»Einfach war das nicht«, wandte sich Marlene Herrmann im vollbesetzten Rietsche-Saal mit einem spitzbübischen Schmunzeln an das Publikum. Zwölf Jahre ist es her, dass sich der Gedanke an eine frühere Biberacher Frauentracht in ihr festgesetzt hatte.
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Damals hatte sie begonnen, im Biberacher Heimatmuseum Kettererhaus tätig zu werden. Als sie den Fundus inspizierte, stieß die ehemalige Lehrerin auf diverse Kopfbedeckungen, Kleider, Schultertücher und Schürzen. Sie begann Fotos zu sichten, wurde bei den eigenen Vorfahren fündig.
»Bei Josef Ringwald fand ich ein offenes Ohr«, erzählte die Heimatverbundene. Denn der Vorsitzende des Historischen Ortsvereins fand Familienfotos, auf denen die gleichen Kleidungsstücke und Hauben auftauchten. Nun ging die Suche in anderen Familien weiter – und gipfelte in der Erkenntnis: »Es gab sie doch, die Biberacher Tracht.«
Angesichts der vielen zu ordnenden und wieder herzurichtenden Einzelteile war Marlene Herrmann allerdings nahe am Aufgeben, wie sie ihren Zuhörern gestand. Die damalige Biberacher Bürgermeisterin Daniela Paletta hielt die heute 71-Jährige jedoch nicht nur bei der Stange, sondern unterstützte das Projekt auch finanziell.
Um das tatsächliche Aussehen der Tracht festzulegen, wurden unter anderem verschiedene Bildbände, Bücher und Kalender gesichtet. Schwarz-weiß-Fotos liefern in dieser Hinsicht allerdings »keine besonders zuverlässigen Informationen«. Aufgrund von Hinweisen von erfahrenen Trachtenträgerinnen sowie Gesprächen mit Nachfahren von Trachtennäherinnen orientierte man sich daher an mehrfach aufgefundenen Teilen.
Jahrelange Geduldsarbeit
Maßgebliche Unterstützung erfuhr Marlene Herrmann durch Ursula Hülse (Denzlingen) vom Bund Heimat und Volksleben. Die war der Meinung, Schultertuch und Schürze sollen bestickt sein. »Die Farbe der Schürze hat mich und meine Helferinnen lange beschäftigt«, gibt Herrmann weiteren Einblick in eine langwierige, mühevolle Puzzlearbeit.
In verschiedenen, das Kinzigtal betreffende, Schriften fanden sie die Aussage, dass ältere und verheiratete Frauen schwarzgrundige Schürzen trugen, Mädchen und junge Frauen hingegen farbige.
Daraufhin galt es, Stoffe, Bänder und dergleichen sowie eine Schneiderin zu finden. Es war Simone Armbruster, die alle Näharbeiten übernahm. »Geduldig hat sie – nach jeweiligen Absprachen, Verbesserungen, Änderungen – mit mir zusammengearbeitet«, bedankte sich Marlene Herrmann.
Als Fachfrau für Trachtenstickereien wurde nach langem Suchen Frau Fischer aus Freiamt beauftragt. »Und so entstand sie nun, unsere Biberacher Frauentracht«, bestehend aus Haube, Kleid, Schürze, Unterkleid, Strümpfen, Schuhen und Schultertuch. Die ihr zur Seite gestellte Männertracht – die sich im Kinzigtal und den Seitentälern weitgehend glich – stellt ein Geschenk der Nachbargemeinde Fußbach an Biberach dar.
Der Vereinspräsident vom Bund Heimat und Volksleben – Gutachs Bürgermeister Siegfried Eckert – erschien höchst selbst zur Eröffnung der Jubiläumsfeier im Rietsche-Saal, um die aufwändige Rekonstruktion der Biberacher Frauentracht zu würdigen.
Selbstredend trug er Tracht: »Tracht tragen ist wieder angesagt!« Zwar gebe es Abmeldungen von Trachten- und –tanzgruppen, aber auch wieder Anmeldungen. »Es gibt Frauen, die sagen: Wenn ich Tracht trage, dann bin ich angezogen und muss nicht meinen Kleiderschrank ablaufen«, schmunzelte Siegfried Eckert bestens gelaunt und warb beim vergnügten Publikum: »Tragen Sie Tracht, schmücken Sie den Ort und schmücken Sie sich!«
Die Biberacher Frauentracht
Sie wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis in die erste Hälfte des 20. JH getragen – da dann wahrscheinlich aber nur noch sehr vereinzelt oder modisch abgewandelt. Sie bestand aus:
Einem hochgeschlossenen, schwarzen Kleid, schön an den Ärmeln gepufft und im Rückenteil eng gefältelt, verziert meist mit Samtbändern und Strassknöpfen.
Einem Schultertuch, über der Brust verschränkt und in den Rücken weitergeführt. Es war bestickt und variierte wohl in mehreren Farben. Häufig aufgefunden wurden blasse lila, altrosa und violette Töne, allerdings blumig gemustert und nicht bestickt.
Unter dem Schultertuch trug Frau mehrere Lagen von gefältetem Spitzentüchlein.
Als Abschluss diente das Halsniste: eine aus Granatsteinen, wahrscheinlich je nach Geldbeutel variierende Kette mit einem Kreuz.
Über dem Kleid wurde die Schürze getragen, bei jungen Frauen vermutlich farbig, bei älteren schwarzgrundig.
Die Strümpfe könnten zunächst wohl weiß gewesen sein und wurden sicher – der einfacheren Pflege wegen – von schwarzen abgelöst.
Die Haube, auch Kopfputz genannt, war schwarz gehalten. Von ovaler Form und mit Samt oder ähnlich gewirktem Stoff bezogen. Im hinteren Teil meist mit Spitzen- oder Tüllteil. Darüber eingearbeitet Bänder aus Samt oder Moire. Ein kleines Fach an der Vorderseite diente vermutlich dazu, Blümchen oder anderes schmückendes Beiwerk hineinzustecken. Obenauf befanden sich Hahnen- oder Straußenfedern sowie eine Schleife. Die seitlich angebrachten schwarzen Bänder wurden unter dem Kinn gebunden.
Die Schuhe waren schwarz, und von unterschiedlicher Formgebung.
Die Tracht wurde langsam abgelöst vom Päder (Peter) – einem kurzen Jäckchen, für den Alltag bunt und für den Sonntag oder für Feierlichkeiten schwarz. Meist eingefasst oder verziert mit Samt. Darunter trug man sowohl Röcke als auch Kleider.
Die in Zöpfen um den Kopf gelegten Haare fasste ein Samtband ein.
Bildnachlese zur 800-Jahr-Feier und zum Aktionstag im Kettererhaus-Museum
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