Jedem, der talaufwärts von Unterharmersbach nach Oberharmersbach fährt, fällt auf der kleinen Anhöhe die Kapelle im Schutz der mächtigen
Linde ins Auge. Es ist die St. Michaelskapelle, die ursprünglich die »Kapelle unterm Kirnbach an der Staig« genannt wurde. Sie ist neben der Wallfahrtskirche »Maria zu den Ketten« die älteste und bedeutendste Kapelle des Harmersbachtales.



In ihrer langen Geschichte – oftmals zerstört und wiederaufgebaut – ist sie ein bedeutendes Wahrzeichen des Harmersbachtales und des Glaubens der Menschen im Tal. Am Freitag, 29. September 2017, wird das 450-jährige Jubiläum der heutigen Kapelle um 18 Uhr mit einem festlichen Gottesdienst und einem Empfang auf dem Kapellenplatz gefeiert.
Erstmals erwähnt wurde die Kapelle 1715 in einer Urkunde, in der festgehalten wird, dass 1515 der Bau der zerstörten Kirche vom Vogt und Gericht im Tal Harmersbach neu gestiftet wurde. Schon 1567 wurde die Kirche erneut erbaut. Ob sie mutwillig zerstört wurde oder durch äußere Beeinflussungen Schaden nahm, ist nirgends festgehalten. Das 1567 erbaute Kirchlein ist die Kapelle, wie wir sie heute noch kennen. Wieder zerstört wurde die Kapelle im 30-jährigen Krieg durch weimarische Truppen 1643. Doch schon 1649 war sie nach den früheren Plänen wieder aufgebaut, wie aus alten Kirchenbüchern hervorgeht.
Ursprünglich war das »Kirnbacher Käpilli«, wie es im Volksmund genannt wird, eine Marienkapelle und hatte die heiligen Engel und Maria als Patronin. Später wurde sie dem Erzengel Michael geweiht. Als Schutzpatron steht er in einer Nische über dem Eingang der Kapelle mit dem Speer in der Hand als Besieger des Satans. Nach der geheimen Offenbarung des Johannes gilt Michael als der Engel, der den Satan besiegt hat und ihn auf die Erde stürzt. Zusammen mit dem heiligen Gallus, der der Legende nach das Harmersbachtal missionierte und mit dem heiligen Wendelin, dem Patron der Bauern und Hirten, steht Erz–engel Michael in der Mitte auf dem Hochaltar. Am Michaelstag, 29. September, wird seit 1760 das Patronzium, die Kirchweihe gehalten.
Wie in alten Urkunden festgehalten ist, ist an diesem Tag dem Zelebrant, dem Priester, der den Gottesdienst hält, eine Mahlzeit zu reichen. Aus der Zeit vor 1515 stammt der noch erhaltene gotische Chor der früheren Kapelle mit den beiden gotischen Chorfens–tern, von denen eines der noch erhaltenen Glasfenster den Tod Mariens darstellt. Das sich an den Chor anschließende Langhaus wurde zwischen 1880 und 1889 durch den Maurermeister Nock von Kirnbach und seinen Söhnen erneuert. Innen ist es mit einer einfachen Holzdecke und rundbogigen Fenstern versehen. Bereits 1870 wurde der in jener Zeit als überladen empfundene Barockaltar entfernt und durch einen neugotischen Altar ersetzt. Leider ist der Altar mit der barocken Ausstattung verschwunden.
Noch heute kehren in das Kirchlein viele stille Beter und Menschen ein, die Gott ihre Nöte und Anliegen vortragen. Gerne wird die Kirche auch für kirchliche Feiern der goldenen und diamantenen Hochzeiten genutzt und zum festen Brauch ist inzwischen die Meßfeier am Hubertustag (3. November), dem Schutzpatron der Jäger, geworden. Außerdem finden in der Michaelskapelle zweimal im Monat Gottesdienste statt, zusätzlich auch am Ostermontag, 2. Weihnachtstag und eben am Patrozinium, dem Michaelstag. Sonntags wird nachmittags der Rosenkranz gebetet. Ebenso wird hier in der Michaelskapelle das »Bete« für die Verstorbenen aus den Ortsteilen und Grün abgehalten.
Markant wirkt die Michaelskapelle auch durch die mächtige Linde, die neben der Kapelle auf der kleinen Anhöhe steht. Sie ist 1515 zum ersten Mal erwähnt, aber mit Sicherheit weit älter. Heute wird sie im Volksmund als »Gerichtslinde« bezeichnet. Ob sie diesen Namen erhielt, weil Gerichtsleute einst diesen Lindenstock gestiftet hatten oder ob es sich tatsächlich um eine echte Gerichtslinde handelt, unter denen im Mittelalter Gerichtsverhandlungen abgehalten wurden, verhüllt sich im Schatten der Vergangenheit.
Für eine echte Gerichtslinde spricht jedoch, dass im Mittelalter Hochgerichte auf Plätzen unter freiem Himmel abgehalten werden mussten. Außerdem ist im Standardwerk »Gerichtslinden und Thingplätze in Deutschland« von Annette Lenzing die Gerichtslinde in Kirnbach als einer der wenigen Plätze in Baden-Württemberg aufgeführt, an denen Dorfversammlungen und Hochgerichte stattfanden. Auf jeden Fall erinnert uns die Gerichtslinde an die Hochgerichte über Leben und Tod, die bis 1803 im Reichstal Harmersbach abgehalten wurden.