»Als meine Mutter vor rund 28 Jahren mit dem Kerzenmachen anfing«, erzählt Bettina Lehmann, »hatten wir eine kleine Imkerei, deshalb nahm sie Bienenwachs«. Dessen Menge reichte bald jedoch nicht mehr, »so landete ein Gemisch aus Paraffin und Stearin in unseren Töpfen«, schmunzelt die 38-Jährige.
Auf der Heizplatte steht ein spezieller Schmelztopf, dessen doppelte Wände mit heißem Wasser gefüllt sind. Prüfend wirft Bettina Lehmann einen Blick hinein, das Wachs im Topf ist bereits flüssig.
Wird es mit einer Temperatur von 80 Grad Celsius in die bereitstehenden Formen gegossen, ist das Ergebnis eine glänzend glatte Kerze. Eine wie Raureif wirkende feine Struktur hingegen entsteht an deren Oberfläche, wenn das Wachs ein wenig kälter eingegossen wird, bei 70 Grad.
Ein Thermometer benötigt Bettina Lehmann dazu nicht, »nach all den Jahren habe ich das im Gefühl, ich bin von Anfang an immer beim Kerzenmachen dabei gewesen.« Während Mutter Ursula sich heutzutage in erster Linie dem von ihr so geliebten Verzieren der wächsernen Gebilde widmet, obliegt der Tochter das Gießen.
Die gelernte Erzieherin, die in der Jugendhilfe tätig und Mutter einen kleinen Tochter ist sowie berufsbegleitend Musikpädagogik studiert, erinnert sich: »Anfangs hatten wir rund 70 Formen. Damit wir uns nicht verzetteln, nutzen wir viele von denen inzwischen nicht mehr.« Teils selbst hergestellt – unter anderem auch vom Vater –, bestehen sie überwiegend aus Silikonkautschuk, weil sich das Wachs von diesem sehr gut löst. Meist sind die Formen an der Seite zu öffnen, werden für den Guss mit Gummibändern zusammengehalten.
Der richtige Docht
»Funzel« wurde die Werkstatt, die inzwischen rein als Hobby betrieben wird, dereinst mit einem Augenzwinkern getauft. Doch damit die Kerzen eben keine »Funzeln« darstellen, also schlecht brennen, muss der Docht bestmöglich auf die Form und das Volumen abgestimmt sein. Auch, damit möglichst viel von der Kerze verbrannt wird. Bei den derzeit angesagten Stumpenkerzen ist das weniger ein Problem.
Schwierig hingegen wird es bei Schmuckkerzen, bei also beispielsweise pyramidenförmigen oder eckigen Gebilden oder »kniffligen« Figuren. Viele der in der Funzel auch auf individuellen Wunsch hin entstehenden Kerzen werden jedoch gar nicht abgebrannt, sondern dienen als dauerhafte Schmuckstücke – wie zum Beispiel Kerzen zur Hochzeit, Geburtstag oder Taufe, aber auch Trauerkerzen.
So oder so: Zum A und O beim Kerzengießen gehört es, den Docht beim Gießen exakt mittig zu platzieren. Das erfolgt in der »Funzel« mittels Trick 17: Bettina Lehmann befestigt den geflochtenen Baumwollfaden an einer Rouladennadel und legt diese quer über die Öffnung der Form.
Vor dem Gießen jedoch wird das geschmolzene Grundwachs noch gefärbt. »Das machen wir grundsätzlich selbst«, ist Bettina Lehmann wichtig, wobei sie das Benötigte zunächst aus den Grundfarben Blau, Gelb und Rot mischt, beziehungsweise sie löst die Farben bei 95 Grad Celsius im Grundwachs auf und gießt daraus auf Vorrat kleine Wachsplatten. An denen kann sie sich beim Herstellen der Kerzen dann je nach Bedarf bedienen, sie portionsweise schmelzen.
