Bei einem Besuch des Forums „älterwerden“ der ehemaligen Synagoge in Kippenheim und des jüdischen Friedhofs in Schmieheim veranschaulichte Dr. Dieter Petri in hervorragender und beeindruckender Weise das Leben Juden in der Ortenau.
Großes Interesse fand die Halbtagesfahrt zur ehemaligen Synagoge in Kippenheim und zum jüdischen Friedhof nach Schmieheim, die das FORUM älterwerden Zell Mitte Mai organisierte.
In der Ortsmitte von Kippenheim, unauffällig, etwas zurückgesetzt von der Poststraße, erreicht man durch einen Vorgarten die ehemalige Synagoge. 1852 wurde das im neoromanischen Baustil erbaute Gotteshaus feierlich eingeweiht. Bevor die Gruppe mit Dr. Dieter Petri das Gebäude betrat, wurde die Doppelturmfassade betrachtet. Die Rosette über dem Portal trägt nach jüdischer Tradition den sechseckigen Davidstern. Auf der Giebelspitze sind zwei Gesetzestafeln angebracht, auf denen ursprünglich die Zehn Gebote eingraviert waren. Eine Besonderheit bilden die Zinnen auf den Türmen.
Am 10. November 1938 zerstörten die Nationalsozialisten das Innere und rissen von der Fassade die Gesetzestafeln herunter. Die Inschrift aus hebräischen Schriftzeichen, übersetzt „Hier ist nichts anderes als das Haus Gottes“, die das Mittelportal ziert, blieb erhalten.
Jüdisches Leben bis zur Deportation
Um 1852 lebten in Kippenheim etwa 200 Menschen mit jüdischem Glaubensbekenntnis. Sie waren Viehhändler, Textilhändler, Lederhändler, Metzger und Bäcker. 1933 waren es noch 144 jüdische Einwohner. Dr. Dieter Petri wies auf das Verkehrsschild „Gurs 1072 km“ hin, das rechts vor der Synagoge steht. Dies erinnert an die Deportation der Juden am 22. Oktober 1940 in das Internierungslager Camp de Gurs des französischen Dorfes Gurs am Fuß der Pyrenäen.
Vorraum der Synagoge
Im Vorraum der Synagoge wies Dieter Petri auf die Treppenaufgänge hin, welche die Frauen benutzten, um auf die Frauenempore zu kommen und dem Gottesdienst beiwohnen zu können. Geradeaus gingen die Männer und kamen in den Innenraum, in den Betsaal, um den Gottesdienst zu feiern. In den Keller führt heute ein Abstieg, zur Mikwe, dem Ritualbad. Eine Gedenktafel erinnert an die Renovierung im Jahr 1911. Eine weitere Gedenktafel erinnert an 30 Jüdinnen und Juden, die von den Nationalsozialisten in den Jahren 1933 bis 1945 von Kippenheim und anderen Orten verschleppt und ermordet wurden.
Am Eingang zum Innenraum ist die Mesusa zu sehen. Dieses längliche Kästchen ist an jüdischen Häusern und Wohnungen rechts am Türpfosten befestigt. Sie enthält ein Pergamentröllchen mit dem „Schma Jisrael“, was übersetzt „Höre, Israel!“ heißt und zu den bedeutendsten Gebeten des Judentums zählt.
Innenraum der Synagoge
Dr. Dieter Petri führte die Gruppe in den Vorraum des Betsaals. Er zeigte ihnen rechts und links siebenarmige Leuchter, die in den in der Wand eingelassenen Nischen standen. Die Besucher nahmen auf Stühlen Platz, die im eigentlich leeren, hohen Innenraum (Betsaal) stehen. Mit „Shalom chaverim“, einer israelischen Volksweise und „Dona, Dona“ auch unter „Dos Kelbl“ bekannt, ein jidisch verfasstes Lied, stimmte Brunhilde Kriele auf der Flöte die Zuhörer auf diesen eindrucksvollen Ort ein.
„Während des Novemberprogroms 1938 wurden Ritualgegenstände und die Inneneinrichtung der Synagoge zerstört,“ so Petri. Eine Ausstellung im Innenraum dokumentiert die Verwüstungen sowie die Deportationen in Baden. Nach der Naziherrschaft wurde die Synagoge nicht mehr als Gotteshaus genutzt. Das Gebäude wurde an einen Maurer veräußert. 1956 erwarb die Raiffeisengenossenschaft das Haus. Erst 1983 wurde die einstige Synagoge von der Kippenheimer Gemeinde erworben. Es folgten umfangreiche Außenrenovierungen. 1996 wurde der „Förderverein Ehemalige Synagoge Kippenheim“ gegründet, der sich seither um den Erhalt des Gebäudes bemüht.
