Einstimmig hat der Gemeinderat am Montagabend vor 300 Sitzungsbesuchern beschlossen, an der 19. Änderung des Bebauungsplans »Östlich der Bahnlinie« festzuhalten. Auch wenn das Ergebnis für die 568 Grundstückseigentümer bedeutet, dass sie nun den ursprünglich aus dem Jahr 2012 stammenden Abwasserbeitrag in Kürze nachentrichten müssen, war die Sitzung in der Festhalle doch ein wichtiger Schritt hin zu einem versöhnlicheren Umgang miteinander.
»Verwaltung und Gemeinderat contra Bürger«, das war die Grundstimmung, welche die Diskussionen in dieser Angelegenheit in den vergangenen vier Monaten beherrscht hatte. Und dieses Missbehagen wurde auch am Montagabend wieder deutlich. Wobei die allesamt sehr sachlichen Redebeiträge der Bürger deutlich machten, worum es bei diesem Thema noch gegangen ist: Von vielen Biberachern war die Kommunikation als unzureichend empfunden worden, verbunden mit dem Gefühl, dass Beiträge wie »ein Blitz aus heiterem Himmel« auch noch Jahre später erhoben werden können, also einer gewissen Hilflosigkeit. Umgekehrt war da die Bürgermeisterin, die sich durch einen Fehler, der vor der eigenen Amtszeit gemacht worden war, teilweise unsachlichen und auch respektlosen Angriffen ausgesetzt sah und diese sehr persönlich nahm.
Kurze Rückblende: Im Februar 2012 hatte der Gemeinderat die 19. Änderung des Bebauungsplans »Östlich der Bahnlinie« beschlossen, wobei unter anderem eine Erhöhung der möglichen Wandhöhe des Dachgeschosses um 1,40 Meter sowohl bei einstöckigen wie auch bei zweistöckigen Gebäuden festgelegt worden war. Mit dieser »Aufstockung« des Kniestocks sollte erreicht werden, dass das Dachgeschoss bei einem Aus- oder Neubau zukünftig als Vollgeschoss genutzt werden kann. Dass mit dieser Nutzungserweiterung aber nach der Abwassersatzung der Gemeinde von den Grundstückseigentümern auch ein einmaliger Beitrag für Abwasser eingezogen werden musste, wurde seinerzeit wohl übersehen – und erst im Januar diesen Jahres im Zuge anderer Abrechnungsmaßnahmen »entdeckt«.
Von der Nachforderung erfuhren die Grundstückseigentümer des 37,5 Hektar großen Baugebiets dann im Juni in einer von der Gemeinde anberaumten nichtöffentlichen Informationsveranstaltung – und seither herrscht »Unfrieden im Dorf«. So empfindet es jedenfalls Bürgermeisterin Daniela Paletta, welche die rund 300 Bürgerinnen und Bürger, hauptsächlich betroffene Grundstückseigentümer, begrüßte und den Ablauf der Veranstaltung skizzierte. Sie erklärte, dass die Sitzung nach der Diskussion des Gemeinderats geöffnet werde, Zwischenrufe und Zwischenfragen seien gemäß Gemeindeordnung nicht möglich. »Bitte lassen Sie uns fair und sachlich miteinander umgehen«, appellierte die Rathauschefin, die anschließend eine rund viertelstündige Stellungnahme abgab.
»Aufgeheizte Stimmung«
Nach der Veranstaltung am 23. Juni sei viel Unmut und Unverständnis gegenüber der Haltung der Verwaltung und des Gemeinderats hinsichtlich des Bebauungsplans und der beitragsrechtlichen Folgen geäußert worden, so Daniela Paletta, und dies teils öffentlich und in nicht akzeptabler und beleidigender Weise. Deshalb habe man sich entschlossen, diesen Bebauungsplan als öffentlichen Tagesordnungspunkt in eine Gemeinderatssitzung zu nehmen und dem Gemeinderat die Möglichkeit zu geben, öffentlich Stellung zu beziehen. Eine Stellungnahme hatte sich auch die von Anja und Timo Lienhard initiierte Bürgergemeinschaft »Östlich der Bahnlinie« bei ihrer Informationsveranstaltung im September gewünscht, die im Übrigen durchaus friedlich und respektvoll verlaufen war. Mit der Behandlung im Rahmen in einer öffentlichen Gemeinderatssitzung sei man dem Wunsch nun ein Stück weit entgegen gekommen, so die Bürgermeisterin, die eine »nach wie vor aufgeheizte Stimmung« beklagte und anmerkte, »dass es mit dem Frieden für Biberach nicht so einfach sei« – übrigens einer der wenigen Sätze, nach denen es tatsächlich Gemurmel gab.
