Unvergessen bleibt die am 1. Mai 1973 in der Wallfahrtskirche von Bischof Oskar Saier gespendete Priesterweihe und die am Sonntag darauf groß gefeierte Primiz. Nicht nur die Pfarrkirche war mit Blumen geschmückt, sondern auch die Talstraße vom »Schwarzen Adler« in Unterharmersbach bis zur »Sonne« am Stadtausgang von Zell war mit Tannengrün und mit Fähnchen geziert. Am Montag jährt sich das herausragende Ereignis zum 50. Mal.
Die Rede ist von der Primiz von Prof. Dr. Leonhard Lehmann. Es war für die Unterharmersbacher ein ganz besonderer Tag, als der einheimische Bürgersohn in der Wallfahrtskirche durch den Weihbischof Oskar Saier zum Priester geweiht wurde. Es war eines der größten Feste, das Unterharmersbach je erlebte. Selbst Pater Leonhard bekennt: »Ich denke noch jede Woche an dieses Fest, das unser Dorf zu einer großen Feier vereinte. Es erfüllt mich heute noch mit tiefer Dankbarkeit, welch schöne Primizfeier die Unterharmersbacher für mich vorbereitet hatten.«
Basteln und bauen
Wochenlang hatten die Unterharmersbacher Frauen über tausend Papierröschen gefertigt als Schmuck für den Weg vom Elternhaus zur Stadtkirche. Außerdem wurden alle Häuser mit Tannengrün und Blumen geschmückt. Doch damit nicht genug: Die Männer in Unterharmersbach hatten unter Mithilfe einer Oberharmersbacher Abordnung vom Elternhaus des Primizianten im Gefäll bis zum Rathausplatz fünf mächtige Triumphbogen aufgebaut. Am Elternhaus von Pater Leonhard im Gefäll durch die Nachbarn von Roth, an der Adlerbrücke durch die Familie Armbruster (Vorderburehof), Rathausplatz und Wallfahrtskirche durch Frau Schülli (s’Korbmachers) und an der Stadtkirche durch die Landjugend. Für jeden Triumphbogen wurden 60 Wellen Reisig benötigt.
Mit dem Benz zur Kirche
Architekt Fritz Lehmann hatte extra für die Fahrten mit dem Primizianten seinen Mercedes zur Verfügung gestellt. So konnte Pater Leonhard trotz starken Regens mit trockenen Kleidern die Fahrten von Offenburg nach Zell zur Stadtkirche, zur Wallfahrtskirche, auf dem Rathausplatz und zum Elternhaus genießen. Mit klingendem Spiel der Musikkapelle Unterharmersbach und durch den Aufmarsch der Bürgerwehr Unterharmersbach und des Spielmannzuges wurde der Neupriester vom Rathaus zur Wallfahrtskirche geleitet. In der Kirche wurde unter Leitung von Karl Halter die Mo zart-Messe in C brevis mit Chor und Orchester, Solis und Orgel (Wolfram Dreher) aufgeführt.
Pater Leonhard war tief berührt. Er bekennt: »Das Händel-Halleluja am Schluss des Gottesdienstes klingt mir heute noch in den Ohren«.
Kartoffeln lesen
Pater Leonhard war das sechste Kind einer Bauernfamilie und zugleich mit seinen hellblonden Haaren Sonnenschein und Nesthäkchen des Hofes. Sein Elternhaus lag versteckt im Wald. Sommer wie Winter ging der kleine Bub vom ersten Schultag an den Weg durch den Wald, der hin und zurück jeweils 35 Minuten dauerte. Nach der Schule gab es am kärglichen Tisch, für den die Mutter aber eine hervorragende Köchin war, soviel, dass jeder satt werden konnte. Danach ging es wieder an die Arbeit.
Der kleine Leonhard las Kartoffeln oder Äpfel auf oder er half dem Vater und den Brüdern bei der Waldarbeit oder wo er gerade gebraucht wurde, etwa beim Heuen auf steilen Bergwiesen.
Begabter Schüler
Pater Rupert vom Zeller Kloster (1909-1993), der als Volksprediger landesweit bekannt war, besuchte öfters die Eltern von Leonhard, denn er hatte die Begabung des Jungen schnell erkannt. Er bat die Eltern, den Bub auf die weiterführende Schule zu schicken, wo er ohne Zeitverlust mit anderen Mitschülern in kleinen Gruppen für die Aufnahme auf das Kurfürstliche Gymnasium in Bensheim vorbereitet wurde. Pater Leonhard bestand das Abitur mit Bravour, ging ins Noviziat in Stühlingen und legte am Dreikönigstag 1967 die Gelübde Armut, Keuschheit und Gehorsam ab. 1973 wurde er unter großer Anteilnahme der Mitbürger zum Priester geweiht.
Steile Karriere
Leonhard wurde durch den Orden für drei Jahre als Kaplan nach Oberhausen-Sterkrade versetzt, wo er 120 Kinder auf die Erstkommunion vorbereitete und Tischmütter suchte, die ihn bei der Vorbereitung unterstützten. Das war neu und brachte dem Neupriester große Sympathien bei den Eltern ein. Die Begabung von Pater Leonhard wurde durch Vorgesetzte und Mitbrüder des Kapuzinerordens schnell erkannt. Um den jungen Kapuziner noch stärker zu fördern, wurde Pater Leonhard für das Weiterstudium an der Päpstlichen Universität Gregoriana und am Antonianum, der Hochschule der Kapuziner und Franziskaner, freigestellt. Hier promovierte er im Jahr 1982 zum Doktor der Theologie. 1989 erhielt er an der Ordenshochschule einen Lehrstuhl zum Studium der Schriften des heiligen Franziskus und der heiligen Klara. Seine zahlreichen Publikationen zur Geschichte des Ordens und seines Gründers verfasste er inzwischen in Italienisch. Rund 2.000 Schriften und Aufsätze in Fachzeitschriften kamen zusammen. Hierzu zählt auch eine Großzahl von Büchern über das Leben und Wirken des heiligen Franziskus und über die heilige Klara, die in der Fachwelt auf hohe Anerkennung stießen. Er genoss in den Hochschulen in Rom ein großes Ansehen und gilt als weltweit bester Franziskuskenner.
