Das ehemalige Reichstal Harmersbach zählte seit über 400 Jahren zum Gebiet des geschlossenen Hofgutes, das sich im Schwarzwald von Ottenhöfen im Norden bis nach Todtnau und Staufen im Süden erstreckte. Das bäuerliche Eigentum bildete sich allmählich über Jahrhunderte durch Gewohnheitsrecht heraus und fand mit verbindlichen Regelungen für das Erbrecht im 16. Jahrhundert eine deutliche Zäsur.
Der Waldreichtum war seit jeher die wirtschaftliche Grundlage des Harmersbachtals. Zur Zeit der Erschließung wurde den Höfen ein gesondertes Eigentum an Wald und Weide zugewiesen. Daneben bestand mit der stark schwankenden, aber dennoch stetig wachsenden Bevölkerung ein großer Bedarf an Reutberg- und Weideflächen, da die häufig überschwemmten Tallagen keine ausreichenden Möglichkeiten für Viehhaltung und Ackerbau boten.
Neben den rodenden Eigenleuten (»Leibeigene«) des Klosters Gengenbach lebten zugezogene Familien (»freie Bauern«), die durch besondere Vergünstigungen (zum Beispiel zeitweise Befreiung von Abgaben oder Überlassung von Grund und Boden als Erblehen) gewonnen worden waren. Letztere waren weniger rechtlich abhängig und nur zu materiellen oder finanziellen Abgaben verpflichtet. Man unterschied also zwischen Bauern, die ihren Hof vom Kloster erhalten hatten, ihn eigenverantwortlich bewirtschafteten und den »Güterfall« entrichten mussten, und Eigenleuten des Klosters, deren Hof an den Grundherrn (Kloster) zurückfiel und immer wieder neu vergeben wurde. Güter des Klosters durften seit jeher, wie eine Bestimmung von 1331 zeigt, ohne Zustimmung des Abtes nicht geteilt werden.
Schleichender Wandel
Ansätze zur Herausbildung von dauerhaftem Besitz waren also vorhanden, wenn auch das Eigentums- oder Verfügungsrecht darüber noch immer stark eingeschränkt war. Wirtschaftliche Nutzungsrechte durften somit vererbt werden, der Eigentumsvorbehalt zeigte sich in der Mitsprache des kirchlichen Grundherrn bei solchen frühen Erbgängen.
Das zahlenmäßige Verhältnis von »Eigenleuten des Klosters« und »freien Bauern« lässt sich nicht mehr feststellen. In der großen Privilegienbestätigung von 1366 verlieh Kaiser Karl IV. unter anderem Vogt und Gericht zu Harmersbach auch das Recht, »von allen erbsachen und anderen sachen, die zum weltlichen Gericht hören…richter seint und richten sollen…« Letztere müssen also schon in großer Zahl vorhanden gewesen sein, zumal schon damals und später umso eindringlicher auf dieses Recht immer wieder verwiesen wurde.
Die Entwicklung zeigt, dass die Verfügungsgewalt des Klosters über Erbgänge allmählich zurückgedrängt wurde und zumindest der Zuständigkeit des Gengenbacher Abtes als Grundherrn teilweise oder schon weitgehend entzogen war.
Dazu beigetragen haben in späterer Zeit unter anderem auch die Folgen des Bauernkrieges und der Reformation, mit zum Teil empfindlichen Folgen für den Einfluss der kirchlichen Grundherren. Davon unberührt blieb vorerst die Zinspflichtigkeit der Höfe, wie ein Verkaufsbrief aus dem Jahre 1391 belegt.
Ein Hinweis darauf ist im Zusammenhang mit dem Bau der Zeller Pfarrkirche 1362 erhalten. Die Bauern des Untertals gehörten zum Zeller Kirchspiel. In der Mehrzahl hatten die Stifter Allmendzinsen zu entrichten, andere waren so genannte »coheredes et consortes« (Miterben oder gleichberechtigte Teilhaber in ungeteilten Hausgemeinschaften).
Aber schon davor war der Zwölferrat bei Erbstreitigkeiten als Schlichter aufgetreten. So setzte das Gremium 1350 den Kaufpreis für ein Hofgut im Herrenholz fest.
Auflösung der Hausgemeinschaften
Weiter zuziehende Siedler und auch die Kinder der Hofbesitzer brauchten eine Nahrungs- und Erwerbsgrundlage. Angeboten hätte sich eine weitergehende Aufteilung der Allmendflächen oder aber die Aufteilung der Hofflächen unter den Erbberechtigten.