Weiter beklagte Daniela Paletta das stete Misstrauen gegenüber Rat und Verwaltung: »Wir können es nicht Jedem recht machen«, skizzierte sie die oft nicht einfache Suche nach Entscheidungen. Sie appellierte, am dörflichen Frieden zu arbeiten. Besonders drei Vorwürfe wollte sie entkräften. »Stichwort Bürgersprechstunde«: Der Tagesablauf einer Bürgermeisterin sei von morgens bis abends voll durchgetaktet und ein Termin sei schwierig zu erhalten. Wenn ein Termin im Rahmen der Sprechstunde vergeben werde, sei dieser dann wirklich weniger wert als ein anderer? Dies könne sie nicht nachvollziehen. »Stichwort Hallenmiete«: Diese habe aus steuerrechtlichen Gründen nicht erlassen werden können, führte Daniela Paletta aus. Die Gemeinde habe dafür aber die Kosten für die Flyer der Bürgergemeinschaft übernommen. »Stichwort Anwesenheit eines Rechtsanwalts«: Man habe die Juristen auch mit Blick auf die Prüfung von Umgehungsszenarien für die Bürger beauftragt und nicht zur Absicherung von Verwaltung und Gemeinderat, betonte die Bürgermeisterin, die anschließend nochmals kurz auf den Sachstand einging und bilanzierte: »Es war politisch sicher nicht glücklich, dass 2012 nicht ausdrücklich auf die daraus folgenden Beitragspflichten hingewiesen wurde«. Ein Abwägungsmangel ergebe sich daraus aber nicht, sondern eine Rückabwicklung würde die Gemeinde um Jahre zurückwerfen und wäre ein einmaliger Missbrauch der kommunalen Selbstverwaltung, denn aus städtebaulicher Sicht gäbe es keinen Grund, den Bebauungsplan zu ändern.
Anschließend referierte Städteplanerin Kerstin Stern über die Inhalte der 19. Änderung: Die Wandhöhen der Gebäude können nun 5,30 Meter (statt zuvor 3,90 Meter) bzw. 7,70 Meter (statt 6,30 Meter) erreichen. Eine aber ebenfalls in die Änderung eingegangene Begrenzung der baulichen Höhe durch Festsetzung einer Firsthöhe (auf 9,70 Meter bzw. 12,10 Meter) sorge dafür, dass keine zu hohen Gebäude entstünden: Eigentlich sei Zweigeschossigkeit so Anderthalbgeschossigkeit und Dreigeschossigkeit Zweieinhalbgeschossigkeit, versuchte sie die Möglichkeiten in die Umgangsvorstellung zu übertragen. Zudem sei durch die Änderung des Bebauungsplans auch eine Gleichstellung mit den ebenfalls östlich der Bahn gelegenen Baugebieten »Hinter Kirchfeld I und II« erfolgt.
Inhomogener Bereich
Bürgermeisterstellvertreterin Angelika Ringwald (CDU), die dem Gemeinderat seit 2009 angehört, hatte anschließend einige Fragen an die Städteplanerin vorbereitet, mit denen sie den über fünf Jahre zurückliegenden Entscheidungsprozessen und den Fragen der Bürger nachspürte: »Wäre es vielleicht besser gewesen, den Bebauungsplan aufzuheben?«, wollte sie wissen. Kerstin Stern erklärte, dass in einem derart inhomogenen Bereich – in dem die Spanne vom anderthalbgeschossigen Häusle bis zum dreigeschossigen Flachdachgebäude reicht – es zu städtebaulichen Fehlentwicklungen hätte kommen können. Und auch eine Unterteilung hätte in der Konsequenz ebenfalls zu den Beiträgen geführt.
