Weil der traditionelle Reformationstag am 31. Oktober in diesem Jahr einmalig zum staatlichen Feiertag erklärt wurde, bot sich die Gelegenheit zu einem großen Gottesdienst. 120 Sängerinnen und Sänger aus Kirchenchören und dem Männergesangverein Liederkranz bildeten einen gemeinsamen Chor. Die Zeller Stadtkapelle bereicherte die Stimmung mit einer Reihe eindrucksvoller Stücke. Spielmannszug, Bürgerwehr und Trachtenfrauen begleiteten die Pfarrer und Kirchenvertreter beider Konfessionen vom Rathaus zum Gottesdienst in der Ritter-von-Buß-Halle.
Gleich zwei Predigten erwarteten die Besucher beim Gottesdienst am Dienstagmorgen. Bonaventura Gerner, kath. Pfarrer der Seelsorgeeinheit Zell a. H., bedankte sich für die Einladung, bei einem evangelischen Jubiläum das Wort ergreifen zu dürfen. Er lehnte sich an ein Wort, das der Bischof und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) zum Reformationsjubiläum gesagt hatte: »Heute können wir das, worum es Martin Luther ging, nämlich Christus neu entdecken, nicht mehr gegen einander tun. Es gibt keinen katholischen und keinen evangelischen Christus, sondern nur den einen Herrn Jesus Christus.«
Die Ökumene sei keine Leerformel, sondern trage am Ort einige Früchte, die inzwischen alltäglich geworden seien, fuhr Pfarrer Gerner fort. Er nannte dabei die gemeinsame Feier am Buß- und Bettag, die Kindersegnung am Neujahrstag, die gemeinsamen Schuleröffnungs- und Schulschlussgottesdienste, die gemeinsamen Trauungen, die öffentlichen Segnungen und Einweihungen und etwa
auch die gemeinsame Verantwortung für die Sozialstation »St. Raphael«. Die ältere Generation wisse, dass dieses Zusammenwirken in früherer Zeit undenkbar gewesen sei. Auf dem eingeschlagenen Weg gelte es fortzufahren. Beim Jubiläum sei zu fragen, zu welchem weiteren Schritt es motiviere.
Gleichnis vom Weinstock
Pfarrer Reinhard Monninger legte bei seiner Predigt das Wort Jesu vom Weinstock zugrunde: »Ich bin der Weinstock, ihr seid die Rebzweige.« In der Vergangenheit hätten sich die konfessionellen Rebzweige angemaßt, festzulegen, wer zum Weinstock Jesu Christ gehöre und wer nicht. Im Evangelium aber ist es der Vater im Himmel, der den Rebstock beschneidet, damit er Früchte trägt.
Die Christenheit solle dankbar sein für die Reformatoren, Luther, Zwingli und Calvin. Sie waren »Werkzeuge des himmlischen Vaters«, aber deswegen keineswegs vollkommen. Sie waren auch Kinder ihrer Zeit, die sich in manchem geirrt, aber immer wieder auf Jesus Christus als der Mitte des Glaubens hingewiesen haben. Ihnen verdanken wir die Wertschätzung der Heiligen Schrift als Quelle des Glaubens, die Betonung der Gnade vor der Leistung.
Aus Anlass des Gottesdienstes hatte Pfarrer Monninger aus dem Pfarrgarten einen Weinstock ausgegraben und damit das Altarkreuz in der Halle geschmückt. Darüber hinaus hatte Siegfried Lehmann aus Unterentersbach für den Gottesdienst kleine Holz-Scheiben aus einem alten Rebstock geschnitten. Sie wurden den Besuchern als »Jesus-Anhänger« angeboten. Im Gottesdienst legten sich die beiden Geistlichen gegenseitig den Anhänger um den Hals, zum Zeichen, dass sie sich gegenseitig als »Arbeiter in Gottes Weinberg« schätzen.
Mauerfall zwischen Konfessionen
Bei den Fürbitten wurde auch der Wunsch vorgetragen, dass beide Konfessionen eines Tages gemeinsam das Abendmahl feiern. In seiner Predigt hatte Pfarrer Gerner empfohlen, die Erwartungen nicht zu hoch zu hängen. »Wir können zwar die Verfasstheit der Kirche, die Ämterstruktur, das Sakramentenverständnis oder auch die Abendmahlslehre hier nicht überwinden«, aber dennoch ein Zeichen der Verbundenheit setzen.
Wiederholt wurde in den Gebeten die »Einheit in der Verschiedenheit« als Wegziel ausgemacht. »Bewege das, was unbeweglich ist, die trennenden Schranken, die hohen Mauern, die harten Herzen, die Gegebenheiten, die eine Versöhnung verhindern« lautete eine der Fürbitten. Sie galt zwar vorrangig dem Frieden unter den Völkern, erinnerte aber auch an den notwendigen Frieden zwischen Konfessionen und Religionen.
Einheit in Vielfalt
Beim Chorgesang haben sich gleich zehn verschiedene Gemeinschaften unter Leitung von Wolfram Dreher vereinigt: Der Männergesangverein »Liederkranz«, die kath. Kirchenchöre von Zell, Biberach, Prinzbach und Oberharmersbach, der ev. Kirchenchor, der Joy & Fun Chorus, der ökumenische Singkreis Fermate, das Lobpreisteam und die Taizé-Singgruppe. U.a. wurden das Lied »Komm, Heiliger Geist, der Leben schafft« und das Chorstück von Heinrich Schütz »Lobt Gott in seinem Heiligtum« mehrstimmig vorgetragen.
Markus Staiger am E-Piano begleitete den Gemeindegesang. Das triumphale Gemeindelied »Großer Gott wir loben dich« wurde prachtvoll von vier Bläsern der Stadtkapelle eingeleitet. Dabei überlagerten die Chöre den Gesang der Gemeinde zu einem eindrucksvollen Klangbild. Die Stadtkapelle hatte zur Eröffnung einen überraschend schwungvollen Marsch gespielt, im späteren Verlauf »Heal the World« von Michael Jackson und »We are sailing« von Rod Stewart präsentiert. Beim letzten Titel »I will follow him« aus Sister Act sprang die Stimmung auf die Besucher über, die begeistert den Rhythmus mitklatschten.
Am Ende des Gottesdienstes wünschte Bürgermeister Günter Pfundstein in einem Grußwort den beiden Konfessionen weiterhin ein gutes Miteinander. Danach paradierte die Zeller Bürgerwehr auf dem Vorplatz, begleitet von Fahnenabordnungen der Bürgerwehren von Unter- und Oberharmersbach, und feuerte eine Salve zu Ehren der Kirchenvertreter und Gottesdienstbesucher ab. Daran schloss sich in der Halle ein zwangloser Stehempfang an, der von vielen Besuchern für die Begegnung und das Gespräch genutzt wurde.