Im 15. Jahrhundert setzte die Auflösung dieser seit alters her üblichen Hausgemeinschaften ein und damit begann auch oftmals die Aufteilung der Hoffläche zu gleichen Teilen unter den Erbberechtigten (Realteilung). Diese allmählich um sich greifende Zersplitterung gefährdete die Existenz der Höfe. Sehr bald zeigte sich, dass man dieser Entwicklung Einhalt gebieten musste. So ist bereits aus dem Jahre 1450 eine entsprechende Verordnung für die Schottenhöfe überliefert: »Hier gelte das Recht, dass die Geschwister abgefunden werden, damit der Hof nicht geteilt zu werden brauche.«
Vogt und Gericht erließen im Jahre 1526 für das gesamte Tal eine ähnliche Verordnung. Es habe sich gezeigt, dass nach dem Ableben der Eltern die Besetzung der Höfe »zwischen Iren hinderlassenen Kindern – Söhne und Töchter, vielmals Irrung, Spenn und Gezancks zugetragen und begeben haben mit Vertheilung ihrer Höff und Haußhaltung, welche dermaßen zerissen und vertheilt«, so dass auf diesen zersplitterten Flächen weder die Existenz des künftigen Hofbesitzers gesichert war noch die Abgabenpflicht dauerhaft gewährleistet war.
Regelung des Erbrechts
So war es nur eine Frage der Zeit, bis Vogt und Gericht zu Harmersbach diesen Missstand beenden mussten und ein reglementiertes Erbrecht durch setzten. Während in der ältesten überlieferten Talordnung von 1549 über das Erbrecht noch nichts festgehalten ist,
regelte die Neuauflauflage der Talordnung von 1594 die Erbregelung detailliert und verbindlich für das ganze Tal Harmersbach.
So galt künftig folgendes Erbrecht (Anerbenrecht statt Realteilung):
1. Sterben die Eltern und hinterlassen sie mehrere Söhne, so soll der jüngste Sohn den Hof und alle dazugehörenden Güter übernehmen und die Geschwister, Bruder oder Schwester »mit Geld auskaufen«.
2. Fehlt ein männlicher Nachkommen, so soll die älteste Schwester erben.
3. Fehlen leibliche Erben, so rückt in der Erbfolge der nächste und älteste Verwandte als Erbberechtigter nach.
Vogt und Gericht regelten auch Ausnahmen:
1. Sollte der Hof groß genug sein, um mehr als eine Familie zu ernähren, würde der Hof nach Einschätzung durch unparteiische Männer mit Erlaubnis der Obrigkeit so aufgeteilt, dass kein Erbe Nachteile hinnehmen müsse.
2. Sollte sich der jüngste Sohn als Erbberechtigter gegenüber den Eltern »ungehorsam und halsstarrig« zeigen oder einen liederlichen Lebenswandel führen, so soll es den Eltern erlaubt sein, mit Wissen und Zustimmung der Obrigkeit in ihrem Letzten Willen einen anderen Sohn als Hoferben einzusetzen.
Somit galt im Reichstal Harmersbach die verbindliche Erbordnung des »ius ultimae geniturae«, das »Minorat« (der jüngste Sohn erbt im Gegensatz zum Majorat: der älteste Sohn erbt). So war gewährleistet, dass der Hof möglichst lange von einem Besitzer bewirtschaftet wurde. Und man zögerte die folgenden Erbgänge möglichst lange hinaus und vermied damit die (anfangs noch) zu entrichtenden wiederkehrenden Abgabelasten.
Neue Lebensgrundlagen
Den Geschwistern eines Hofbesitzers blieb nur die Möglichkeit, entweder sich entsprechend zu verheiraten, was für männliche Nachkommen (da keine eigene ausreichende Existenzgrundlage) nicht immer einfach war. Deswegen »kümmerten« sich die Eltern oft um eine »standesgemäße Hochzeit«. Eine Alternative für Brüder oder Schwestern war, sich auf dem elterlichen Hof als Knecht oder Magd zu verdingen – nicht immer mit dem besten Los. Ferner bot sich auch die Möglichkeit an, Nachkommen in einem Kloster unter zu bringen oder bei entsprechender Förderung für den Beruf des Priesters ausbilden zu lassen.
Mitunter entwickelten sich auf größeren Höfen die »Taglöhnergütchen« statt eines Geldersatzes. So wurden hin und wieder Viehhütten umgebaut. Es entstand ein äußerst bescheidenes landwirtschaftliches Gut mit Behausung und Stallung sowie einer kleineren Nutzfläche zur Selbstversorgung. Die Taglöhner waren verpflichtet, im Wald oder der Landwirtschaft mitzuarbeiten. Das Eigentumsrecht des Hofes blieb erhalten. Durch weitere Erbgänge oder Verkäufe sind oftmals in den folgenden Jahren die familiären Bindungen zum ursprünglichen Hof verloren gegangen.
Allmählich eröffneten sich neue berufliche Perspektiven. Im auslaufenden 17. Jahrhundert fand der eine oder andere Nachkomme eine entsprechende »Profession« (Beruf) im aufkommenden Handwerk, als sich im Reichstal Harmersbach nach und nach Zünfte herausgebildet hatten. Dennoch bestritten diese Familien bis ins 20. Jahrhundert hinein einen Teil ihres Lebensunterhaltes durch die Landwirtschaft.