Schaut man in die Annalen der »Zeller Sommermusiken«, dann stellt man fest, dass es kein Konzert für Soloharfe in der evangelischen Kirche gegeben hat. Sicherlich ein Teilaspekt für den besucherstarken Auftakt der seit Jahren beliebten Konzertreihe am vergangenen Mittwoch.
Der wahre Grund ist eher im Namen der Künstlerin des Abends zu suchen, denn die Harfenistin Nadia Birkenstock wird in den Konzertsälen rund um den Globus gefeiert.
Bereits der musikalische Auftakt in der vollbesetzten Kirche überraschte: Die kleine keltische Harfe am Schultergurt vor dem Körper tragend, bewegte sich die Musikerin von der Saalpforte durch den Mittelgang an den Zuhörerreihen entlang nach vorne zum Altar, während die bezaubernde Melodie einer irischen Weise durch den Raum erklang.
Sie liebe die Bewegungen, gerade in der Musik, sagte Nadia Birkenstock an das Publikum gerichtet. Sie fühle sich nicht als »Immobilie« hinter einem Instrument, an dem man sich ohnehin kaum bewegen könne. Ihre »Philosophie«, die sich bewusst absetzt von der Kultur des bürgerlichen Salons früherer Jahrhunderte, als die Harfe mit dem Weiblichen konnotiert wurde, offenbart sich sowohl in der Liedauswahl als auch in der Spielweise der Solistin.
Es sind vorwiegend Instrumentalstücke und Songs mit irisch-schottischer Tradition, die zwischen Melancholie und Leidenschaft changieren und von Liebe und Leid und vom Leben allgemein erzählen. Und die den einzelnen Zuhörer auf Anhieb zu berühren vermögen. Großartig Birkenstocks Spiel auch auf der größeren irischen Harfe: Immer ein Lächeln auf den Lippen, mit scheinbarer Leichtigkeit zupft, streicht, schlägt sie die Saiten ihres Instruments, erzeugt mit präzisem Anschlag etwa der tiefsten Saiten einen Rhythmus, den sie geschickt variiert und über dem die perlenden Töne in hoher Lage eine bezaubernde Melodie entstehen lassen. Diese Art zu spielen machte »The Ghost within« und »The Musical Priest« zu einem Hörerlebnis. Vom Publikum gab es dafür reichen Beifall.
Eigenkompositionen und sakrale Musik
Die Harfe erkunden ist das Credo der Künstlerin, auch beim Komponieren. Das macht Nadia Birkenstock nach eigenem Bekunden gerne bei Spaziergängen im Wald, beim Gehen über die Wege, wo man sich ganz der Bewegung hingeben kann, gemächlich oder beschwingt, sogar tänzerisch. Das kommt in den Eigenkompositionen deutlich zum Ausdruck, etwa bei »Der Weg durchs Moor« oder dem französisch angehauchten »La danse de la vigne«.
Während die virtuosen Arpeggien glasklar durch den Kirchensaal drangen, ging Birkenstocks Gesang trotz Mikrophon stellenweise etwas unter. Vielleicht wäre eine Headsetverstärkung an diesem Abend vorteilhafter gewesen. Gleichwohl begünstigte die Akustik im sechseckigen Kirchensaal den Harfenklang. Allein die hohe Luftfeuchtigkeit erforderte ein mehrfaches Nachstimmen beider Instrumente. Das Publikum nahm’s mit großem Verständnis hin, denn niemand hätte den makellosen, sinnlichen Ton missen wollen, der auch die Interpretation der sakralen Werke auszeichnete, wie bei dem vertonten Psalm aus dem Jahr 1632, dessen Harmonien an die Musik eines John Dowland erinnern.
Auch der Humor kam nicht zu kurz. Mit einem Augenzwinkern sang Nadia Birkenstock vom vermeintlichen Seelenschmerz eines verlassenen Verliebten, der die Angebetete sowohl in England als auch auf dem Kontinent sucht, was für einen angestammten Iren schier unmöglich ist. Das Harfenspiel setzte Akzente mit dynamischen Akkorden und einem herrlichen Glissando.
Tosender Schlussapplaus, der in ein rhythmisches Klatschen überging: Ohne Zugabe wollte das Publikum die Musikerin nicht gehen lassen. Eine sichtlich erfreute Nadia Birkenstock dankte mit freundlichen Worten, griff noch einmal nach der Harfe und spielte eine sakrale italienische Weise.
Kirchengemeinderätin Solveigh Petersen überreichte der Künstlerin als Zeichen der Anerkennung eine weiße Rose. Des Weiteren kündigte sie das zweite Konzert der »Sommermusik« am 20. Juni an. Die Messlatte dafür liegt nach dem Harfenrecital sehr hoch.





