Am Montag war Weltkindertag. Dies nahm die ehemalige Bundesfamilienministerin Christine Bergmann zum Anlass, gemeinsam mit dem SPD-Bundetagskandidaten Matthias Katsch die Gemeinde Oberharmersbach zu besuchen. Zusammen mit Bürgermeister Richard Weith und der Vorsitzenden Mathilde Zimmermann vom Verein S.T.A.R.K sprachen sie über die Möglichkeit, im Ort ein Präventionszentrum gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern aufzubauen.
»Ich freue mich, am Weltkindertag in einer Schwarzwaldgemeinde zu Gast zu sein, die sich stark für Kinderrechte engagiert«, sagte Christine Bergmann (SPD) nach ihrer Ankunft im Harmersbachtal. Gemeinsam mit Matthias Katsch besuchte die ehemalige Bundesfamilienministerin am Montag die Schwarzwald-Gemeinde Oberharmersbach. Dort hat ein katholischer Priester zwischen 1967 und 1991 über Generationen hinweg vermutlich rund hundert Kinder missbraucht. Bergmann und Katsch sind Mitglieder der unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs und informierten sich im Rathaus über den aktuellen Stand der Bewältigung dieser Missbrauchsfälle, denn noch immer ist die Gemeinde nicht zur Ruhe gekommen. Betroffene beklagen sich unter anderem über das mangelnde Engagement der zuständigen Erzdiözese Freiburg.
Als die Vorfälle 1991 kirchenintern bekannt wurden, hat der damalige Bischof den Priester vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Die Gemeinde zeichnete ihn zu dieser Gelegenheit sogar mit der Ehrenbürgerschaft aus. Als ein Betroffener 1995 Anzeige gegen den Geistlichen erstattete, nahm der sich das Leben. Entsprechend wurde von der Staatsanwaltschaft nicht weiter ermittelt. Die rund 2.500 Einwohner waren anschließend mit der Aufarbeitung der jahrzehntelangen Geschehnisse weitgehend allein gelassen. Mit S.T.A.R.K. e.V. gründete sich ein Selbsthilfeverein, den auch der aktuelle Bürgermeister Richard Weith unterstützt. Der Bischof habe ihm mitgeteilt, dass über das weitere Vorgehen »an der Basis« entschieden werde soll, sagte Weith. »Und vielleicht müssen wir jetzt einmal prüfen, ob der Pfarrer die Ehrenbürgerwürde noch immer besitzt, und wir sie ihm aberkennen«, kündigte er an.
Auch der ehrenamtlich geführte Verein blickt nach vorn, ihm geht es um Prävention. Kinder und Jugendliche sollen gestärkt, ihr Schutz vor sexualisierter Gewalt und Missbrauch verbessert werden. Deshalb ist er in Kindergärten, Schulen, Vereinen und Institutionen der politischen und kirchlichen Gemeinden auch rings um Oberharmersbach aktiv. »Da gibt es noch viel mehr, als man in der Öffentlichkeit weiß«, berichtete die Vorsitzende Mathilde Zimmermann.
Matthias Katsch, der für die SPD in der Ortenau für den Bundestag kandidiert, hat erst Anfang September seinen Aktionsplan gegen Kindesmissbrauch vorgestellt. Den will er nach der Bundestagswahl gemeinsam mit seiner Partei und gemeinsam mit der »Justice Initiative« auch europaweit umsetzen. In Oberharmersbach können sich die am Gespräch Beteiligten die Errichtung eines Präventionszentrums vorstellen, das über den Ort hinaus und in die Region hinein als Leuchtturmprojekt strahlt. Finanziert werden sollte es aus öffentlichen Geldern und vor allem vom Bistum Freiburg.
»Kinderrechte umsetzen heißt auch, Kinder vor Gewalt und Missbrauch zu schützen. Dafür braucht es Prävention und Beratung vor Ort. Beratungsstellen wie S.T.A.R.K. e.V. oder Aufschrei e.V. benötigen jedoch endlich eine verlässliche Finanzierung und einen zugänglichen Raum für ihre Arbeit«, sagte Katsch mit Blick auf den Weltkindertag. In Oberharmersbach müsse man vor allem die Betroffenen auf diesem Weg mitnehmen. »Die Herausforderung ist hier, einen ‚bösen Ort‘ in einen Ort zu verwandeln, an dem Betroffene Unterstützung finden und von dem aus Präventionsarbeit geleistet wird. Das ist der Bischof von Freiburg dieser Gemeinde schuldig. Den vielen betroffenen Familien kann so geholfen werden, trotz der Missbrauchsfälle nach vorn zu schauen«, forderte er.
Es biete sich in Oberharmersbach die einmalige Gelegenheit, über eine institutionalisierte und dauerhaft finanzierte Präventionsarbeit Kinder und Jugendliche im Nordschwarzwald künftig vor Gewalt und sexuellem Missbrauch zu schützen. Daran war auch Christine Bergmann gelegen, die wie Katsch Mitglied der Aufarbeitungskommission ist.
Info
Die studierte Apothekerin Christine Bergmann (82) war die letzte Präsidentin der Berliner Stadtverordnetenversammlung, Bürgermeisterin von Berlin, von 1991 bis 1998 Berliner Senatorin und von 1998 bis 2002 Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Von 2010 bis 2011 war sie im Auftrag der Bundesregierung unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs, seit 2016 ist sie Mitglied der unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs.
Matthias Katsch hat 2010 zusammen mit anderen Betroffenen die Initiative »ECKIGER TISCH« gegründet. Der gemeinnützige Verein streitet für Aufklärung, Hilfe und Entschädigung für die Opfer insbesondere im Kontext der Katholischen Kirche. Er war Mitglied des Betroffenenrats beim Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung und ist seit 2019 Mitglied der unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs.