibende Temperatur in der mit rund 200 Personen besetzten Kirche, ließ es der Künstler zunächst ruhig angehen. »Georgia on my mind«, einst vom Godfather of Soul Ray Charles zum Welthit gemacht, hat in Scheytts Klavierarrangement einen samtenen Touch, erzeugte jedoch dank kraftvoller Motorik bald einen elektrisierenden Sog.
Diesen verstärkte es beim »Boogie Stomp«, einem absoluten Klassiker des Genres, bei dessen Darbietung in der Carnegie Hall New York anno 1942 die begeisterten Zuhörer der Legende nach auf die Kronleuchter gesprungen sind. Eben noch über die Tasten gebeugt und in sich ruhend, gibt Scheytt mit dem rechten Fuß den Takt vor, hämmert einen famosen Lauf in die Tasten und der ganze Körper vibriert im Boogie-Rhythmus. Da wird Musik zur sprudelnden Energiequelle und ihr Interpret zum Melodienzauberer, hin- und mitreißend, als fahre Feuer durch die Fingerspitzen in die Tasten.
Standing Ovations vom Publikum, ein nicht enden wollender Jubel. Bescheiden dankte der sympathische Musiker, lobte ausdrücklich die »wunderbare Konzertatmosphäre« in der evangelischen Kirche. Man nimmt es ihm ab, wenn er bekennt, wie sehr er den direkten Kontakt zum Publikum schätzt, hatte er doch zu Beginn des Konzerts augenzwinkernd ein Stück mit dem Titel »Ein Sommerabend in Zell am Harmersbach« betitelt.
Bei der Zugabe »Put your hand in the hand« klatschten alle aus Leibeskräften mit und summten die Melodie, während Scheytts intensiv-glühender Klavierton durch den Raum flirrte und seine Zuhörer restlos beglückte.