Dass die Philharmonie am Forum/Offenburg unter der Leitung von Rolf Schilli in kleiner wie in großer Besetzung einen exzellent aufeinander eingespielten Klangkörper bildet, durften die Zuhörer am Sonntagmorgen im gut besuchten Dorfgemeinschaftshaus in Unterentersbach erleben. Und der kongeniale Partner der Philharmoniker – Rezitator Martin Schwendemann – verwob Sprache und Musik zu einer einander ergänzenden, intensiven Melange.
Im Mittelpunkt des »französischen« Programms stand der »Karneval der Tiere« von Camille Saint-Saens. Dass ihm gerade dieses, als »Fastnachtsscherz« anno 1886 entstandene Werk den anhaltenden Nachruhm bescherte, hätte dem Komponisten vermutlich nicht gefallen. Er fürchtete um seine Reputation und untersagte eine öffentliche Aufführung bis zu seinem Tod im Februar 1922. Heute gilt die »grande fantaisie zoologique« als Blaupause pädagogischer Programm-Musik, denn die 14 einzelnen Stücke charakterisieren mit musikalischen Mitteln die typischen Eigenschaften oder Bewegungen der Tiere, auch mit deutlichen Seitenhieben auf menschliche Verhaltensweisen. Die Musikerinnen und Musiker der Philharmonie setzten das vortrefflich in Szene, während Dirigent Rolf Schilli die Konturen schärfte und für klare Sicht auf die Struktur sorgte.
Facettenreich und parodistisch
Das »Gerüst« der musikalischen Tierphantasie bildet ein Text des Kabarettisten Loriot alias Vicco von Bülow, den Martin Schwendemann zwischen den einzelnen Stücken rezitierte. Der Haslacher Kulturamtsleiter machte das spannend und in allen Facetten nachfühlbar. Gestisch, mimisch blieb er im Andeutungshaften, stimmlich-sprachlich öffnete er Vorstellungsräume.
Die Tiere treffen sich zu einem karnevalesken Spektakel im Dschungel: Wuchtige Klavierakkorde setzen den Auftakt beim »Königlichen Marsch des Löwen«, dem ein aufgeregtes Gackern der Hühner (Violinen) und das »Kikeriki« des stolzen Hahns (Klarinette) folgen. Eindringliches Klavierspiel auch bei den »wilden Eseln«, während »Schildkröten« ein Ballett aufführen, dessen Melodie – schneller gespielt – sich als berühmt-berüchtigter »Cancan« entpuppt.
Parodistisch wirkt auch der »Tanz des Elefanten«, dessen Schritte die Kontrabasslinie eindrucksvoll nachzeichnet, wodurch man sich einen schwerfällig durch die Landschaft tapsenden Dickhäuter gut vorstellen kann. Das sorgte für Heiterkeit, wie ein Blick ins Publikum verriet. Helle Klangtupfer bei den hüpfenden »Kängurus«, während im »Aquarium« Myriaden von Wassertröpfchen und aufsteigende Luftbläschen perlen (Glockenspiel). Spitze »I-a«-Rufe legen nahe, wer die »Wesen mit langen Ohren« sind und der »Kuckuck« beharrt sage und schreibe einundzwanzig Mal auf seinem immer gleichen (Klarinetten-)Motiv.
Melodienzitate und eine betörende Kantilene
Im »Vogelhaus« schwirren tausend Kolibris auf und ab, was die Querflöten mustergültig inszenierten. Die Tonleitern rauf und runter ging es bei den »Pianisten«, womit Saint-Saens vielleicht an alle Klavierschüler erinnern wollte, die sich beim Üben »tierisch« abrackern.
Offenkundig lässt sich mit den Überbleibseln aus der Urzeit, den »Fossilien«, ganz gut musizieren, denn wer im Dorfgemeinschaftshaus aufmerksam lauschte, konnte im Orchesterspiel etliche Melodienzitate entdecken (»Au claire de la lune«, »Morgen kommt der Weihnachtsmann« …). Das bekannteste Opus aus dem »Karneval…« ist zweifellos die betörende Cello-Kantilene »Der Schwan«, die auch in der Interpretation der Philharmonie am Forum einen Konzert höhepunkt darstellte.
Zum großen »Finale« des Spektakels zogen alle Tiere noch einmal vor dem geistigen Auge des Betrachters (respektive Hörers) vorbei – vom Orchester mit einem fulminanten Potpourri dargeboten. Reicher Beifall für die Ensembleleistung und alle schienen nur eines zu bedauern: Viel zu schnell war das karnevaleske Treiben vorüber gegangen.
Ein sensibler Klangmagier
Umrahmt wurde das kuriose Opus von zwei Werken aus der Feder von Saint-Saens‘ Zeitgenossen: »Ames d‘enfants« von Jean Gras und Claude Debussys »Petite Suite«. Beide Komponisten verbindet Klangschönheit und musikalische Leichtigkeit, die Debussy als französische »clarté« bezeichnete.
Zu Unrecht sei heutzutage das Werk von Jean Gras vergessen, erzählte Ensemblemitglied Ines Pasz, die das gesamte Programm informativ und anschaulich moderierte. Von Beruf Marineoffizier und im ersten Weltkrieg im Einsatz, war Gras dennoch ein »sensibler Klangmagier«, der die Komposition »Seelen der Kinder« seinen drei Töchtern widmete.
Ines Pasz versprach eine »stimmungsvolle Klangreise« und die Philharmonie am Forum überraschte mit einem bemerkenswerten Facettenreichtum: klanglich subtil gestaffelt von den Bläserchören über die Streicher bis zum Schlagwerk. Ein gut besetztes Ensemble, das Rolf Schilli souverän durch die Klippen der Partitur steuerte.
Musik mit Anziehungskraft
Der stete Puls des Dirigats sorgte auch bei der »Petite Suite« für den fein austarierten, orchestralen Klang mit dem An- und Abschwellen einzelner Töne, minimalen Verzögerungen, dazu instrumentale Zwiegespräche und intime Soli, die das Publikum geradewegs in den Salon eines Grand Hotels am Fin de Siècle entführten. Insofern Ausdruck des von Claude Debussy bevorzugten Lebensstils, den er als Bohemien gerne in Adelskreisen und vornehmen Salons pflegte.
Das hatte er mit Richard Wagner gemein, dessen Musik er anfangs bewunderte, sich davon aber unter dem Einfluss ostasiatischer Folklore und des javanischen Gamelanorchesters löste. Diese ungewöhnliche Mischung übt bis heute eine magische Anziehung aus, wie man beim Konzert im Dorfgemeinschaftshaus unschwer erkennen konnte.
Präzision und Intonation des Ensembles überzeugten einmal mehr und man spürte, dass den Instrumentalisten an diesem Sonntagmorgen das Musizieren ebenso viel Spaß bereitete wie dem Publikum das Zuhören. Letzteres entließ das Orchester erst nach langanhaltendem Applaus und genoss die Zugaben der Philharmoniker.