»Für den rücksichtsvollen Umgang miteinander sensibilisieren« will Isabelle Feuerbacher unsere inzwischen multikulturelle und sich ständig wandelnde Gesellschaft, »die zunehmende Verrohung und der Mangel an Respekt sind nicht zu übersehen.« Die Expertin für zeitgemäße Umgangsformen hielt ein Kurzseminar bei den Entersbacher Landfrauen.
»Der Ranghöhere stellt sich zuerst vor«, beginnt Isabelle Feuerbacher die donnerstagabendliche Weiterbildungsveranstaltung im Gasthaus Pflug und geht mit gutem Beispiel voran. Während sie mit ruhiger Stimme und gut verständlich spricht, erfährt der Zuhörer: Die Ingenieurin für Bekleidungsgestaltung und ehemalige Redakteurin hat sich vor zehn Jahren zur Trainerin zeitgemäßer Umgangsformen schulen lassen, gleicht ihre Aussagen regelmäßig mit denen des deutschen Kniggerats ab.
Knigge – das war jener freigeistige Freiherr, der anno 1788 und somit ein Jahr vor der französischen Revolution eine Schrift »Über den Umgang mit Menschen« verfasste. Um ein soziologisches Werk ganz im Sinne der Aufklärung handelt es sich. Denn bis dato »hatte der Adel die guten Umgangsformen quasi als Geheimcode für sich behalten«, so Isabelle Feuerbacher. Adolph Freiherr Knigge jedoch brachte sie nun unter das gemeine Volk, ein demokratisch zu verstehender Akt.
»Es geht nicht nur um Manieren, sondern vor allem um eine ethische Haltung«, betont die Referentin. Denn gutes Benehmen stellt in jeder Kultur ein wertvolles Erbe dar, das mit seinen jeweiligen Werten über Jahrhunderte hinweg erarbeitet, von Generation zu Generation weitergegeben worden ist.
»Umgangsformen und Höflichkeit sind Ausdruck von Respekt für den anderen und sorgen weltweit für ein zivilisiertes Miteinander«, unterstreicht Feuerbacher, »sie geben uns Orientierung und Sicherheit – vergleichbar mit den Leitplanken im Straßenverkehr. Und sie verleihen uns Souveränität, Sympathie und Ansehen.« Und: Sie tragen zum sozialen Frieden bei.
Höflich sein ohne zu heucheln
Höflich ist, wer anderen die geringste Mühe macht. Souverän jedoch ist nur, wer die gesellschaftlichen Spielregeln beherrscht, sich aber von ihnen nicht beherrschen lässt. Dies gilt umso mehr, als Umgangsformen nie wichtiger sein dürfen als der Mensch mit seiner unantastbaren Würde. Daher ist es ratsam, situationsbedingt und unbedingt mit Taktgefühl über die Anwendung der Regeln zu entscheiden, auch mal ein Auge zuzudrücken.
Denn, so Isabelle Feuerbacher: »Wir wollen uns ja nicht nur an Regeln halten, sondern man sollte auch aus dem Bauch und aus dem Herzen heraus höflich und freundlich zu Menschen sein.« Nur dann wirkt man authentisch und glaubwürdig. Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und die Übernahme von Verantwortung als »Herzensqualitäten« gehören beispielsweise ebenso dazu wie Blickkontakt und dem Sich-Begegnen auf Augenhöhe. «Ein freundlicher Mensch kommt sehr gut durchs Leben, genauso wie ein höflicher Mensch«, berichtet die Offenburgerin aus vielfacher Erfahrung und Beobachtung.
Nach wie vor gilt hierbei, dass »wir Erwachsenen Vorbilder für unsere Kinder sind.« Laut einer Umfrage unter Jugendlichen wird die Mutter als größtes Vorbild gesehen – tatsächlich war eine gute Kinderstube schon immer förderlich für den beruflichen Weg zum Erfolg. »Dazu gehört auch das Benehmen bei Tisch«, weiß die Fachfrau um die Argusaugen von Personalentscheidern. Ein junger Jobbewerber, der in die engere Wahl gekommen ist und bei einer Essenseinladung dann aber sein Messer ableckt, dürfte seine Chancen unrettbar verspielt haben.