Wachs aus Raps und Soja
Allerdings: Beim Mischen den gewünschten Farbton zu erhalten, ist gar nicht so einfach. Deswegen gehört das Farbenmischen nicht zu ihrer Lieblingsbeschäftigung, wie die in Oberharmersbach Aufgewachsene gesteht. »Wachsfarben sehen in flüssigem Zustand ganz anders als wenn sie ausgehärtet sind«, erklärt sie, »deswegen haben wir tausend kleine Platten mit gefärbtem Wachs hier liegen und tausend kleine Tiegel und Töpfle«, schmunzelt sie, »damit wir das Wachs aushärten lassen und die Farbe begutachten können«. Auch diverse Löffel dienen diesem Zweck.
Regelrecht auf Kriegsfuß gar steht sie mit dem aus nicht-künstlichen Farben ganz schwer zu mischenden »Weihnachtsrot«: »Das muss die Mutter immer anrühren, weil ich das einfach nicht hinkrieg«. Denn damit beim Abbrennen der Kerze keine giftigen Gase entstehen, werden in der kleinen Werkstatt biologische Farben und außerdem strikt keine Lacke verwendet, wie sie bei der industriellen Fertigung hingegen üblich sind.
Gesund geht es auch bei den Duftkerzen zu, kommen hier doch keine synthetischen Duftöle zum Einsatz, sondern ausschließlich natürliche, ätherische Öle. Und damit es sich bei Bettina Lehmanns Kerzen um durch und durch natürliche Produkte handelt, wird sie künftig das auf Erdöl basierende Paraffin durch aus Raps und Soja hergestelltes Wachs ersetzen, nach wie vor dann gemischt mit dem aus Palmöl gewonnenen Stearin.
Vollguss oder »Mosaik«
»Ein ganz kleiner Teil unserer Kerzen war auch bisher schon aus Raps- und Sojawachs«, so Bettina Lehmann, »aber das hatte sich nicht durchgesetzt.« Inzwischen haben sich die Zeiten jedoch geändert.
All die Jahre dagegen gleich geblieben ist ihre Freude am Kreieren, am Gießen der Kerzen, in der Regel jeden Samstag steht sie in der liebevoll eingerichteten Werkstatt. »Ich kreier’ mir meine Kerzen gern mit kleinen Stücken der gefärbten Wachsplatten. Ich hab’ die Form und weiß dann schon in etwa, was für eine Farbe es sein soll, wobei ich immer nach den Jahreszeiten arbeite, das heißt gelb und grün steht eben an.«
Bei der Kerze, die sie soeben machen möchte, weiß sie zunächst noch nicht, ob sie komplett grün wird. Auch ist sie sich noch nicht sicher, ob es ein Vollguss wird oder ob sie mit gefärbten Wachsstückchen arbeiten wird, die in der Kerze dann wie kleine Mosaikstücke wirken. »Aber sobald ich am Hantieren mit den Wachsplatten bin, flutscht es eigentlich. Dann weiß ich wie jetzt zum Beispiel, dass ich grüne Wachsstücke mit weißem Wachs aufgießen werde.«
Handwerk
Die Kerzenherstellung wurde früher als »Kerzenziehen« bezeichnet. Denn: Man tauchte den Docht in das flüssige Wachs, zog ihn heraus, tauchte ihn nach dem Erkalten erneut hinein. Dies wurde so oft wiederholt, bis die Kerze die gewünschte Stärke hatte. Rund drei Stunden dauerte es, auf diese Weise eine etwa zwei Zentimeter dicke Stabkerze herzustellen.
Bis etwa zum Ende des 19. Jahrhunderts waren die Kerzenzieher ein angesehener und vielbeschäftigter Berufsstand. Doch mit der Industrialisierung und der damit verbundenen Automatisierung der Herstellungsprozesse bis hin zum kostengünstigen Pressen statt Gießen der Kerzen verlor das Handwerk an Bedeutung.