„Das Beste am Norden…“

Bad Segeberg im nördlichsten Bundesland ist für seine Karl-May-Festspiele bekannt. Seit Kurzem hat die Stadt ein weiteres Aushängeschild: die neue Orgel aus der Oberharmersbacher Orgelbauwerkstatt Winterhalter.

 

Fachkreise zollen dem Instrument uneingeschränktes Lob, das sich aus berufenem Mund bis zum „Besten am Norden“ steigern lässt.

Eine neue Orgel für die Marienkirche

Nach mehreren Umbauten und ständigen Reparaturen war die alte Orgel kaum noch spielbar – ein unhaltbarer Zustand für den hohen Anspruch an die Kirchenmusik in der über 900 Jahre alten evangelisch-lutherischen Marienkirche, eine der ältesten unter den berühmten Backsteinkirchen Schleswig-Holsteins.

Der 2015 für einen Orgelneubau gegründete Förderverein entschied sich nach einer europaweiten Ausschreibung für Winterhalter. „Seine Orgeln haben das, was sich ein Kirchenmusiker wünscht“, fasste Kirchenmusikdirektor Andreas Maurer-Büntjen das übereinstimmende Urteil zusammen. Sie sei das, was eine „Stradivari für den Geiger“ sei, legte er schwärmerisch nach. Das Wettbewerbsangebot der bekannten Schwarzwälder „Orgelschmiede“ erhielt in allen Bereichen hohe Bewertungen. Besonderes Lob gab es für das zeitgenössische Prospektbild, bei dem eine aus dem Raumraster abgeleitete Höhenstaffelung mit den Halbtonschritten B-A-C-H eine sinnhafte Würdigung des größten Orgelkomponisten aller Zeiten darstellt.

Handwerk aus dem Schwarzwald

Die Oberharmersbacher Orgelbauwerkstatt hat mit der neuen Orgel von Bad Segeberg eine ideale Symbiose aus nachhaltiger Tradition und innovativen Konzeptionen geschaffen. Sie entspricht nach dem Urteil der Fachleute höchsten handwerklichen und musikalischen Standards.

Nahezu fünf Monate dauerte der Aufbau der neuen Orgel in der Marienkirche. Sie wurde im Mai eingeweiht – zum 70. Jahrestag der Werkstattgründung durch Franz Winterhalter. Die Bauleitung hatte Orgelbaumeister Jörg Backeberg, der in dieser Zeit mit seinem Team mehrere zehntausend Teile – wie schon in der heimischen Werkstatt – vor Ort wieder aufbaute: rund elf Tonnen „Orgel“ auf knapp 25 Quadratmetern. „Im verborgenen Innenleben einer großen Orgel gibt es einen über Jahrhunderte gewachsenen, funktionalen und klanglichen Kosmos, der in seiner Art mit nichts zu vergleichen ist“, erklärt Claudius Winterhalter den Aufbau seiner Instrumente, mit denen er immer wieder zu überzeugen weiß.

Technische Finesse und klangliche Vielfalt

Das Klangwerk der neuen Bad Segeberger Orgel zählt 50 Register auf drei Manualen und Pedal. Ein Großteil der 3.278 Pfeifen besteht aus einer speziellen Metalllegierung mit Zinn und Blei. Die Holzpfeifen wurden aus Fichte oder – je nach benötigter Klangfarbe – aus Eiche oder Obstholz (Kirsche oder Birne) gefertigt.

Die fein austarierten mechanischen Trakturen sorgen für eine differenzierte Spielart. Moderne elektronische Registerschaltungen ermöglichen zudem ein effizientes Speichern und Abrufen von bis zu 10.000 Klangkombinationen. Hinzu kommen verschiedene Anschlüsse für moderne Medien und ein Touchscreen für die elektronische Setzeranlage. Die Tasten der Manualklaviaturen sind beheizbar, ebenso die Pedalklaviatur.

Klang entsteht vor Ort

Für das Klangbild und dessen Wirkung im Raum ist Intonateur Kilian Gottwald verantwortlich. Um ein bestmögliches Ergebnis zu erhalten, wird die Orgel weitestgehend in der Kirche intoniert. „Meine Intuition lässt sozusagen den Klang aus sich selbst entstehen“, beschreibt Gottwald seine Aufgabe vor Ort.

Ein optisches Meisterwerk

Aufgrund der frei im Raum stehenden Brückenempore bekam die neue Orgel auch einen teilweise aus Lichtbändern gestalteten Rückprospekt. Beim Betreten der Kirche durch das Hauptportal ist direkt diese ungewöhnliche Rückansicht der Winterhalter-Orgel zu sehen.

Die Hauptschauseite wird bestimmt durch vier schlank aufragende Pfeiler aus jeweils drei Pfeifen der tiefen Oktave des 16-Fuß-Principals – jede um die 60 Kilogramm schwer. Überragt werden die Pfeiler von vier großen „Schallsegeln“ aus Glas mit Goldeinschmelzungen, die wiederum mit dem mittelalterlichen, reich vergoldeten Hochaltar korrespondieren. Abgerundet wird das Kirchenkunstwerk durch eine vornehme farbliche Fassung des Haslacher Künstlers Frieder Haser sowie fein dosierte Lichtquellen für die An- und Ausleuchtung des Instruments.

Große Unterstützung für ein großes Projekt

Die Finanzierung des Projekts wurde von Ministerpräsident Daniel Günther und seiner Landesregierung über einen großzügigen Zuschuss aus europäischer Kulturförderung unterstützt. Zusammen mit einer Vielzahl von Pfeifenpatenschaften sowie etlichen Großspenden aus der Wirtschaft und von Privatleuten konnten die Gesamtkosten von 2,3 Millionen Euro für Orgel und Brückenempore aufgebracht werden.

Kultureller Glanzpunkt für die Region

Die Kirchengemeinde und die Stadt Bad Segeberg haben mit diesem musikalischen Projekt einen überregionalen Glanzpunkt geschaffen, der die Menschen über viele Generationen hinweg erfreuen wird. Organisten aus dem In- und Ausland – unter anderem Olivier Latry, Titularorganist der Pariser Kathedrale Notre-Dame – werden hier Konzerte geben. Auch Hochschulen haben bereits ihr Interesse angemeldet. Zudem wird die Orgel im Aufführungskanon des Schleswig-Holstein Musikfestivals zukünftig eine Rolle spielen.

So wird die Winterhalter-Orgel das kulturelle Leben in Stadt und Land bereichern – und sicher hätte Karl May, selbst auch ausgebildeter Organist und Komponist, gerne auf dieser Orgel gespielt.

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