„Kinder nie, nie, nie am Wasser unbeaufsichtigt lassen!“ Mit dieser Mahnung wirkte die Ärztin Anna Niederberger bei einer Fortbildungsveranstaltung des Zeller Deutschen Roten Kreuzes eindringlich auf ihre Zuhörer ein.


„Badeunfälle passieren immer wieder“, erklärt Anna Niederberger den Anlass für die Vortragsveranstaltung im Zeller DRK-Heim. „Man muss nur die Zeitung aufschlagen, dann liest man, was alles passieren kann.“ Und zwar nicht nur am Meer, im Schwimmbad, an einem Teich oder im Planschbecken. „Ein Baby kann in einer Pfütze in der Badewanne ertrinken“, macht die promovierte Internistin deutlich.
Im Unterschied zum harmlosen Wasserverschlucken bedeutet Ertrinken, dass Wasser eingeatmet wird. In einem Schutzreflex kommt es dadurch zu einem Krampf der Stimmritze und damit zu deren Verschluss – der Weg von außen in die Lunge ist versperrt. Wenn sich der Reflex nicht schnell löst, kann jedoch auch keine Luft mehr in die Lunge kommen. Der Sauerstoffmangel schließlich führt zu einer Lösung des Krampfes im Kehlkopf. Wasser und eventuell durch den Schreck Erbrochenes kann nun in größerer Menge in die Lunge eindringen. Ein sich aufschaukelnder Teufelskreis, der für Bewusstlosigkeit und eventuell den Tod sorgt.
Schon wenn ein kleines Kind nur kurz mit dem Kopf unter Wasser kommt, können Kälte, Reiz und Erschrecken besagten Stimmritzenkrampf mit seinen Folgen verursachen. Wenn das Kind diesen überlebt, so drohen Hirnschäden aufgrund der Unterversorgung mit Sauerstoff. Überdies verursacht Süßwasser noch größere Lungenschäden als Salzwasser. Denn wenn Süßwasser eingeatmet wird, fällt zusätzlich der Oberflächenschutzfaktor der Bronchien weg. „Dadurch kann ein Teil der Lunge zusammenschnurren, es kann kein Sauerstoff mehr passieren“, erklärt Anna Niederberger anhand eines Röntgenbildes. Beim Einatmen von Wasser sorgen also verschiedene Faktoren dafür, dass die Sauerstoffzufuhr des Körpers sehr schnell unterbrochen wird, „das macht die Geschichte so gefährlich.“
Hinzu kommt: „Ein Kind, das keine Luft zum Schnaufen hat, kann auch nicht schreien.“ Das bedeutet: Kinder ertrinken still, ohne Abwehr. Man merkt es nicht. „Ich wünsche keinem von uns, dass er so etwas einmal erlebt.“ Jugendliche und Erwachsene hingegen schlagen wild um sich. Sie kämpfen panisch, um den Mund über Wasser zu halten, es sei denn, sie haben eine Herzrhythmus-Störung respektive einen Herzinfarkt oder ein Krampfleiden (Epilepsie), sie befinden sich im Alkohol- oder Drogenrausch, oder erleiden bei einem Kopfsprung in flaches Wasser eine Kopfverletzung beispielsweise in Form einer Hirnblutung.
Zusätzliche Gefahr durch sekundäres Ertrinken
„Ganz wichtig ist auch das Wissen um das sogenannte sekundäre Ertrinken“, warnt die Ärztin. Nach dem Untertauchen ins Wasser scheint das Kind zunächst einmal unauffällig. Stunden oder gar erst einen Tag später aber wird es unruhig, hustet und atmet plötzlich schneller, gibt Schmerzen im Brustkorb oder im Bereich der Schultern an, bekommt vielleicht Durchfall oder Erbrechen, wird lethargisch oder zeigt eine unüblich starke Müdigkeit, bekommt Fieber, zeigt ungewöhnliches Verhalten womöglich in Form von Aggression. „Bei solchen Anzeichen muss das Kind – bitte, bitte! – sofort beim Kinderarzt oder in der Klinik vorgestellt werden“, warnt Anna Niederberger mit allem Nachdruck. Denn noch Stunden später kann das in die Lungen eingedrungene Wasser schwere Komplikationen auslösen. Extrem selten hingegen ist das „trockene Ertrinken“: Auch hier kommt der Kopf des Kindes unter Wasser, doch es atmet kein Wasser ein. Dennoch verschließen sich die Stimmritzen durch einen Reflex, die Atmung ist blockiert und der Körper gerät durch plötzlich akuten Sauerstoffmangel in eine Notsituation.