Auch Sorgen der Bürger, dass Umbaumaßnahmen nach den jetzigen Regelungen aufgrund von Grenzabständen gar nicht durchführbar wären, wollte die Städteplanerin zerstreuen: Sie könne keinen Bereich erkennen, wo das so sein könnte, sagte Kerstin Stern, die Einzelfälle dennoch nicht ausschließen wollte. Ebenfalls schwierig zu beantworten war die Frage nach der konkreten Wertsteigerung eines Gebäudes. Anhand einer beispielhaften Mietkalkulation versuchte die Ingenieurin, eine Steigerung nachvollziehbar zu machen, ohne einen direkten monetären Betrag zu nennen.
Weitere Fragen wurden nicht gestellt. In ihrer Stellungnahme erklärte Angelika Ringwald anschließend, dass die vor der Bebauungsplanänderung eingegangenen Anträge auf Befreiung gezeigt hätten, dass der Bebauungsplan nicht mehr zeitgemäß gewesen sei. Fakt sei, dass die Baurechtsbehörde keinen weiteren Befreiungsanträgen mehr zugestimmt hätte, machte sie deutlich, unter welchem Druck Gemeinderat und Verwaltung damals gestanden seien. »Wir haben gesehen, dass die Änderung auch durchaus eine Wertsteigerung darstellt, auch wenn Sie das Geld im Moment nicht in den Händen halten«, meinte sie, dass Kinder und Enkel irgendwann davon profitieren werden. Ein Fehler sei es jedoch gewesen, dass bei der Informationsveranstaltung im Juni der Gemeinderat nicht geschlossen anwesend gewesen sei, räumte die Fraktionsvorsitzende ein.
Entschuldigung
Anschließend ergriff Gerhard Matt (SPD) das Wort und erhielt großen Applaus dafür, als er sich eingangs dafür entschuldigte, dass seinerzeit der Gemeinderat die mit der Änderung verbundene Beitragserhebung nicht erkannt habe. Allerdings stellten derartige Aufgaben eine Bringschuld der Verwaltung dar, so Gerhard Matt: »Bürger und Gemeinderäte müssen sich darauf verlassen können, dass alle in einer öffentlichen Sitzung dargestellten Sachverhalte geprüft sind«. Am Sinn der Änderung des Bebauungsplans hielt er aber fest: Nach anfänglichen Zweifeln und vielen Gesprächen mit anderen Verwaltungsfachleuten sei er zu der Überzeugung gelangt, dass die Entscheidung von 2012 richtig gewesen sei.
Nach einer knappen Stunde kamen dann die Bürger das Wort: Als erstes berichtete Anja Lienhard über die Auskünfte des von der Bürgergemeinschaft »Östlich der Bahnlinie« beauftragten Rechtsanwalts. Dieser hatte einen Lösungsvorschlag erarbeitet, nach dem der Bebauungsplan aufgehoben werden könnte. Allerdings setze dies voraus, dass alle Grundstückseigentümer »Östlich der Bahnlinie« eine Schadensersatzverzichtserklärung unterschreiben müssten, was schwierig ist. Anja Lienhard äußerte großes Verständnis für die damaligen Gemeinderäte, da die Information über die Beitragserhebung die Aufgabe der Verwaltung gewesen sei. Allerdings hätte man auch die Abwassersatzung anders beschließen können. Abschließend ging die Verwaltungsfachwirtin auf die Hallengebühren ein. Sie bestätigte, dass diese nicht hätten von der Gemeinde erlassen werden können und bedankte sich für die Übernahme der Kosten für die Flyer. Darin wurden die Bürger auch informiert, dass sie gegen den Abwasserbeitragsbescheid keinen Widerspruch einlegen sollten, da der von der Bürgergemeinschaft beauftragte Rechtsanwalt einen solchen als erfolglos erachtet und beim Widerspruch Bearbeitungsgebühren entstehen. Der von der Bürgergemeinschaft angestrebte Einwohnerantrag ist nach dem Verlauf der Gemeinderatssitzung am Montag vom Tisch.
