»Jährlich rund 31.500 Kinder werden wegen thermischer Verletzungen ärztlich behandelt«. Mit dieser erschreckenden Zahl eröffnete Alexandra Stelzer, Oberärztin an der Kinderklinik des Ortenau-Klinikums Offenburg, ihren Fortbildungs-Vortrags beim Zeller Ortsverein des Deutschen Roten Kreuzes.
Da ist – typischerweise – die dreijährige Lisa. Am Sonntagmorgen will die Familie zusammen frühstücken. Während der Vater telefoniert und die Mutter noch schnell die Butter aus der Küche holt, greift Lisa nach einer Tasse mit frisch aufgebrühtem Tee…
Bis zu 30 Prozent der Körperoberfläche eines Kleinkindes können auf diese Weise verbrüht werden, »das braucht keine Riesenmengen«, mahnt Alexandra Stelzer. Eine erschreckende Zahl von pro Jahr 6.000 Kindern muss wegen Verbrühungen oder Verbrennungen stationär behandelt werden, davon 1.500 in Spezialkliniken.
»Thermische Verletzungen entstehen, wenn die Haut Temperaturen ausgesetzt ist, die die Regulationsfähigkeit der Haut überfordern«, erklärt die 43-Jährige, »das führt zu einer Gewebeschädigung, die größer oder kleiner sein kann.« Meistens, das heißt in etwa 65 Prozent der Fälle, entstehen diese Verletzungen durch heiße Flüssigkeit, also durch Verbrühungen.
An zweithäufigster Stelle stehen Verbrennungen durch heiße Flächen, Strom oder Feuer. Wie bei dem 15 Monate alten Jonas. Der hat gerade laufen gelernt und ist sehr interessiert an seiner Umgebung. Weil die Mutter wieder arbeitet, ist er bei den Großeltern zu Besuch. Dort steht ein Kachelofen, der bei fallenden Außentemperaturen zum ersten Mal in diesem Jahr befeuert wird …
Und da ist Till, der 16-Jährige, der zum ersten Mal Silvester bei Freunden feiert, ohne die Eltern. Kracher werden gezündet, Raketen gestartet. Bis ein Kracher nicht zu zünden scheint und Till diesen erneut anzünden will… Doch bei Weitem nicht nur von glühend Heißem geht Gefahr aus. Schon ab 52 Grad Celsius schädigen heiße Flüssigkeiten und Gegenstände die Haut – Vorsicht also auch bei heißen Kirschkernsäckchen für Babys!
Sehr selten dagegen – gerade bei Kindern – sind Verbrennungen oder Verätzungen durch Chemikalien. Und: »Was ich Gottseidank noch nie gesehen habe und auch nicht sehen möchte, sind Verletzungen durch radioaktive Strahlen«, berichtet die promovierte Ärztin aus ihrem Berufsleben.
Verbrennungstiefe und -ausdehnung
Die Bilder, die sie von verbrühten oder brandverletzten Kindern zeigt, sind verstörend genug. Wichtig für die Einschätzung der Verletzungsschwere sind zum einen die – vom Laien oft genug unterschätzte – Verbrennungstiefe, zum anderen die Verbrennungsausdehnung. Letztere misst man in Prozent der Körperoberfläche, erstere in Verbrennungsgraden.
Bei Grad eins ist nur die oberste Hautschicht, die sogenannte Epidermis betroffen. Der von Blasenbildung begleitete Grad zwei wird in »a« und »b« unterteilt, hier sind die Leder- beziehungsweise die darunterliegende Unterhaut in Mitleidenschaft gezogen. Beim Verbrennungsgrad drei sind auch Muskeln, Sehnen und Faszien zerstört, »bei einer solchen Verbrennungstiefe spürt der Patient keine Schmerzen mehr«, weiß die Expertin.
Und sie mahnt: »Denken Sie nie: Mir/uns kann das nicht passieren!« Mit allem Nachdruck lenkt sie daher die Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer auf grundlegende Maßnahmen, um Verbrühungen zu verhindern. »Lassen Sie keine Kabel herunterhängen«, erklärt sie zur Handhabung von beispielsweise Wasserkochern. Auch darf man niemals heiße Flüssigkeiten in der Reichweite eines Kindes abstellen – und nichts Heißes trinken, wenn man ein Kind auf dem Schoß hat. Und zum Inhalieren sollte man nur geschlossene, standfeste Geräte benutzen.
Einfachste Regeln beherzigen
Um Verbrennungen zu vermeiden, sollte man Kinder stets von Kaminöfen und Backofentüren fernhalten. Auch gilt es, auf der hinteren Herdplatte zu kochen sowie das Kochfeld mit einem Herdschutzgitter abzusichern. »Schalten Sie das Bügeleisen aus und achten Sie auch hier auf herabhängende Kabel«, listet Alexandra Stelzer weitere Alltagstücken im Haushalt auf. Und natürlich darf man Kinder niemals – unter welchen Umständen auch immer – mit offenem Feuer oder Kerzen alleine lassen.
Was aber tun, wenn ein Unglück passiert ist? Wenn ein Kind gar brennt? »Auf den Boden legen, rollen, was drauflegen, um die Flammen zu ersticken«, rät die Ärztin. Von heißem Tee durchnässte Kleidung: Sofort ausziehen. Falls etwas – wie Plastik – in die Haut eingebrannt ist: Belassen, also keinesfalls herunterreißen.
Bloß keine »Hausmittel«!
Die verbrannte Stelle optimalerweise mit Lauwarmem kühlen – maximal für fünf bis zehn Minuten – und Schmerzmittel verabreichen. Von vermeintlichen Hausmitteln wie Mehl oder Zahnpasta rät Alexandra Stelzer dringend ab. Vor allem Menthol-Zahnpasta sei in solchen Fällen beliebt, »das müssen wir – für’s Kind sehr schmerzhaft und für uns sehr mühsam – wieder runterrubbeln.« Vielmehr deckt man die verletzte Stelle mit einem sauberen, im besten Falle sterilen Tuch ab. Dann den Rettungsdienst, den Notarzt oder den Kinderarzt informieren.
Verbrennungen der Grade 1 und 2a werden konservativ behandelt und heilen in der Regel narbenfrei ab, wobei in der Nachbehandlungsphase absoluter Sonnenschutz erforderlich ist. Bei den Graden 2b und 3 hingegen sind Operationen unumgänglich. Generell gilt: neben der fach- und kindgerechten Behandlung muss eine physisch, psychisch und schmerzbedingte Traumatisierung vermieden werden.
Nicht weniger erschreckend als die Zahl der Unfälle ist jene der nicht akzidentellen thermischen Verletzungen: 1,5 bis 10 Prozent der Verbrennungen und Verbrühungen bei Kindern sind auf Misshandlungen zurückzuführen. Entsprechend hellhörig werden Ärzte, wenn der behauptete Geschehensablauf nicht plausibel für den vorliegenden Verletzungsbefund ist. Oder wenn das Verletzungsmuster beziehungsweise die Verletzungslokalisation untypisch sind, womöglich auch ältere Verbrennungsnarben vorliegen.
Infomaterial
Beim Paulinchen e.V. kann unter www.paulinchen.de oder per E-Mail unter info@paulinchen.de folgendes Material zu Verbrennungen und Verbrühungen im Kindesalter kostenfrei bestellt werden: Präventionsbroschüre, Flyer, Plakate, Kampagnen und Anzeigen, Präventionsspots.