Frühzeitig schwimmen lernen
Angesichts von rund 400 Badetoten im Jahr 2017 zeigt sich die Referentin entsetzt von dem Umstand, dass in Deutschland 40 Prozent der Kinder unter 10 Jahren nicht schwimmen können. „Das ist eine katastrophale Zahl“, wettert sie, nach Schätzungen des DLRG hat jede vierte Grundschule keinen Zugang zu einem Schwimmbad. „Kinder sollten sobald wie möglich schwimmen lernen“, fordert die Ärztin, „das geht schon ab vier Jahren.“ Dabei gilt es, auf gute Schwimmhilfen zu achten. Keinesfalls geeignet sind Luftmatratzen und Schwimmtiere. Und Achtung: Auch ein Kind, das das Seepferdchen-Abzeichen gemacht hat und die Baderegeln kennt, kann noch nicht sicher schwimmen. Dafür ist vielmehr das Jugendschwimmabzeichen in Bronze nötig. Aber auch auf gute Schwimmer lauern Gefahren, wenn sie sich nicht an Sicherheitsregeln halten.
Unbedingt Erste-Hilfe-Wissen auffrischen
„Frischen Sie unbedingt Ihre Erste-Hilfe-Kenntnisse in einem entsprechenden Kurs auf“, fordert Anna Niederberger die Zuhörer auf, um im Ernstfall Leben retten zu können. Und sie mahnt: Hat man ein ertrinkendes Kind aus der Gefahrenzone gebracht, „halten Sie es bloß nicht kopfüber an den Füßen und schwenken es hin und her oder weiß der Himmel was.“ Verdeutlichen soll dieses drastische Bild den Umstand, dass ein Ersthelfer keinesfalls Maßnahmen ergreifen darf, um Wasser aus der Lunge zu bringen. Ist das Kind bei Bewusstsein, zieht man ihm die nasse Kleidung aus und wickelt es, der grundsätzlich vorhandenen und stets hoch gefährlichen Unterkühlung wegen, in eine warme Decke und ruft den Notruf 112 an. Ist das Kind bewusstlos, sind Atmung und Herzschlag zu überprüfen. Atmet das Kind, verbringt man es in die stabile Seitenlage. Atmet es nicht, muss sofort mit der Reanimation begonnen und diese der Unterkühlung wegen länger als gewöhnlich durchgeführt werden.
Sich als Retter nicht selbst in Gefahr bringen
Schließlich weist die Ärztin noch darauf hin, dass man sich bei der Rettung eines Ertrinkenden keinesfalls selbst in Gefahr bringen darf, „sonst gibt es am Ende zwei Ertrunkene!“. Zu beachten ist auch, dass ein ertrinkender Erwachsener übermäßige Kräfte zu entwickeln vermag, die den Retter selbst in Lebensgefahr bringen können. Wenn irgend möglich sollte bei der Rettung daher Körperkontakt vermieden werden. „Verwenden Sie Hilfsmittel“, mahnt Anna Niederberger. „Rettungsring oder Rettungsleine, oder nehmen Sie einen Holzstab oder einen anderen Gegenstand.“
Badeunfälle
Seit den 1950ern ist die Zahl der Badetoten (damals über 2.000 pro Jahr) hierzulande zwar erheblich gesunken. Doch noch immer waren es 404 Menschen, die im letzten Jahr ertranken. Die Hälfte von ihnen ab 50 Jahre und älter. 20 Prozent der Opfer durch Ertrinken sind jünger als fünf Jahre. Im Alter bis zwei Jahren ertrinken sie meist in der Badewanne, im Alter von ein bis drei Jahren oft im Gartenteich, im Alter von zwei bis sechs Jahren in offenen Gewässern oder im Schwimmbad.