An der Ostwand des Innenraumes, an der Stelle, wo ursprünglich der Toraschrein stand, befindet sich von diesem ein Foto. Abgedeckt wird der Toraschrein durch einen Vorhang, der im Gottesdienst zurückgezogen wird. Das Vorlesepult stand in dieser Synagoge rechts vorne. Petri erklärte: „Der Gottesdienst ist ein Lesegottesdienst. Jeder sagt die Gebete auf, die er gelernt hat.“
Die Mikwe, das Tauchbad zur Erlangung der rituellen Reinheit, befindet sich im Keller des Gebäudes. „Die Frauen benutzten dieses vor der Hochzeit und nach der Menstruation. Auch die Männer benutzten das Bad, nachdem sie den Toten gewaschen hatten“, so Petri.
Dauerausstellung und Stolpersteine
Nach dieser aufklärungsreichen Führung durch Dr. Dieter Petri hatten die Besucher*innen die Möglichkeit, sich auf den Emporen durch die Dauerausstellung über die Geschichte und Kultur der Ortenauer Landjuden in Wort und Bild zu informieren.
Außerdem konnten Interessierte mit Brunhilde Kriele die sogenannten Stolpersteine in der Nähe der Synagoge aufsuchen. Die Stolpersteine sind auf dem Boden angebrachte kleine quadratische Gedenksteine, welche an die ermordeten Juden erinnern.
Der jüdische Friedhof in Schmieheim
Mit dem jüdischen Friedhof im Kippenheimer Ortsteil Schmieheim wurde an diesem Nachmittag ein weiterer eindrucksvoller Ort aufgesucht. „Hier wurden die Toten von sieben umliegenden Gemeinden bestattet“, berichtete Dr. Dieter Petri. Der Friedhof hat eine Fläche von 70 ha und enthält etwa 2500 Grabsteine. Nach dem 30-jährigen Krieg waren in Schmieheim bis zu 50 Prozent der Einwohner Juden. So war Schmieheim zeitweise auch Sitz des Bezirksrabbiners. Die erste Belegung geht zurück auf 1701. Petri erläuterte: „Die Gräber sind alle nach Osten ausgerichtet.“ Die Toten werden nach ihrem Ableben gewaschen und in ein weißes Leintuch gehüllt. Statt Blumen werden auf den Gräbern Steine zum Zeichen des Besuches auf dem nach Osten ausgerichteten Grabstein abgelegt. Die Gräber werden nicht eingeebnet. Die Unantastbarkeit der Totenruhe zählt zu den fundamentalen Glaubensgrundsätzen des Judentums. Gräber und Grabmale bleiben somit über Jahrhunderte erhalten.
Grabmale und Grabinschriften
Die ersten Grabmale tragen nur hebräische Schriftzeichen. Später wurden immer mehr auch lateinische und hebräische Buchstaben für Grabinschriften verwendet. Es gibt auch Grabinschriften in Sütterlinschreibweise. Ein besonderer Blickfang bieten zudem die auffälligen Symbole, welche viele Gräber zieren. Segnende Hände weisen darauf hin, dass hier ein Nachkomme der Priesterkaste bestattet liegt. Auch die Kanne ist als Symbol mit einem Amt im Gottesdienst verbunden.
Der jüdische Friedhof in Schmieheim zeigt nicht allein nur den Wunsch der Juden nach Anerkennung. Das Kriegerdenkmal auf dem Friedhof gedenkt der jüdischen Gefallenen des Ersten Weltkriegs und zeigt einmal mehr ihre Zugehörigkeit.
Die Leichenhalle, 1880 erbaut, wurde im Novemberprogrom 1938 niedergebrannt, zahlreiche Grabsteine wurden umgestoßen. Nach der Deportation aller Juden wurden keine Menschen mehr beigesetzt.
Erinnerung und Gedenken an die Ortenauer Juden
Tiefberührt verließen die Besucher diesen geschichtsträchtigen Ort. Dr. Dieter Petri vermittelte nicht nur Wissen, es ist ihm gelungen die Erinnerung und das Gedenken an die Ortenauer Juden und das an ihnen verübte Unrecht wachzuhalten.
Auf der Rückfahrt bedankte sich Lilo Schwarzer im Namen des FORUM älterwerden bei Dr. Dieter Petri dafür, dass er in hervorragender und beeindruckender Weise das Leben der Ortenauer Juden veranschaulicht hat.
Schwarzer zitierte Julia Wolrab vom Dokumentationszentrum Nationalsozialismus in Freiburg: „Gelungenes Erinnern funktioniert dann, wenn wir davon persönlich berührt werden und Verbindungen herstellen können zu unserem eigenen Leben.“ Und stellte fest: „Das ist heute gelungen.“
Ein Dank galt Brunhilde Kriele für die musikalische Umrahmung. Gleichermaßen Margit Wohlgethan vom Roten Kreuz und dem Busfahrer, die die Seniorengruppe souverän und sicher durch den Tag steuerte.