Kavaliersgesten gelten auch für Frauen
Und doch hat sich in unserer heutzutage multikulturellen und ständigem Wandel unterworfenen Gesellschaft einiges geändert, was den Verhaltenskodex betrifft: »Ladies first« beispielsweise gilt nicht mehr. »In der Berufswelt zählt der Rang inzwischen mehr als das Alter oder das Geschlecht«, erklärt Isabelle Feuerbacher.
Das bedeutet, dass der Chef grundsätzlich Vortritt hat. Und während früher die Dame dem Herrn zumindest im privaten Bereich das Du angeboten hat, so ist es heutzutage grundsätzlich der Ranghöhere der das »Du« anbietet. »Kavaliersgesten gelten heutzutage auch für Frauen«, weiß die Fachfrau in Sachen Verhaltenskodex – was für die Herren der Schöpfung jedoch keinesfalls heißt, Takt und Stil außer Acht zu lassen. Ganz im Gegenteil.
Immerhin wohl für immer Gültigkeit hat: Wenn zwei sich nicht bekannte Menschen treffen, so entsteht der erste Eindruck innerhalb von drei bis vier Sekunden. »Das steckt in unseren Genen«, erklärt Isabelle Feuerbacher, »alle Sinne werden bei einem solchen Zusammentreffen aktiviert.«
Ganz schwer sei es, diesen ersten Eindruck später zu widerlegen. Durch nonverbale Eindrücke entsteht er. Durch die Oberfläche also, durch das Erscheinungsbild – gemäß der Weisheit »ein
Bild sagt mehr als tausend Worte«.
Mächtig: Die Sprache des Körpers
Besagtes erstes Bild setzt sich zu 55 Prozent aus dem Eindruck der Gesamterscheinung zusammen. Und zu der zählt neben Faktoren wie beispielsweise Kleidung, Aufmachung, Körperhygiene, Art des Händedrucks und des Distanzverhaltens auch die Körpersprache.
»Die Körpersprache ist unsere Primärsprache, sie ist mächtiger als unsere Wort-Sprache«, ruft die Referentin ihren Zuhörern ins Bewusstsein: »Jede Emotion, jeder Gedanke, jedes Gefühl und jeder Reiz färben sofort auf Mimik und Gestik ab.«
Entsprechend vorteilhaft wirken sich positives Denken und eine optimistische Einstellung darauf aus, wie man auf andere wirkt. Ganz abgesehen davon, dass man mit positivem Denken schneller – oder überhaupt – an sein Ziel kommt. Und weil Menschen bei einer ersten Begegnung zuallererst auf das Gesicht schauen, ist ein Lächeln der beste Türöffner.
Desweiteren – und zwar zu 38 Prozent – wird der erste Eindruck durch die Stimme geprägt: durch ihren Tonfall. Der wiederum wird bestimmt durch Modulation, Tempo, Betonung, Aussprache, Lautstärke, Dialekt. Positiv fällt hier ein engagiertes und interessiertes Gesprächsverhalten auf sowie aktives Zuhören.
Zählt man die bisher genannten Zahlen zusammen, so entfallen für den ersten Eindruck gerade einmal sieben Prozent auf den Inhalt des Gesagten. Mit dem Fazit: »Wenn das Auge nicht überzeugen kann, bewirkt der Mund nichts mehr.« Umso sorgfältiger ist mit eben diesem Gesagten umzugehen: Das »Wie« ist wichtiger ist als das »Was«. Samt der generell gültigen Grundregel nicht zu tratschen, nicht zu lügen.
Das höfliche und respektvolle Miteinander bezieht sich auch auf den Umgang mit Handy, Mails und Computer – sowohl im Beruf als auch privat. »Der physisch Anwesende hat immer Vorrang vor dem Anrufenden«, hebt Isabelle Feuerbacher beispielsweise hervor. Beim Telefonieren wartet der Rangniedere, bis der Ranghöhere aufgelegt hat – das gilt im Beruf ebenso wie zwischen Enkel und Großeltern.
Beim Schreiben von E-Mails wiederum greifen die gleichen Regeln wie für den Briefverkehr, mit korrekter Anrede und Verabschiedung, ordentlicher Interpunktion und Orthographie. Und was tun, wenn man vom Chef gebeten wird, den PC des nicht-anwesenden Kollegen hochzufahren, um wichtige Unterlagen auszudrucken? Man kommt der Aufforderung nach, legt dem Kollegen jedoch eine Notiz auf den Schreibtisch.