Die Welt gesehen
Kein Wunder also, dass er in den letzten zwölf Jahren in Madrid als Gastprofessor gefragt war. Zeitweise lehrte er auch in Indien auf Englisch und in Mexiko auf Spanisch. In den Semesterferien zog es ihn immer die ersten drei Ferienwochen in die Heimat. Daheim besuchte er viele Unterharmersbacher, die er von Kind auf kannte. Er tröstete die Kranken und betete mit ihnen. Oder er lud Alleinstehende und Einsame zu einem Spaziergang oder einer Wanderung ein. Er hatte für alle ein gutes Wort. Als profunder Kenner der heiligen Orte organisierte er für die Schulkameraden Pilgerreisen nach Rom, Assisi und Florenz.
Vom Papst gedrückt
Ein besonderer Höhepunkt war für ihn 2010 ein Treffen mit dem damaligen Papst Benedikt. Pater Leonhard überreichte dem Oberhaupt der katholischen Kirche ein von ihm herausgegebenes Buch mit dem Titel »Franziskus-Quellen« mit fast 2.000 Seiten. Der Papst war begeistert und gerührt: »Jetzt kann ich die Texte über den heiligen Franziskus in Deutsch lesen, das erleichtert es mir mit meinen schlechten Augen sehr. Vielen Dank, möge Gott Sie segnen.« Ein längeres Gespräch schloss sich an. Beide verstanden sich gut und zum Abschied drückte der Papst lange ihm und seinem Begleiter die Hand.
Zurück in Zell
Zu Mariä Himmelfahrt 2022 ist der Wandervogel von seinen Reisen und Vorträgen rund um die Welt heimgekehrt. Hier in Zell wird er nach 30 Jahren in Rom als Universitätsprofessor und Franziskuskenner mit weltweitem Ruf mit seinen Brüdern in einer Gemeinschaft wohnen, forschen, Vorträge halten, Bücher schreiben, die Menschen begleiten und ihnen beistehen auf ihrer letzten Reise. Und predigen, seine große Leidenschaft, will er weiterhin.
Alle drei Predigten am Festtag »Mariä Himmelfahrt« hielt er ohne schriftliches Konzept, frei gesprochen.
Mit Stöcken unterwegs
Aus dem römischen und Schwarzwälder Nähkästchen geplaudert: In dieser Zeit um Mariä Himmelfahrt hatte Pater Leonhard Beschwerden mit seinem Herz und er war in ärztlicher Behandlung. Nach dem Hochamt kam er auf dem Kirchplatz mit einem Bauern ins Gespräch, der ihm riet, täglich eine Stunde zu laufen. Da verabschiedete sich Pater Leonhard und schon fünf Minuten später kam er in kurzer Hose und Laufschuhen zurück und startete seine erste Runde. Inzwischen hat er sich einer Nordic-Walkinggruppe aus Unterharmersbach angeschlossen und zählt zu den eifrigsten Mitgliedern.
Auch ich habe Pater Leonhard in Rom besucht. Eine beeindruckende Persönlichkeit, einer, der auf die Menschen zuging, und mit seinem Wissen – bescheiden wie er war – in verständlichen Worten Herz und Verstand öffnete. Und er ist einer, der Rom kannte, wie seine Westentasche, und überall bekam er Zutritt, weil man ihn schätzte.
Was ich auch an ihm bewundert habe, ist, dass er jedem Bettler und Bedürftigen am Wege eine Münze in die Hand drückte und ihm das Kreuzzeichen auf die Stirn machte. Die Bettler waren so dankbar und hielten mit glänzenden Augen seine Hand. Und wenn er in einer Kirche war zum Gebet und sein Handy klingelte, nahm er das Gespräch an und auf fragenden Blick erklärte er: »Es könnte ja Franziskus oder unser Gott sein, der dringend etwas von mir wissen will«.
Einem Wirt, der neben der Hochschule in Rom wohnte, las er dagegen deutlich die Leviten, obwohl die beiden befreundet waren. Gemeinsam aßen wir zu Mittag. Beim Zahlen vernichtete der Wirt aber ruckzuck den Rechnungsbeleg, was in Italien verboten ist. Das sah Pater Leonhard und hielt ihm eine saftige Strafpredigt, bis der Wirt reuig einen neuen Beleg schrieb.
Herzliche Einladung von Pater Leonhard
Am Montag, den 1. Mai 2023 lädt Pater Leonhard um 10 Uhr in die Wallfahrtskirche ein. Die Festpredikt wird von Pater Norbert Schlenker gehalten. Pater Leonhard: »Gemeinsam mit allen möchte ich mein 50-jähriges Priesterjubiläum mit einem Gottesdienst feiern und uns dabei erinnern an meine Priesterweihe am 1. Mai 1973. Abschließend lade ich herzlich zu einem Empfang in die Klosterturnhalle mit Umtrunk ein.«