»Verwaltungstechnische Präzession«
Anschließend sagte Klaus Vollmer, dass es nicht vorrangig um den Bebauungsplan gehe, der immer ein Für und Wider habe, sondern wie mit den Bürgern umgegangen werde. Viele wären aufgrund des Einladungsschreibens im Juni mit ganz anderen Erwartungen in die Halle gekommen und die Beitragsnachforderung habe sie getroffen wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Immerhin geht es bei den vielen um einen Bescheid mit einem vierstelligen Betrag. Hendrik Hund bedauerte, dass »wir uns nun 40 Minuten nochmal anhören mussten, wie glücklich wir über diesen Bebauungsplan sein müssen«, und beklagte eine »verwaltungstechnische Präzession«, die sich nur noch im Zitieren von Paragrafen ergehe. Danach spielte er den Ball um den Dorffrieden zurück: »Was hat sich denn der Gemeinderat überlegt, was er für den Dorffrieden tun kann?« Und welche Zugeständnisse könne die Verwaltung den Bürgern machen?
Diese Frage führte zu einem emotionalen Ausbruch der Bürgermeisterin: »Ich hab’s nicht verbockt«, so Daniela Paletta, die mit drastischen Worten auf ihre Befindlichkeit verwies und damit schloss, dass sie sich seitdem absolut nicht mehr wohl fühle. Sie habe nun das halbe Dorf gegen sich. »Warum ist es uns passiert«, klagte Daniela Paletta und bedauerte: »Es tut mir so Leid, aber ich kann nichts tun«. Für die Zukunft versprach sie: »In meiner Amtszeit wird es so eine solche Nicht-Information nicht geben«. Zu einem späteren Zeitpunkt verwies sie darauf, dass auch die Informationsveranstaltung im Juni ein Versuch gewesen sei, Transparenz zu schaffen: »Der normale Weg wäre gewesen, die Bescheide einfach rauszulassen«.
Wer profitiert?
Hans Gißler fragte anschließend nach, wie viele Bauherren bisher tatsächlich von den Änderungen profitiert hätten (es waren wohl fünf) und äußerte die Vermutung, dass letztlich überwiegend nur Wohnungsbaugesellschaften profitierten. Ob die Beiträge nicht gesplittet werden könnten, wollte eine Bürgerin wissen. Dies sei nur im Falle einer Stundung als Einzelfallentscheidung möglich, wurde ihr beschieden. Die Verwaltung habe die Zahlungspflicht für Beiträge so weit wie möglich nach hinten geschoben, sie sind mit Blick auf die Verjährungsfrist bis zum 31. Dezember 2016 fällig.
»Der Ärger ist der Ärger derjenigen, die die Änderung nicht nutzen können, weil sie es sich gar nicht leisten können«, machte Olaf Pohl deutlich, dass viele mit dem Hausbau an ihre Belastungsgrenzen gestoßen sind und nicht nochmals erweitern können. Auch könne es sein, dass nun ein Dachausbau zwar baurechtlich möglich sei, aber von der Statik her nicht, empfand er die Zahlungsverpflichtung für alle als ungerecht. Kämmerer Bodo Schaffrath erläuterte, dass selbst bei einer erneuten Bebauungsplanänderung die Beiträge erhoben werden müssten. Die Abwassersatzung sei im Dezember 2012 rückwirkend wegen der gesplitteten Abwassergebühr erlassen worden, führte er weiter aus, doch schon 2002 sei der Tatbestand der Nacherhebung enthalten gewesen.
Eine weitere Frage betraf den Umstand, in welcher Phase ein ähnlicher Fall durch die Bürger vermieden werden könne. Kerstin Stern erklärte die Modi von Vorentwurfsphase und Offenlage und dass die Bürger nicht etwa einzeln angeschrieben werden, sondern dies aus den Veröffentlichungen der Verwaltung entnehmen müssen. »Muss ich jetzt das Amtsblatt immer akribisch studieren?«, kam die Antwort. »Jein«, sagte Bürgermeisterin Paletta und versprach erneut, dass in ihrer Amtszeit so etwas nicht passieren werde.
Weiter wurde gefragt, wie die nachgezahlten Beiträge genutzt würden und ob sie eventuell für einen karitativen Zweck zur Verfügung stünden. Dies geht zwar nicht, denn die Beiträge fließen in die Kalkulation der Abwasser- und Wassergebühren ein und kommen damit der Allgemeinheit zugute, weil sie gebührendämpfend wirken. Doch es gab noch eine schöne Geste zum Schluss: »Ich werde versuchen, die Anwaltskosten zu ersetzen und den Betrag zu spenden«, versprach Bürgermeisterin Paletta. Und bedankte sich bei Anja und Timo Lienhard für deren Engagement und das faire Miteinander.